Vorbemerkung

Bei der Durchsicht des digitalen Zeitungsarchivs aus den Beständen des Regionalmuseums Fritzlar (derzeit etwa 91.000 Einträge) stieß ich auf die Photokopie eines Typoskriptes, das uns aus dem Nachlass von Ludwig Köhler überliefert worden ist. Es handelt sich entweder um den Entwurf zu einem Artikel für den damaligen "Fritzlarer Kreisanzeiger" oder eine Abschrift davon. Ob dieser je erschienen ist, wurde noch nicht nachgeprüft. Der Text fällt mit 1934-1935 in eine Zeit, in welcher die Herausgabe der lokalen Publikation von der Druckerei Huhn in Fritzlar zur Druckerei Olmes in Homberg/Efze wechselte, und die Redaktion nicht mehr so häufig über Fritzlar, geschweige seine Geschichte, berichtet hat. Der Name des Autors geht aus der Kopie nicht hervor, nach einer Literaturliste von Heer im Wochenspiegel Nr. 18/04, vom 01. Mai 1970, S. 1-2, soll es sich bei dem Schriftsatz um eine Arbeit des Stadtarchivars K. J. Thiele ("KA"?) handeln. Deutlich wird aber eine profunde Belesenheit und Sachkenntnis zu diesem Thema. Ganz offenkundig zitiert Heer später in seinem Wochenspiegel-Artikel vom 22. Mai 1970 aus diesem Text.
                                                                         Die Orthographie wurde übernommen, offensichtliche Tippfehler korrigiert.

- Fritzlarer Kreisanzeiger 1934/35 -

Mittelalterliche Gebäude in Fritzlar

DAS RATHAUS

Unter den mittelalterlichen Baudenkmälern Fritzlars ist das Rathaus eines der merkwürdigsten, Obwohl in ihm die Reste des ältesten Rat­hauses und ältesten öffentlichen Amtshauses Deutschlands stecken, wurde es seither wegen seines nüchteren Aussehens wenig beachtet.
      In dem heutigen Bau sind noch erhebliche Teile eines älteren, der r o m a n i s c h e n Zeit angehörenden Bauwerkes erhalten. Diese Teile, die sich an der heutigen Eingangsfront durch ihr glattes Mauerwerk auszeichnen, müssen auf Grund stilistischer Merkmale noch in das 11. Jahrundert ge­setzt werden. Hier befindet sich eine quadratische, von einem Rundstab umrahmte Fläche, dessen Ornamententranken nach ihrer Formengebung jener Zeit angehören. Die innere Füllung, welche wahrscheinlich ein Wappen war, ist leider nicht mehr vorhanden. Dieser südliche Flügel stellt das erste Rathaus dar, das innerhalb der die Klosterfreiheit nach Norden um­schließenden Mauern lag. Weil es sich in der Reihe der das Cimiterium um­ge­benden ehemaligen Mönchszellen, der späteren Stiftskurien befindet, nach diesem den Ausgang hatte und später Zins an das Stift entrichtete, liegt die Vermutung nahe, daß wir in ihm die älteste bischöfliche Pfalz zu erblicken haben, die auch Sitz der Vicedominus war.
      Dieses alte Amtsgebäude wird zuerst in einer Urkunde vom Jahre 1109 als "pretorium" erwähnt. Als nämlich im Jahre 1109 Erzbischof Rmthard von Mainz die von den Thüringischen Gisonen gekränkten Rechte der Fritzlarer Altarhörigen in Gegenwart ihres Vogtes Werner von Gruningen wiederher­stellte, setzte er fest, daß diese nur dem Vogte, welcher bannum regis habe, nur "in frideslariensi pretorio" 3 mal jährlich Rede zu stehen hätten. Auch 1354 findet es sich unter diesem Namen noch. Als am 20, Oktober dieses Jahres der Fritzlarer Bürger Herebordus gen. der Roden einen Altar in der heutigen Bonifatiuskapelle (damals Marienkapelle) stiftete, wird diese be­zeich­nte: in cymiterio ecclesie Fritzlariensis sita et ipse ecclese contra pretorium ejusdem opidi. Eine dieselbe Kapelle betreffende Urkunde von 1463 nennt diese "…uff deme kirchhobe keyn deme radthuse". 
      Das Rathaus hatte eine nach Westen vorgelagerte, etwa 4 1/2 m tiefe und 10 m lange, auf Pfeilern ruhende Vorhalle, welche die alte, öffent­liche Gerichtsstätte bildete. In ihr fanden leicht 60 - 80 Menschen Platz. Mit dem Rathaus war die Vorhalle später durch zwei große Rundbogenöffnungen verbunden. Nach dem Ausbau der städtischen Verfassung ging das alte Pretorium, als gegen 1200 die Hoffsiedlung in eine von Mauern umgebene Stadt umgewandelt wurde, in die Hände der Stadt über und diente dann, in seiner Gestalt noch lange unveränderlich, als Rathaus. Mit dem Wachsen der Stadt nahmen auch die städtischen Geschäfte einen immer größeren Umfang an. Nach dem Falle der ältesten Stadtmauer, die das Rathausgrund­stück durchschnitt, wurde der nördliche Flügel hinzugefügt. Es muß dieses bald nach 1300 geschehen sein. Da aber das alte Rathaus den Anfor­derungen der Gegenwart nicht mehr genügte, kaufte der Rat 1306 vom Pherner de vahele das unterhalb des Hauses der Krämer in der heutigen Spitzenμasse liegende Gebäude als sogen. "Audienzhaus".
      Um die Mitte des 15. Jahrhunderts machte das Anwachsen des stä­d­ti­schen Verwaltungswesens einen Umbau des Rathauses notwendig. Man schob den Nordgiebel 6 Meter hinaus, brach die Halle ab, schloß die Durch­bruchsbögen und verlegte das Gericht in die inneren Räume des Gebäudes. Der massive Unterstöck erhielt damals die Form, in der er - die Südwand ausgenommen - noch heute erhalten ist. Aus Zeichnungen aus dem ersten Drittel der vorigen Jahrhunderts ergibt sich, daß dem steinernen Unterbau ein überaus malerisches Fachwerkobergeschoß aufgesetzt war, das auf der Südseite durch einem mit drei zierlichen achtseitigen Türmchen geschmück­ten Giebel einen wirksamen Abschluß hatte. Das hölzerne Stockwerk war vor­ge­kragt und mit vergitterten Fenstern versehen. An dem Steinbau sieht man noch heute die Falze, in denen einst die den Bau stützenden Knaggen ruh­ten. Die Hauptfront war nach Süden gegen die St. Peterskirche gerichtet. Eine große Freitreppe führte zu dem Spitzbogenportal, über dem das Relief angebracht war, das die heutige Vorderfront ziert. Es stellt den hl. Martin, den Schutzpatron der Erzdiözese Mainz zu Pferde dar, wie er seinen Mantel mit einem Bettler teilt. Die daneben knieende Figur ist der Stifter des Bild­wer­kes, der spätere Bürgermeister Johannes Katzmann. Seit 1652 hatte das Relief unbeachtet in einem Winkel des Rathauses gestanden; 1875 wurde es wieder "entdeckt" und neu in Farben gesetzt. - Unter der Freitreppe an der Südseite befand sich ein kleiner gewölbter Gefängnisraum mit großer vergit­terter Lichtöffnung nach dem Friedhofe hin, in den Akten der damaligen Zeit “Narren= oder Thorenkasten" genannt; später war er noch mit scharfen Latten ausgestattet. Rechts und links der Eingangstores vom Friedhofe aus lagen die kleinen Audienz und die Parthiestube. Dann folgte der große Raum, in dem sich die durch die Glocke zusammengerufenen Bürger zum Anhören der Bekanntmachungen des Rates versammelten. Zu diesem Raum konnte man auch von der Spitzengasse aus durch das jetzt vermauerte Tor über eine hölzerne Treppe gelangen. In der Nordwestecke dieses Stockwerkes lag die Geschoßstube, in der auch das Stadtarchiv verwahrt wurde, in der Südwestecke die sogenannte "Jakobskammer", ein Bürgergewahrsam. In dem malerischen Fachwerkgeschoß lagen die große Audienz d. i. der große Gerichtssaal und vier kleinere Räume. Der darüber liegende Boden diente zum Lagern der städtischen Fruchtvorräte. 
      Im massiven Unterstock lagen in der Südwestecke die große und die kleine Weinstube; letztere wurde 1756 noch zum Gefängnis eingerichtet. In der großen Remise unter dem Nordflügel hing die große Stadtwage. Auch die Löschgeräte waren darin verwahrt. Der tiefe schöne Keller hatte ehedem als "Ratskeller" eine besondere Bedeutung; vor seinem Eingang stand eine Garküche, die 1631 beseitigt wurde. Die kleinen Fenster waren vergittert und hatten Ladeverschluß. Der Keller gehörte noch der romanischen Zeit an.
      Als größtes Profangebäude der Stadt diente das Rathaus in älterer Zeit auch dem Handelsverkehr und den aus Kaufleuten und Handwerkern beste­henden bürgerlichen Niederlassung als Handelsmittelpunkt. So zahlte z. B. die Michaelsgilde nach dem Zinsbuch von 1387 eine Abgabe von "deme ort an deme kirchhobe". Das Zinsregister des Stifters sagt: domus praetorii solvit 1 talentum michaelis et pascce quot fratred sancti michaelis expediunt.
      Auch von den cameris sub pretorio ist in den Kalendarien des 14. Jahr­hun­derts die Rede. Die Gilde scheint an Markttagen das Altrium als Ver­kaufs­halle benutzt zu haben. An diesen Tagen wurde auf dem Rathause getanzt.
      Auch die Zunftabrechnungen wurden in früherer Zeit auf dem Rathause vorgenommen; z. B. am 16. Mai 1670 proponiert Leonhard Monius, Vorsteher der Michaelsbrüderschaft. daß die Gilde von altersher berechtigt gewesen sei, ihre Wahl jederzeit neben auch der Rechnung und allerhand vonventionen auf dem Rathaus zu halten. Im vorigen Jahre ist ihnen das Rathaus gesperrt worden. Es fragt darum an, ob man der Gilde fürderhin das Rathaus öffnen wolle, sonst werde er anderweitig sein Recht suchen.
      Die vielfältige Bestimmung des Rathauses verliert sich, als die Stadt wuchs. In besonderen Häusern fanden die Zünfte Aufnahme, die Rüstkam­mer wurde in die Roßmühle, die Wache ins Fleischhaus verlegt. Zu Vergnü­gungen diente das Hochzeitshaus.
      Im dreißigjährigen Kriege wurde das Rathaus hart mitgenommen. 1640 lag lange kaiserliche Einquartierung darin. Im Rathausprotokoll vom 10. Juli 1648 wurd bemerkt, daß während des Krieges "…daß Rhadthauß durch Brandt infioiret undt zur verschiedenen mahles ufgeschlagen undt beraubt worden." 1674 waren das Fachwerk-Obergeschoß und Dach so baufällig, "…daß solches demnägst repariert undt in ein gleich Dach gebracht werden sollen." Der eigentliche Verfall begann aber im siebenjährigen Kriege, wäh­rend dem es als Militärlazarett diente. Zur Wiederherstellung war die durch den Krieg ausgesogene und bettelarm gemachte Stadt nicht in der Lage. Notdürftige Reparaturen wurden indes 1775 und 1779 vorgenommen. Im Jahre 1828 wurde dann der Beschluß gefaßt, das Gebäude wegen Baufällig­keit niederzulegen, aber erst 1839 führte man den Beschluß aus. Glückli­cher­weise wurde davon nur das obere Geschoß betroffen, das Mauerwerk blieb stehen.
      Nachdem das Hochzeitshaus und die Curiammajor längere Zeit den Ver­samm­lungen der Stadtväter ihre Räume zur Verfügung gestellt hatten, wurde 1849 der Beschluß gefaßt, die Rathausruine wieder aufzubauen und in den Jahren 1850-52 trotz der seitens der staatlichen Baubehörde ge­machten Schwierigkeiten in allerdings sehr nüchterner Form zur Ausführug gebracht. Leider wurde hierbei die südliche Giebelmauer mit Treppe und Eingangsportal ausgebrochen und durch Fachwerk ersetzt.
      In dem Erdgeschoß ist der überaus wertvolle Rest des ältesten deut­schen Rathauses aus romanischer Zeit erhalten. Da es den neuzeitlichen Bedürfnissen nicht mehr entspricht, wäre eine Wiederherstellung unter peinlicher Erhaltung des jetzigen Bestandes auf Grund der vorhandenen Abbildungen wünschenswert.

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