Vorbemerkung

Über mehrere Jahrzehnte bemühten sich die Betreiberfamilien des traditionsreichen Hotel-Restaurants "Zur Spitze" um eine Erweiterung und Modernisierung ihrer auf einer Art "Hausinsel" inmitten der Altstadt befindlichen Liegenschaft. Die Idee entstand ein an die Rückfront angrenzendes älteres Fachwerkhaus zu integrieren oder an seine Stelle nach seinem evtl. Abriss ein in die Umgebung architektonisch passendes Gebäude neu und modern zu errichten. Es stellte sich aber bei ersten Untersuchungen heraus, daß dieses Haus wahrscheinlich eine der ältesten Fachwerkkonstruktionen in der Stadt überhaupt birgt. Die amtliche Denkmalpflege untersagte daher die Zerstörung, und der letzte Besitzer meinte wohl das Problem durch gezielte Verwahrlosung lösen zu können. 
      Inzwischen ist nicht nur ein Generationenwechsel in der Baudenkmapflege eingetreten, auch die Besitzer haben ge-wechselt, sodaß man nun meinte (auch angesichts des "drohenden" Hessentages 2024) endlich in Aktion treten zu müssen. Der Bewuchs an der Westseite des Gebäudes rief aber private Aufregung (u. a. auf facebook) hervor, weil der Baubeginn mit der Brutzeit vielleicht vorhandener gefiederter Bewohner kollidierte, was nach aktuellen ökologischen Regelungen eine Verzögerung zur Folge hatte. Bürger aus Fritzlar und Umgebung, die mit dem denkmalpflegerischen Wert des Platzes vertraut sind, mussten feststellen, daß die von früher her bekannten Tatsachen inzwischen entweder vergessen sind oder Vergessen gemacht werden sollen, weil die heutigen Prioritäten anscheinend andere sind als noch vor einem Vierteljahrhundert.

Titelartikel in der Fritzlar-Homberger Allgemeine (HNA-Fritzlar) Nr. 099 vom 29. April 2022, S. 01

Hauptartikel in der Fritzlar-Homberger Allgemeine (HNA-Fritzlar) Nr. 099 vom 29. April 2022, S. 09

Leserbrief vom 01. Mai 2022 (Original) 

An:homberg@hna.de Details 

Dr. Johann-Henrich Schotten 
Schillerstraße 18 
34560 Fritzlar-Geismar 
Tel.: 05622/5106 oder 3431 
E-mail: fritzlar-fuehrungen@gmx.de holzheim@aol.com

Sehr geehrte Redaktion!

Der Bericht über das Gebäude Am Hochzeitshaus 2-4 vom 29. April bedarf einiger wichtiger Korrekturen. Bei dem sog. „Schandfleck“ geht es nicht um eine ästhetische Nachläs­sigkeit des städtischen Bauamtes und die unangenehme Behinderung einer ersehnten In­vestition sondern um ein Objekt von höchster historischer Bedeutung, welche seinerzeit den Grund für die Beurteilung der Hessischen Baudenkmalpflege in Marburg (Frau Dr. Katharina Thiersch) bildete: Es handelt sich bei dieser Baulichkeit um eines der ältesten, wenn nicht das älteste in Fritzlar noch aufrecht stehende Fachwerkhaus.

     Bei einer Begehung vor 20 Jahren mit dem Bauingenieur Wolfgang Hryčak, der mit sei­nem Bruder Peter bekanntlich das Haus der Michelsbruderschaft/Haus Clausius-Busch vor einer Generation exzellent restauriert hat, zeigten sich uns im Inneren überraschenderweise große Entfernungen zwischen den senkrechten Balken („Ständern“) der Konstruktion. Es gilt die Faustregel: je weiter diese Ständer ohne Streben auseinander stehen, umso älter ist der Bau! Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn die genaue­ren Untersuchungen eine Errichtung im 15., vielleicht sogar schon im 14. Jahrhundert erge­ben würden. 14C-Prüfungen und Den­drochronologie könnten das bestätigen. Der tonnengewölbte Steinkeller darunter bezeugt durch seine Form und Dimension evtl. eine sogar noch ältere Herkunft, da in unmittelbarer Nähe (unter dem heutigen Hochzeitshaus) bereits steinerne Wohntürme (6 x 6 m) aus dem späten 12. bis frühen 13. Jahrhundert wahrscheinlich sind.

      Das ist der wirkliche Hintergrund der damaligen Entscheidung. Dem ehemaligen Eigen­tümer des Gebäudes gefiel das natürlich nicht; er riss damals alle Fenster und Luken in der Hoffnung auf, dass Wind und Wetter dem eigentlich stabilen Gebäude im Laufe der Jahre schon den Garaus machen würden, und eine „Ruine“ kann man ja irgendwann einmal abreißen. Das Haus spielte aber nicht mit, und außer den neuzeitli­chen hölzernen Wand­schindeln fiel nichts herunter oder zusammen. Wenn heutige Architek­ten und Ingenieure zu bequem oder nicht in der Lage sind mit so einem Objekt sach- und fachgerecht umzugehen, dann ist das sehr scha­de und einem historischen Ensemble wie der Innenstadt von Fritzlar nicht würdig. Falls sich die Entfernung nicht vermeiden lässt, sollt man es –nach einer gründlichen Untersuchung durch qualifizierte Bauforscher- nicht einfach zerstören sondern sorgfältig demontieren und im „Hessen­park“ in Neu-Ansbach wieder errichten.

      Apropos „Schandfleck“: in unmittelbarer Nähe stört ein noch schlimmeres Beispiel die Augen der Einwohner und Besucher, da ist aber noch nie etwas Offizielles darüber geschrie­ben worden.

 Mit freundlichem Gruß

 Dr. Johann-Henrich Schotten!  (Fritzlar)

 P.S.: Bitte möglichst nicht kürzen!

Leserbrief leider nur gekürzt
veröffentlicht am 20. Mai 2022

Schreiben des Architekten Markwart Lindenthal, Niedenstein-Kirchberg, an einen Kollegen am 20. Mai 2022, eine ältere historische Untersuchung des Gebäudes betreffend (Ausschnitt): 

"Guten Tag, lieber Kollege Thomas! 

Erinnerst Du Dich – sicherlich – an das ruinöse uralte Fachwerkhaus des Gastwirts Clobes neben dem Fritzlarer Hochzeitshaus? 
Ich hatte dort einmal eine Meßübung mit den Restauratorschülern des Zimmererzentrums Kassel-Waldau gemacht. Kann es wohl sein, daß ich Dir die (oder einige) zeichnerische Ergebnisse dieser Übung übergab? Falls ja: Hast Du die wohl mitsamt Deinen Akten archiviert? 
Jetzt geht es ja wiedermal um Abriß oder Bewahrung. Und in diese Diskussion möchte ich noch einmal in Erinnerung bringen, was mir damals aufgefallen war: 

1. Das Haus wurde errichtet über zwei getrennten Kellern der Vorgängerbauten. 
2. Das Haus wurde einheitlich geplant in damals "moderner" Bauart von einer Bauherrengemeinschaft, den vermutlichen         getrennten Eignern der beiden Keller. 
3. Die beiden Haushälften waren unterschiedlich aufwendig geplant und ausgeführt: Die Gassenseite billiger, die Hofseite       (Ostseite) mit feuerbeständigen Strohwickeldecken. 
4. Es gab eine Grundstücks-Scheidewand in Firstrichtung durch zwei Geschosse bis zur Traufhöhe, die mit  doppeleschoß-     hohen Ständern aufgezimmert war, über denen ohne Längsunterzug die Deckenbalken von Traufe zu Traufe durchlie-         fen, in den beiden Traufwänden gestützt durch zwei stockwerkshohe Fachwerkwände übereinander. Treppen zum               Dachgeschoß waren in beiden Haushälften getrennt voneinander. 

Weitere Details sind mir entfallen, würde ich gerne nochmals auffrischen anhand der Zeichnungen – FALLS DU in Deinen Archiven davon etwas findest. 
Ich selbst habe eigentlich keine Eile damit, hatte diese eigenartige Sonder-Konstruktionsform auch schon lange vergessen......"

FHA 2023,01.25., Nr. 21, S. 05

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              E-Mail: holzheim@aol.com und fritzlar-fuehrungen@gmx.de         

                                   Titeldesign: nach Kathrin Beckmann                      

                                                                                 Dank an Karl Burchart, Horst Euler, Marlies Heer, Klaus Leise und Wolfgang Schütz für Hinweise und Tipps,                                                                                                                                                                                     Johannes de Lange für die Scan-Vorlagen

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