Vorbemerkung

Schwester Ancilla war eine der Schulschwestern an der Ursulinenschule, die für uns externe Besucher des Klosters stets die Ansprechpartnerin bei Fragen zu Kloster- und Baugeschichte der Anlage bildete, da sie nicht nur über enorme Sachkenntnisse verfügte sondern auch sehr ungezwungen in ihrem Umgang wirkte, was vielleicht auch mit ihrem vorklösterlichen Leben zu tun hatte. Ihr Aufsatz aus dem Jahre 1974 bildet auch heute noch einen gesunden Grundstock für das Verständnis der heimischen Klostergeschichte in Fritzlar.

Klösterliche Gemeinschaften in Fritzlar

Von Schwester Ancilla Schulemann O.S.U.

1. Das Augustinerinnenkloster

Da innerhalb der alten Stadtmauern bald der Raum belegt war, wußte man sich mit dem Gedanken befassen, außerhalb der Stadtgrenze eine Siedlung anzulegen, die in den Schutz einzubeziehen war. Durch steuer­liche Freiheiten kam die Stadtbehörde entgegen. So entstand die neue Freiheit oder Neustadt am Südhang von Fritzlar, unterhalb des Domes. Der sonnige Hang, die Fruchtbarkeit des Bodens und das reichlich aus vielen Quellen hervorsprudelnde Wasser lockten ebenfalls. Hier soll auch nach alter Überlieferung der hl. Bonifatius an einer der wasser­reichsten Quellen getauft haben. Ihm zu Ehren baute man die kleine Bonifatiuskapelle, die bis zum 16. Jh. existierte. - An dieser überaus günstig gelegenen Stelle stiftete Propst Bruno von Weißenstein 1147 1ein Hospital für die Armen und Kranken. Es war zur damaligen Zeit üblich, Hospitäler außerhalb der Stadt anzulegen, um bei Ausbruch von Epidemien die Kranken wirklich isolieren zu können. Das Hospital wurde der Muttergottes geweiht. In den Urkunden heißt es „Sancte Marie apud Fritzlariam“ oder „Spital Sancti Bonifatiy bussen den Muren von Fritzlar“. Dem Hospital wurde durch das Stift vor 1239 die Bonifatiuskapelle übertragen und 1247 durch Erzbischof Siegfried von Mainz als Pfarrkirche erhoben für die Leute, die außerhalb Fritzlars und innerhalb der Steingosse und dem Fleckenborntor wohnten. 

    Erst 1254 werden urkundlich die Augustinerinnen genannt“ 2. „Erz­bischof Gerhard von Mainz erteilte einen Ablaß von 40 Tagen den­jenigen, die das St.-Marien-Kloster in Fritzlar vom Orden des hl. Augustinus, das neu hergerichtet ist, und das Hospital, das in demselben Haus früher bestand, zur Aufnahme von Armen, Fremden und Kranken, bekanntlich der Hilfe der Gläubigen sehr bedürfe.“ Außer dem Klosterbau und Hospital wurde auch eine neue Kirche erbaut, die der hl. Katharina geweiht wurde. Der Name der von dem Kloster er­bauten Katharinenkirche ging auf das Kloster über. Der an­schließende Totenhof mit Beinhaus wurde mit einer Mauer umgeben, deren östlicher Teil noch erhalten ist (1297). Immer mehr Menschen siedelten sich um das Kloster an, die die Klosterkirche als ihre Pfarr­kirche betrachteten. Dies führte zu einem Streit mit dem Stift. Den Nonnen gelang es aber, einen Ausgleich herbeizuführen.

      Alle, welche zwischen der steinernen Ederbrücke und dem Büraberg oder im Hospital in der jetzt genannten Neustadt wohnten, sollten eine für sich bestehende Pfarrgemeinde bilden. Die Nonnen bezahlten ihrerseits zum Zeichen der Abhängigkeit an jedem Neujahrstag und Osterfest dem Stift und den Stiftspfarrern acht leichte Schillinge 6.

      Das Augustinerinnen- oder Katharinenkloster entwickelte sich zu einer blühenden Niederlassung und erwarb reichen Besitz durch fromme Schenkungen und durch Kauf. Zahlreiche Urkunden berichten von dem Erwerb von Ländereien - besonders in Beringshausen -, heute eine Wüstung zwischen Lohne und Riede. So schenkten Hartmann von Beringshausen und seine beiden Söhne ihre dortigen Güter dem Nonnenkloster. 1280 verkaufte der Konvent zu Merxhausen einen Hof in Lohne und 4 Hufen Land dem Kloster in Fritzlar. 1275 ver­machte die Witwe des Conrad Schultheiss ihre Güter jenseits der Eder dem Konvent der Klosterfrauen außerhalb Fritzlars 4. Weitere Ur­kunden berichten von Überweisungen für lebenslängliche Verpflegung. Das zeigte, daß nicht nur Arme aufgenommen wurden, sondern auch Wohlhabende gegen Vergütung. Die Pflege der Fremden und Kranken erforderte weitere Maßnahmen; so sah sich die Stadt veranlaßt, ein Hospital außerhalb der Neustadt auf dem Werder -Gebiet zwischen Eder und Mühlengraben- zu gründen. 1308 willigten nach anfänglichem Sträuben die Klosterfrauen in den Bau des städtischen Hospitals ein. In den folgenden Jahren rundeten die Augustinerinnen ihren Besitz weiterhin ab. Sie erwarben Gärten und Äcker jenseits der Eder. 1295 kauften sie die Speckmühle von Frau Alene und ihren Töchtern 5. Neben der Klostermeierei besaßen sie den 220 Morgen umfassenden Jungfernberg. Die Ökonomie unterstand einem Kloster-Propst. Neben den Ländereien war der Hausbesitz innerhalb der Stadt nicht unerheb­lich. Nach einem Verzeichnis gehörten Häuser am Ziegenberg, auf dem Markt, Haddamar-, Schilder-, Spital-, Greben-, Juden-, Clowes-, Werkel- und Münstergasse dem Jungfrauenkloster. Ebenso besaßen sie Häuser in der Neustadt, in der Unter- und Wintergasse.

       Trotz des reichen Landbesitzes muß die Vermögenslage des Klosters um 1400 kritisch gewesen sein. Denn 1404 verkauften Hermann Kypp und seine Frau den „elenden“ Leuten in Sankt Katharinen einen Zins 6. Papst Bonifac IX. bewilligte einen Ablaß denen, die zum Wie­deraufkommen des Klosters beitrugen 7.

      Während des 15. Jahrhunderts verlor das Kloster immer mehr an Be­deutung, so finden sich auch nur wenige Urkunden aus dieser Zeit. Die letzte Priorin Gertrud von Urff stand seit 1516 dem Kloster vor. 1536 stellte sie noch Urkunden aus. 1535 verkaufte sie die Wüstung Beringshausen, 1440 von Ritter Reinhard von Dalwig angezündet, für 740 gute rheinische Gulden an das Hospital in Merxhausen (Merx. Kop.). 1530 schenkte die Priorin dem Hl.-Geist-Hospital die Güter, die heute die Spitals-Landwirtschaft ausmachen. Mit dem wirtschaft­lichen Niedergang ging auch der Verfall des Ordensgeistes Hand in Hand, ja es kam zur gänzlichen Auflösung des Augustinerinnen­klosters, indem die Schwestern ihr gemeinschaftliches Leben aufgaben und in ihre Familien zurückkehrten, nicht ohne ihren eingebrachten Besitz mitzunehmen. Die Einrichtung des Klosters wurde verschenkt. Ab 1538 bestand das Kloster nicht mehr. Gertrud von Urff stellte noch ein Inventar der verbleibenden Güter auf, die dem erzbischöflichen Rentmeister übergeben wurden, der sie auch bis 1710 verwaltete.

      Das Klostergebäude wurde im Dreißigjährigen Krieg als Lazarett eingerichtet und diente zur Unterbringung der Landsknechte. Es war damals schon in schlechtem Zustand und soll 1706 nur noch ein Trümmerhaufen gewesen sein. Das Klostergut wurde sofort ver­pachtet. 1688 kommt es an die Familie Günst. 1608 wurde die Speck­mühle an das Stift verkauft von Johann Schweikhard.

      In der Kirche fand in den ersten Jahrzehnten bis zum Westfälischen Frieden noch Gottesdienst statt. 1652 bekamen die Minoriten zwei Glocken. Der Annalist von Speckmann berichtet: Da die Kirche lange leer stand, sollen die Glocken öfters von selbst geläutet haben, auch soll Gesang in der Kirche gehört worden sein. (So anno 1692.)

 

2. Die Franziskaner (Minoriten)

1236, 10 Jahre nach dem Tode des hl. Franziskus von Assisi, kamen Minoriten nach Fritzlar, um einen geeigneten Platz zur Gründung eines Klosters zu suchen. Da ihnen die Stadt zur Niederlassung günstig er­schien, verhandelten sie mit dem Rat der Stadt wegen eines Bauplatzes. Für 6 Mark kauften sie ein Stück zwischen Werkeltor und Jordanturm und begannen 1237 mit dem Bau. Dieser mußte rasch vorangegangen sein, denn schon 1244 bestand ein Konvent, wie aus einer Urkunde zu ersehen ist. Die Minoriten sind ein Predigerorden und werden wohl von Fritzlar aus in die umliegenden Ortschaften gezogen sein. Reichlich flossen ihnen Spenden zu, so konnte 1248 mit dem Bau der zweischiffigen Klosterkirche begonnen werden. Über die Zeit der Fer­tigstellung ist nichts bekannt, scheint aber um 1325 zu sein. Südlich der Kirche liegt der Klosterfriedhof, während nördlich der Kirche das Kloster sich anschließt. Wie angesehen die Minoriten waren, zeigt, daß eine Reihe Fritzlarer Bürgersöhne dem Kloster als Mitglieder beitraten. Die Wirren der Reformationszeit wirkten sich ungünstig auch in die­sem Kloster aus; auch blieben die Almosen aus, auf die der Bettel­orden angewiesen war. Zu dieser Zeit befanden sich etwa 30 Patres und Fratres im Kloster. Sie verließen die Stadt und nahmen teilweise Pfarr- oder Schullehrerstellen an. 1548 hob Erzbischof Albrecht das Kloster auf. Der letzte Guardian Heinrich Eberhard aus Fritzlar starb 1553.

      Bis 1615 stand das Kloster leer. In diesem Jahr berief der Erzbischof von Mainz einen Jesuiten nach Fritzlar, und 1616 kamen noch zwei Patres aus Mainz hinzu. Durch Predigen und Belehrung in der Schule und eifrige Seelsorge sollte der katholische Glaube gefestigt werden. 1628 lebten 3 Partes, 3 Magister und 2 Brüder in Fritzlar. Nach der Rückkehr der Minoriten wurde den Jesuiten die Nikolauskirche mit ihren Einkünften überlassen.

      1631 wurden sie nach der Besetzung der Stadt durch die Hessen auf Befehl des Landgrafen für immer vertrieben. Die Minoriten nahmen sich nach ihrer Rückkehr mit besonderem Eifer der Lateinschule an. Die 100 Schüler wurden von 3 Patres unterrichtet.

      Während der Unruhen des Dreißigjährigen Krieges wurde ihnen 1633 vom Stadtschultheiß die Schule geschlossen. Doch nach dem Westfäli­schen Frieden konnten die Minoriten die Schulpforte wieder öffnen. Die Schule befand sich erst im Kloster, dann in einem gegenüber­liegenden Hause. 1659 vermehrte der Kurfürst Johann Philipp von Mainz die Einkünfte durch Übereignung einiger Güter der Augustine­rinnen. Er knüpfte aber die Bedingung daran, sich der Lateinschule besonders anzunehmen (Speckmann-Annalen). 1690 wurde auf An­ordnung des Kurfürsten eine neue Schule gebaut. Der Siebenjährige Krieg wirkte sich hemmend auf die Entwicklung der Schule aus. 1763 besuchten nur 30 Knaben die Schule 8. Ab 1804 durften keine Novizen mehr aufgenommen werden. 1811 erfolgte die Auflösung des Kon­vents. Die Mobilien wurden vom Staat verkauft. Vermögen und Kloster bekam die Stadt mit der Verpflichtung, die Lateinschule zu überneh­men (Jestädt, S. 99).

      1824 begann das Heilig-Geist-Hospital im Kloster seine Tätigkeit aufzunehmen.

 

3. Das Ursulinenkloster 9

Anlaß zum Wiederaufleben einer klösterlichen Gemeinschaft war das des öfteren zu hörende Glockengeläute in der verlassenen Kloster­kirche. Die Fritzlarer Lehrerin Martha Hitzeroth wandte sich an die Duderstädter Ursulinen, um sie für eine Klostergründung zu gewin­nen. 1710 kamen daraufhin 3 Duderstädter Ursulinen, die aber bald wegen der großen Schwierigkeiten in ihr Heimatkloster zurückgingen. Durch Vermittlung des Erzbischofs und Kurfürsten Franz Lothar von Schönborn sandte das Metzer Ursulinenkloster drei Schwestern nach Fritzlar: Schwester Augustine Gräfin d'Aspremont, Schwester Magda­lena Marquise von Valombre und Schwester Bernadine Baronesse von Löwenstein; letztere kehrte aber nach einigen Jahren in ihr Mutter­haus in Metz zurück. Schwester Augu­stine d'Aspremont wurde zur ersten Oberin des kleinen Konvents von Erzbischof Franz Lothar von Mainz bestimmt. Fast unüberwindlich waren die ihnen entgegentreten­den Schwierigkeiten. Die Schwestern waren der deutschen Sprache nicht mächtig, die Bevölkerung stand ihnen ablehnend gegenüber, und da sie kein Geld hatten, lebten sie in größter Armut. Um die Liegenschaf­ten des ehemaligen Augusti­nerinnenklosters einzulösen, mußten sie 5000 Taler leihen. Dadurch zogen sie sich noch die Feindschaft der­jenigen zu, die die Ländereien bis jetzt innehatten. Selbst die Stadt war nicht bereit, den Jungfernberg wieder abzugeben. Jahrelang wurde deshalb zwischen den Ursulinen und der Stadt verhandelt (Akten im Klosterarchiv). Das Mißtrauen der Bevölkerung ging so weit, daß sie ihre Töchter den Schwestern nicht zur Erziehung anvertrauen wollten. In dieser trostlosen Lage holten sich die Schwestern durch eine Wall­fahrt zum Büraberg die Kraft zum Durchhalten. Mit 22 Dukaten als ganzes Vermögen begannen sie 1713 den Klosterbau. Als 1719 der erste Bauabschnitt fertiggestellt worden war und die Schwestern mit ihren Pensionärinnen einziehen konnten, staunte die Bevölkerung über den tatkräftigen Mut dieser ersten Ursulinen. Allmählich wandelte sich das anfängliche Mißtrauen in Anerkennung angesichts ihrer Leistung, so daß sie die Schwestern unterstützten und ihnen die Erziehung ihrer Kinder anvertrauten. Diese kamen so zahlreich, daß 1735 sogar ein Schulhausbau notwendig wurde, der heute noch als Schulhaus genutzt wird. „Allerdings wären die Ursulinen befugt gewesen, die Kosten des Schulgebäudes von der Stadt zu fordern. Allein die damaligen Herren Beamten und die meisten Magistratsmitglieder waren dem neuen Klo­ster so feind und achteten die bessere Bildung ihrer Kinder so gering, daß man ihnen den hohen Wert einer besseren Erziehung durch den Erfolg erst fühlen lassen und so ihr Wohlwollen gewinnen mußte“ (Stadt-Annalen).

      Mit steigender Zahl der Konventsmitglieder wie auch der Pensionärin­nen wurde eine Erweiterung des Klosters unumgänglich, die in zwei Etappen vollzogen wurde und 1737 beendet war. Zahlreiche Gönner unterstützten die Bauunternehmen, so Papst Clemens XI., der Kur­fürst von Mainz, die Fürsten von Hessen und Waldeck, viele Fritzlarer Stiftsherren und Bürger. Die Spenden kamen in Form von Geld oder Baumaterial. Zum Anlegen des Klostergartens schickte Landgraf Karl seinen General-Garteninspektor Wunsdorf, der auch den Wilhelms­höher Park angelegt hatte. 1726 wurde die wiederhergestellte Kloster­kirche neu geweiht.

      So begann nun langsam aber sicher das Werk zu blühen. In der Not­zeit des Siebenjährigen Krieges fanden die Ursulinen immer wieder Gönner und Beschützer, so daß ihr Haus von Besatzungen und Kon­tributionen freiblieb. Weil der Ertrag der Ernten durch die Kriegs­geschehen sehr verringert war, mußten sich die Schwestern durch Handarbeiten seidener Geldbörsen, die sie verkauften, ihren Unter­halt erwerben.

      So entwickelte sich allen Hindernissen zum Trotz die gottgesegnete Tätigkeit des Klosters weiter. Die Anzahl der Pensionärinnen und Schülerinnen nahm stetig zu. 1795 befand sich Bettina Brentano mit ihren Schwestern hier im Pensionat. In ihrer schwärmerischen Art be­schreibt sie in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" die märchen­haften Schönheiten des terrassenförmig angelegten Klostergartens mit seinen Kaskaden. Noch heute sind Bettinas Initialen zu erkennen, die sie in die Rinde einer Linde ritzte als Zeichen ihrer Anhänglichkeit ans Kloster.

      Die Napoleonische Zeit versetzte das Kloster wieder in eine bedroh­liche Krise. Es durften keine Schwestern mehr aufgenommen werden, und so schmolz der Konvent auf 6 Schwestern zusammen. Mater Augustina Bardt, die Jüngste aus dieser kleinen Gemeinschaft, wurde zur „zweiten Gründerin“ dieses Klosters. Mit demselben Mut und Gottvertrauen wie die erste Stifterin, mit der sie auch den gleichen Klosternamen führt und mit der sie nicht nur geistig, sondern sogar auch körperlich so auffallende Ähnlichkeit hat, daß man das Porträt der Stifterin für das ihrige halten könnte, ergriff sie die Zügel auf dieser schwierigen Bahn. Sie stand dem Kloster von 1812 bis 1852 als Oberin vor. Sie erborgte sogleich ein bedeutendes Kapital, um nur die lästigsten Schuldforderungen zu befriedigen und die verfallenen Ge­bäulichkeiten des Pachthofes wenigstens in solchen Zustand zu setzen, daß das Gut zur Verpachtung angeboten werden konnte. Sie gab der Haushaltung eine zweckmäßigere Ein­richtung. Während ihrer Amtszeit wurde der noch heute benutzte Klosterfriedhof eingerichtet. Bis dahin fanden die Beerdigungen in der Klosterkirche statt. Diese wurde 1856/57 renoviert und in ihren ursprünglichen gotischen Stil umge­baut. Unter der tatkräf­tigen Leitung von Mater Augustina, ihrem „bergeversetzen­den Glauben“ ist es zu verdanken, daß Kloster und Schule einen staunenswerten Aufstieg erlebten. So viele Postulantin­nen baten um Aufnahme ins Kloster, daß die Schule keiner weltlichen Hilfskräfte mehr bedurfte und ein Anbau an das Klostergebäude not­wendig erschien. Nachdem noch ein Grundstück erworben war, wurde 1842 der letzte Trakt errichtet. Somit erhielt das Kloster seine heuti­gen Ausmaße. Diese blühende Entwicklung wurde jäh durch den Kulturkampf unterbrochen. Auf Grund der Maigesetze kam für den Ursulinenkonvent 1876 der Befehl, bis 1. 4. 1877 das Kloster zu räumen und preußisches Gebiet zu verlassen. Die Ursulinen fanden gastfreundliche Aufnahme in Arras und Bethune. Ein Gesuch der Stadtverwaltung nach Berlin, Kloster und Schule für die Stadt zu retten, war vergeblich. Das Klostergebäude wurde nun als Landratsamt benutzt. Nach 10jähriger Verbannung durften die Schwe­stern wieder zurückkehren. Die Fritzlarer Bevölkerung hieß sie aufs herzlichste willkommen. Fritzlarer Frauen - es waren frühere Schüle­rinnen - hatten sich schon tagelang vor der Rückkehr der Schwestern bemüht, die Räume wohnlich einzurichten, und manches versteigerte Stück kam an seinen alten Platz zurück. Ebenso hatte man an das leib­liche Wohl gedacht und die Speisekammer mit Vorräten gefüllt. Wäh­rend der Verbannung bestand eine private Höhere Mädchenschule unter Leitung von Frl. Gaß, die ganz im Geiste der Ursulinen deren Erziehungstätigkeit weiterführte und in der ganzen Stadt in hohem Ansehen stand. Diese übergab nach der Rückkehr der Ursulinen in wahrer, selbstloser Freude ihre Schülerinnen in deren Hände zurück und trat selbst als Lehrerin in die Schule ein. 1910 bekam die Schule die staatliche Anerkennung und 1911 die Be­zeichnung Lyzeum. Daneben bestand noch eine Industrieschule, der eine Frauenschule mit Kindergarten angegliedert war. Hier wurden auch Winterkurse für die Mädchen der umgebenen Dörfer gehalten. Wieder wurde das blühende Werk zerstört durch die national­sozialisti­schen Erlasse. Zu Ostern 1938 begann ein klassenweiser Abbau des Lyzeums, und 1940 wurde den Ursulinen endgültig die Schule ge­schlossen. Trotzdem wurden die Schwestern nicht arbeits­los, weil eine große Anzahl Saarländer in ihrer Obdachlosigkeit die Betreuung der Schwestern beanspruchten. Ein Jahr später, 1941, traf den Konvent der harte Schlag der Ausweisung. Die Gestapo gestand jeder Schwester 10,- RM zu und persönliche Wäsche. So mußten die Ursulinen inner­halb weniger Stunden das Haus verlassen. Die gesamte Einrichtung wurde geplündert, verschleppt oder vernichtet. Die Klostergebäude wurden als Lazarett genutzt.

      Mit dem Ende des Krieges konnte die zerstreute Gemeinde in ihr ausge­raubtes, verwahrlostes Haus zurückkehren. Froh, wieder ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben, begannen die Schwestern mit dem Aufbau. Schule wurde sofort gehalten - zwar mit geschenkten alten Lehr­büchern; denn es war nichts mehr vorhanden. Alles mußte angeschafft werden - alles, was für Schule und Haus notwendig war, und es ging, wenn auch mit vielen Entbehrungen. Der Wahlspruch des Hauses, „Dominus providebit“, hat sich wie oft auch dieses Mal ganz sichtbar bewährt. Das Haus ist auf Fels gebaut, und keine staatliche Macht vermag es ohne Zulassung Gottes zu vernichten. Aus den sehr bescheidenen Nachkriegsanfängen hat sich ein beachtliches Werk entwickelt. Zur Zeit besuchen 500 Schüler und Schülerinnen das Gymnasium der Ursulinen. Diese große Zahl zwang sie zu einem neuen Schulbau, in dem sich im Keller ein Schwimmbad befindet. Gemäß den Weisungen der hl. Angela - der Stifterin der Ursulinen -, sich der Zeit in rechter Weise anzupassen, werden seit 1969 neben Mädchen auch Jungen in die Schule aufgenommen. Außerdem ist seit 1971 die Schule in eine Ganztagsschule umgewandelt worden. Der Neubau und die Unterhaltung des Schulbetriebes bedeuten eine kolos­sale finanzielle Belastung. Infolge der geringen Schwesternzahl ist das weltliche Lehrerkollegium sehr groß, und ebenso groß ist die Zahl derer, die den Ursulinen in Küche, Haus und Schule helfen.

 

4. Die Vinzentinerinnen

Aus der den Christen anbefohlenen Übung der Barmherzigkeit und der Lehre von der Gleichwertigkeit der den Armen gereichten Liebesgabe mit einem dem Heiland selbst erwiesenen Dienst hat sich die Kirche zu allen Zeiten zur Hilfe gegenüber dem Nächsten verpflichtet gefühlt.

      Daraus erklärt es sich auch, daß die Klöster in der Hilfe für die Armen und Kranken eine ihrer Hauptaufgaben sahen. Über die Haus­armen- und Hauskrankenpflege hinaus bildeten sich daher schon bald unter ihrer Obhut Spitäler, in denen Arme und Kranke versorgt wurden, so auch in Fritzlar.

      Das erste Spital in Fritzlar befand sich in der nach ihm benannten Spitalsgasse. In Urkunden wird es „das alte Spital“ genannt. Nachdem im Jahre 1147 von Abt Bruno von Weißenstein „vor Fritzlar“, in der Neustadt, dort, wo sich heute das Kloster der Ursulinen befindet, das neue Marienhospital gegründet war, wurde das alte Spital den Augu­stinerinnen übergeben.

      Im Jahre 1308 erfolgte dann außerhalb der Stadtmauern, unmittelbar an einem Ederarm, dem sogenannten Mühlengraben, die Gründung eines Spitals, das, dem Vorbild seiner Zeit folgend, dem Heiligen Geist geweiht wurde. Diesem neuen Heilig-Geist-Hospital wurde von allen Seiten mit Wohlwollen und Freigebigkeit begegnet. Ritter und Bürger­liche, Geistliche und Weltliche wetteiferten, es zu bereichern und durch Geldgeschenke und Liegenschaften seinen Besitzstand zu mehren, und das Hospital machte sich über den Zeitenwandel hinweg durch die aufopfernde Pflege der Armen und Kranken der ihm erwiesenen Wohl­taten wert.

      Seine lebenskräftige Entwicklung erfuhr eine einschneidende Unter­brechung durch den Reichsdeputationsbeschluß von Regens­burg. Durch ihn wurde im Jahre 1803 das uralte St.-Peters-Stift säkularisiert und samt der Stadt Fritzlar Hessen einverleibt. Nach wechselnden Rege­lungen übertrug das Land durch Präfekturbe­schluß die Verwaltung der milden Stiftungen im Jahre 1810 einer zu bildenden Armenkommission. Eine der ersten erfolgreichen Bemü­hungen der Armenkommission be­stand darin, im Minoritenkloster, welches gegen den Hankratschen Stiftshof eingetauscht worden war, eine neue und bessere Unterkunft für die Pfründner (Altenheim) des Hospitals zu finden und die Ge­bäude am Mühlengraben nur noch für den zwischenzeitlich zum Meier­hof gewordenen landwirt­schaft­lichen Betrieb zu nutzen. Aber diese Neuregelung erfüllte nur zum Teil die an sie geknüpften Hoffnungen.

      Zwar waren die Unterkünfte der Pfründner verbessert worden, es mangelte jedoch an Personal, das die Insassen zur Verträglichkeit, Sauberkeit und die Arbeitsfähigen zur Erfüllung ihrer Pflichten anhielt. Der als Spitalsvorsteher bestellte Stadtwacht­meister konnte sich nur wenig um seine Schutzbefohlenen küm­mern, und so vertranken diese nicht selten ihr Geld und gingen dann betteln. So waren die Zustände im Hospital nicht gerade die besten, als es dem damaligen Dechant Henkel gelang, mit dem Mutterhaus der Barm­herzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul in Fulda ein über­einkommen zu treffen, wonach zwei Schwestern nach Fritzlar entsandt werden sollten, um dort mit Unterstützung eines Knechtes und einer Magd die „erbärmlichen Zustände" wieder in Gang zu bringen. Am 24. September 1849 trafen die Schwestern in Fritzlar ein, und mit ihnen kam die erhoffte Wende in der Armenpflege für die Stadt Fritzlar.

      Mehr noch als die von ihnen erlassene Hausordnung war es das von ihnen gelebte Vorbild, das die schon etwas verwilderten Pfründner wieder in einen geordneten Alltag zurückführte und die 12 Kinder - 4 Knaben und 8 Mädchen -, die in der neuerrichteten Waisen- und Fürsorgeabteilung untergebracht waren, ein neues, oft besseres Zu­hause finden ließ. So kann es auch nur als gradlinige Entwicklung ge­wertet werden, daß bereits im Jahre 1850 eine dritte Schwester nach Fritzlar geschickt werden mußte, um sich der ständig wachsenden Kin­derschar - im Jahre 1855 waren es 35 Waisen - anzunehmen. Die preußischen Kulturkampfgesetze haben diese Entwicklung nur hem­men, aber nicht aufhalten können. Obwohl das mit ihnen verknüpfte Verbot von Erziehung und Unterricht durch katholische Ordensgeist­liche selbst vor den Waisenhäusern nicht haltmachte, haben die Schwestern schon bald ihre Tätigkeit wieder aufgenommen und ihre Kinderabteilung in eine Fürsorge- und Kommunikantenanstalt er­weitert.

     Schon das Notjahr 1854 hatte die anfängliche Scheu und vielleicht auch hie und da in Teilen der Bevölkerung aufflackernde Gegnerschaft gegenüber den Schwestern in eine breite Zustimmung gewandelt. über mehrere Monate hindurch linderten sie die Not, und die in alten Auf­zeichnungen festgehaltenen Zahlen über die Ausgabe von 17 166 Por­tionen Suppe und 8780 Portionen Brot, allein vom Februar bis Juli 1854, veranschaulichen das Ausmaß ihrer Hilfe an die an ihre Pforte klopfenden Armen jener Zeit.

      „Daß das segensreiche und erfolgreiche Wirken der Barmherzigen Schwestern in jeder Beziehung den Erwartungen entspricht, liegt vor aller Augen und kann sich davon jeder Fremde, der die Armenanstalt betritt, vollkommen überzeugen.“

      So bezeugt Dechant Mehler in einem Bericht im Jahre 1860 die Tä­tig­keit der Schwestern.

      Der Übergang Hessens an Preußen brachte im Jahre 1868 die Ver­legung einer Artillerie-Abteilung nach Fritzlar. Die sich hieraus er­gebende Unterbringung eines Militärlazaretts im Hospital im Jahre 1869 war für die Entwicklung des Hauses von entscheidender Bedeu­tung. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Hospitalkran­kenpflege wurde durch diese in damaliger Zeit als Auszeichnung geltende An­erkennung weiterhin gefestigt. Die Entsendung einer weiteren Schwe­ster aus dem Mutterhaus folgte, und beträchtliche, in erster Linie der Krankenversorgung dienende Umbauten stellten die Kranken­pflege mehr und mehr in den Vordergrund.

      Im Jahre 1897 wurde eine eigene Station für Hauskranken­pflege an­gegliedert, eine Tätigkeit, die von den Schwestern bis dahin nebenbei besorgt worden war, der die Bevölkerung großes Vertrauen entgegen­brachte.

      Die Bestandssituation im Jahre 1907 stellte sich mit folgenden Betten­zahlen dar: 35 Betten für Kinder, 10 Betten für Alten­fürsorge, 15 Betten für das Lazarett und 10 Betten für sonstige Kranke.

      Bald darauf brach der erste Weltkrieg aus, und die Schwestern, zu deren Aufgaben es gehörte, die Wunden zu heilen, die der Krieg schlagen würde, standen nicht abseits von diesem das Schicksal des Volkes berührenden Geschehen. Die Kinder wurden in das alte Amts­gericht umgesiedelt und im Hospital ein Kriegslazarett mit 130 Betten eingerichtet. Unversehens war damit das Hospital zum Krankenhaus geworden, und das ist es seit jenen Jahren auch vor allem geblieben. Auch die Auflösung des Kriegslazaretts im Jahre 1920 und die Rück­führung der Kinder haben diese Entwicklung nicht mehr rückgängig machen können. Schon im Jahre 1930 mußten die Kinder erneut, diesmal in das Obergeschoß des Kindergartens am Domplatz, um­ziehen, um ihren Platz für die Aufstellung weiterer Betten und ärzt­licher Behandlungsräume nunmehr endgültig frei zu machen. Die Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sind am Hospi­tal zum Heiligen Geist nicht spurlos vorübergegangen. In vielfältiger Weise hat man versucht, in die Verfassung der Stiftung einzugreifen und das Hospital in die Machtsphäre des Staates und der National­sozialistischen Partei einzubeziehen. Das ist dank der entschie­denen Haltung der Vorsitzenden der Armenkommission nicht gelun­gen. Sicher ist auch der zweite Weltkrieg dann mit ursächlich dafür gewesen, daß die Schwestern, auf deren Hilfe man in Notzeiten nun einmal nicht verzichten konnte, von weiteren einschneidenden Mißhelligkeiten ver­schont geblieben sind.

      So ist (wie wir gesehen haben) aus dem mittelalterlichen Hospital über das unzulänglich spezialisierte Landkrankenhaus ein Krankenhaus unserer Zeit geworden. Fürwahr keine stürmische Entwicklung, dazu hat es zu allen Zeiten am notwendigen Geld gefehlt. Dafür aber auch kein nach Normen gebautes und betriebenes Krankenhaus, sondern ein Haus, das sich über die Zeitläufe hinweg seine Individualität be­wahrt hat. Eine Individualität, die frei ist von falsch verstandenem Prestige in der Selbstdarstellung. Vielmehr ein Haus, das eingebettet ist als Hort der Geborgenheit im Bewußtsein der Bevölkerung. Das in das Heute hinübergerettet hat, was die Schwestern vor nunmehr 125 Jahren mitgebracht haben: eben jenen Glauben, der mit und in seinen Werken lebt, einem Glauben, dem wir überall dort begegnen, wo Barmherzige Schwestern wirken, einem Glauben, den wir auch im Altersheim St. Peter, im Kindergarten und im Kinderheim finden, über­all, wo es gilt, Krankheit, Gebrechen und Not zu lindern oder zu helfen, damit das Leben schöner wird.

 

ANMERKUNGEN

1. Urkunde vom 9. 3. 1147, Landesbibliothek Kassel

2. Urkunde vom 29. 6. 1254, Stiftsarchiv

3. Falkenheiner, S. 341 

4. Stiftsarchiv (Urkunde) 158

5. West. Urk. Buch IV 2363

6. Stiftsarchiv

7. Falkenheiner, S. B. 46

8. In der Säkularisation wurde die Aufhebung des Klosters verfügt.

9. Eine neuere und detailliertere Darstellung zur Geschichte des Ursulinenklosters hat Frau OStR Dagmar Lohmann erst kürzlich               verfasst.

 

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