W A R T B E R G Museum 3
Zur Technik der "Gewebeabdrücke" auf der Wartberg-Keramik.
Ein Diskussionsbeitrag
Seit dem Bekanntwerden der neolithischen Keramik vom Wartberg zwischen, Kirchberg und Gleichen (Schwalm-Eder-Kreis) im Jahre 1858 ist mehrmals auch die Frage nach der Techrık der Rauhung bzw. "Verzierung" an den Gefäß-Unterteilen gestellt worden, die etwa zehn Prozent des bis jetzt geborgenen Materials ausmacht.
Die unter der Bezeichnung "Matten-" oder "Gewebeabdruck" in die Literatur eigegangene Keramik, für die W. Schrickel in Anlehnung an meine Versuche und Erläuterungen mit meinem Einverständnis den Begriff "Abgerollte Abdruckzier" verwendet (obwohl dies ein Wortungeheuer darstellt), scheint auf den ersten' Blick mit einem Gewebe behandelt worden zu sein. F. M. Claudius kam 1861 und O. Gerland 1876 zu der Meinung, daß die "Verzierung" mit einem Reisigbesen eingedrückt worden sei, und P. Reinecke vermutete 1899, daß man sie durch Geweihabdrücke hervorgerufen habe. Andere, so auch K. Schlabow, meinten, es handele. sich um eine "Zufallserscheinung".
Da' die so "verzierte" Keramik, wie erwähnt, etwa zehn Prozent ausmacht, kann der Zufall ausgeschlossen werden. Aufgrund des reichhaltigen Material im Fritzlarer Museum kam man in der Arbeitsgemeinschaft_ für Ur- und Frühgeschichte schon um 1960 von dem Begriff "Mattenabdruck" ab, der auf keinen Fall zutreffen kann. In Ermangelung etwas Besseren behielt man die Bezeichnung "Gewebeabdruck" bei, da sie offenbar den Tatsachen am nächsten kam.
Meine Untersuchungen haben bereits_ Anfang der Sechzigerjahre ergeben, daß auch dieser Terminus großer Wahrscheinlichkeit nicht in Frage komm. Mit den nachstehenden Erläuterungen kann der Begriff "Gewebeabdruck" zwar nicht völlig widerlegt werden, da es zumindest einige Scherben; die eine solche Techník nicht ausschließen. Für den größten Teil dieser Keramiks darf die "Abgerrollte Abdruckzier" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Beim Betrachten der Eindrücke kann man feststellen, daß -solltees sich um Gewebe handeln- wohl die Ketten-Fäden zu sehen sind, nicht aber der Schuß. Hinzu kommt, daß die Abdrücke der "Fäden" stellenweise übereinander liegen. Das wäre an sich kein Umstand, der gegen Gewebe sprechen müßte, denn man kann auch engmaschiges Gewebe so abdrücken, daß Kette und Schuß nicht zu unterscheiden bzw. zu sehen sind und daß die Fäden übereinander liegen.
Indes stört jedoch auch die Dicke der Fadenabdrücke in einer Gedankenverbindung mit Gewebe. Selbst sehr grobe Sackleinwand, auf plastiisehem Untergrund abgedrückt, sieht ganz anders aus.
Gelegentliche Versuche, Abdrücke der sogenannten Lockeren Wickelschnur auf Riesenbechern der Einzelgrabkultur zu rekonstruieren, brachten mich auf den Gedankerfı, die um ein Hölzchengewíckelte grobe Schnur auf Ölton a b z u r o l l e n. Das Ergebnis verlockte zu weiteren Versuchen, die schließlich dazu führten, daß durch das und Hin- und Herollen der Wickelschnur mit seitlicher Versetzung eine beinahe identische Ähnlichkeit mit den Originalabdrücken auf der Wartbergware erzielt wurde.
Der Vergleich läßt sich verständlicherweise am besten an großen Scherben feststellen„ weil die Schnur-Spuren immer nur bestimmte Strecken parallel verlaufen und dann neu ansetzen. Leider gibt es unter dem Wartberg-Material. nur verhältnismäßig kleine 5cherben und zum großen Teil erheblich verwaschene Abdrücke. Nur wenige Scherben lassen sich zu einer größeren Fläche zusammensetzen. Vom Hasenberg hingegen, der ebenfalls einen kleinen Prozentsatz Keramik mit "Abgerollter Abdruckzier" brachte, ließen sich Scherben zu größeren Stücken zusammenfügen, auf denen die Abdrücke sehr gut verfolgt werden können.
Wenn meine Theorie stimmt, dann sind die vermutlich feuchten Tongefäße der Wartberg-Ware mit einer Wickelschnur bearbeitet worden. Dazu benutzte man offenbar grob und unregelmäßig gedrehte Fäden. Es gibt Scherben, auf denen man sogar noch die groben Fasern der Schnur, die ähnlich wie bei einer groben Hanfschnur seitlich abstanden, als Eindrücke sehen kann.
In Verbindung mit anderen Schnurverzierungeni auf neolithischem Wartberg-Material wird hier ein "Verzierungs"-Element sichtbar, das als Kriterium einer ganzen Kultur gilt.
Im Zusammenhang inzwischen erfolgten Erwähnungen der "Abgerollten Abdruckzier" durch R. Gensen und W. Schrickel. ist die Feststellung notwendig, daß die Veröffentlichung- der Ergebnisse meiner Versuche immer wieder durch mich selbst hinausgezögert wurde, weil sich den- schlüssigen Beweis für meine Theorie noch nicht gefunden hatte.. Obwohl es sich hier nur um einen Diskussionsbeitrag handelt, bin ich doch davon überzeugt, daß meine Überlegungen richtig sind.
Hans Heintel
Fritzlar, im Sommer 1970.
N a c h t r a g : Inzwischen hat W. Schwellnus (Wartberg-Gruppe und hessische Megalithik, 1979) die oben beschriebene "Verzierung" (er spricht von "Rauhung", was nicht zu widerlegen ist) wie folgt, bewertet (Seite 36, unter Vf2 links oben): "Es handelt, sich eindeutig um Abdrücke, die durch das Rollen eines länglichen Gegenstandes in verschiedenen Richtungen hervorgerufen wurde. Nach eingehender Uberprüfung der größeren Scherben mit Rauhung und Abdruclızversuchen in Plastilin muß es sich bei dem Gerät um eine Geweihsprosse gehandelt haben." So weit Schwellnus.
Ich habe mich mit Schwellnus unterhalten, habe ihm meine Theorie erläutert und meine Versuche durch Beispiele untermauert. Er ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen, obwohl ich ihm schlagend beweisen konnte, daß Geweihsprossen beim Abrollen u.U. eine gewisse Regelmäßigkeit hervorbringen, niemals aber diese Gleichmäßigkeit wie Schnüre, und daß Geweihsprossen keine Fasern einer gedrehten Hanf- oder Bastschnur erkennen lassen (können).
Alles das schließt natürlich nicht aus, daß die Wartberg--Leute damals "sowohl als auch" verfahren haben. Das aber müßte genau untersucht werden.
Was immer wieder verwundert" ist, daß sogar namhafte Wissenschaftler sich selbst in eine Richtung zwingen, die. in die Irre führt. Schrickel wie auch Schwellnus haben das Material im Fritzlarer Museum zwar "in Augenschein genommen", im Detail studiert haben sie es nicht.
Hans Heintel
Fritzlar, im Frühjahr 1980
L i t e r a t u r :
Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 1876 III S.7 -Pinder- u. 1904/5 S. 52 - Boehlau-; Pinder, Bericht S.10/11 u. S,19, IV mit Taf. II. 1-36.
Reinecke, Zeitschrift für Ethnologie XXXI .1899, Verhandl. S . 506 ff, erwähnt Wolff, Zeitschrift für hessische Geschichte 50 S. 114, Anm. 1.
"Regenbogenschüsselchen" vom Wartberg in der Sammlung des Kasseler Landesmuseums erwähnt Wolff: Die geogr. Voraussetzungen der Chattenfeldzüge des Germanikus. Zeitschr. des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 5 V, S.102. Vgl. auch Rommel, a.a.O. Bd. 1, Heft 2 (1936) S. 88.
Scherben- und. Knochenfunde vom Wartberg lagen 1935 im. Kasseler Landesmuseum unter Inv. Nr. 3375 in Kiste VI. (aus Notíızen von W. Jordan, Mainz, Kreyßigstraße 8, später Dissen am Teutoburger Wald).
F U N D M A T E R I A L V O M W A R T B E R G
Stand 1966:
in Fritzlar rund 13.600 Artefakte = 68 Prozent
in Marburg rund 4.400 Artefakte = 22 Prozent
in Kassel rund 2.000 Artefakte = 10 Prozent
(unter Artefakte sind auch einfache Scherben zu verstehen)
Fritzlar hat also bei weitem das meiste Material, das sich bis 1970 noch wesentlich erhöhte (ca 17.000 Artefakte insgesamt). Auf den Tafeln in W. Schrickels Buch ist Fritzlar jedoch nur wie folgt beteiligt:
Keramik 36,5 % (M.= 24,8; K.= 38,3)
Steinwerkzeuge 67,8 % (M.= 21,4; K.= 10,7)
Knochenwerkz. 36,8 % (M.= 7,9; K.= 55,2)
Der Anteil der Fritzlarer Bestände an den Tafeln beträgt unter. Beriicksichtigung der Gesamtzahl von 565 abgebildeten Stücken nur 241 = 42,7 %. Kassel hingegen hat, obwohl nur 10 % der Funde, 34,1 % Anteil an den Tafeln, und Marburg bei 22 % Fundanteil 130 Darstellung, also 23,1 %.
Nur bei den Steingeräten entspricht der Fritzlarer Anteil dem Gesamtfundbestand, und das wohl nur deshalb, weil Fritzlar in der Tat so gutes Material hat, daß man es beim besten Willen nicht übersehen kann.
Unverständlich ist der geringe Anteil Fritzlars an der Keramik und der unverhältnismäßig hohe Anteil von Kassel und Marburg. Die Funde im Fritzlarer Museum sind in Qualität und Aussagekraft keineswegs schlechter. Im Gegenteil: sie sind ungleich besser! Ich kann das mit gutem Gewissen sagen, denn ich habe das Material in Kassel und in Marburg gesehen.
Hans Heintel
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E-Mail: holzheim@aol.com und fritzlar-fuehrungen@gmx.de
Titeldesign: nach Kathrin Beckmann
Dank an Karl Burchart, Horst Euler, Marlies Heer, Klaus Leise. Wolfgang Schütz und Dr. Christian Wirkner für Hinweise und Tipps, Johannes de Lange für die Scan-Vorlagen
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