Vorbemerkung

Im Laufe der 1960er Jahre wurde immer deutlicher erkennbar, daß sich der Rolandsbrunnen, insbesonders die Statue des gewappneten Ritters auf der zentralen Säule, in einem beklagenswerten Zustand befand. Ältere "Verschönerunsgarbei-ten" (wie z. B. ein "Schutzanstrich" mit dunkler Farbe) hatten der Steinskulptur eher zum Schaden gereicht. So kam es, wohl noch unter dem Bürgermeister Emil Geismar, zu dem Beschluss eine Grundrestaurierung, z. T. sogar einschließlich Ersatz maroder Teile, der Anlage durchzuführen. Anfang Juni 1971 war es dann soweit, und der "neue Roland" bzw. der insgesamt instand gesetzte Brunnen wurde mit einem öffentlichen Akt feierlich eingeweiht. Dieses Ereignis bildet die Wurzel des bis heute alljährlich stattfindenden "Brunnenfestes". Die Vorfreude äußerte sich bereits in diversen Texten der Bürger, so auch in einem langen Gedicht des seinerzeitss prominenten Lokalpolitikers Eberhard Faupel, die auch im Wochenspiegel veröffentlich wurden. So lag es nahe, daß sich der kenntnisreiche Heimatforscher Bäckermesiter Hans Josef Heer, einer der Initiatoren für die stadtgeschichtliche Abteilung im damaligen Heimatmuseum (Ur- und frühgeschichtliche Sammlungen), ebenfalls fundiert zu Wort meldete und den Stand der Forschung referierte.

WOCHENSPIEGEL Nr. 05/24 vom 11. Juni 1971, S. 1-3

Der Rolandbrunnen, ein Rechtswahrzeichen aus Fritzlars Vergangenheit

Da unser Rolandbrunnen eine durchgreifende Renovierung erhalten hat und jetzt wieder die Zierde des Fritzlarer Marktplatzes ist, tritt allgemein die Frage auf, wer wohl diesen Brunnen erstellte, und was hatte er für eine historische Be­deutung.

      Die Brunnenanlage im Renaissancestil, einen sieben Me­ter breiten Kumpf mit einer wasserspeienden Säule, auf dessen obersten Podest der Roland als Krönung steht, nennt uns mit der Jahreszahl 1564 sein Alter und mit dessen ver­schiedenen Wappen seine Auftraggeber und Erbauer. Da wä­re das Wappen des damaligen Stadtherrn, Kurfürst Daniel Brendel von Homburg, links davon das Fritzlarer Stadtwap­pen und rechts das Wappen des Mainzer Erzstiftes als Auf­traggeber zu nennen. Zwei weitere-Wappenschilder zeigen uns die Steinmetzzeichen von den Erbauern dieses Brunnens.

      Das erste Steinmetzzeichen könnte nach den "Hessischen Hausmarken" von Hermann Knodt, herausgegeben 1967, unter Nr. 432 ein Frank Nickel, 1588 Steinmetz zu Schlitz, gewesen sein. Das zweite Steinmetzzeichen wurde von Dr. W. Kramm in seinem Aufsatz "Hessische Bildhauerwer­ke seit der Reformation bis zum 30jährigen Krieg" in den "Heimat-Schollen", Heft 3, 1934, Seite 29 ff, mit einer Großabbildung des Fritzlarer Rolandsbrunnen beschrieben; es handelt sich um den Kasseler Steinmetz Ludwig Koch. Ei­genartigerweise sind beide Steinmetzzeichen in Spiegel­schrift am Rolandbrunnen eingemeißelt.

      Was ist nun ein Roland, und was hatte er für eine Bedeu­tung in den alten Städten ?

Dr. W. Medding schreibt 1937 im Heft 1 der "Hessi­schen Heimat" über den "Roland von Korbach", Seite 15-20, in dem auch der Fritzlarer Rolandbrunnen besprochen wird, wie folgt­: "Aus dem alten Gerichtspfahl, dem "Judicium Malli", ist die Rolandsäule entstanden und hat erst allmählich im Laufe einer langen Entwicklung mensch­liche Züge und die Form eines Ritters angenommen. Die Rolandsäule hatte ur­sprünglich nichts mit dem Roland, dem Paladin Karls des

Großen, zu tun. Sie ist erst in viel späterer Zeit auf Grund der Namensverwandtschaft mit ihm identifiziert worden. Der Name entstammt aus dem niedersächsischen "rode land", der alten Bezeichnung der Blutgerichtsstätte."

      Die Deutung des Roland als Sinnbild der Gerichtshoheit und Banngewalt ist von Herbert Meyer in "Neue Forschung zu den deutschen Rechtssinnbildern", Deutsche Literaturzei­tung 58. Jg. 1937, Heft 9/10, Seite 346 ff, vertreten wor­den, der sich gegen jede zu enge Auslegung wendet, Für ihn ist der Roland Sinnbild der städtischen Banngewalt, des Markt- und Gerichtsbannes und Gottesfriedens.

      Die überlebensgroßen und barhäuptigen Rolandfiguren ge­hören sämtlich einer früheren Zeit an, z. B. der von Bremen, Unser Roland von etwa 1, 50 m Größe gehört bereits der Renaissance an, die sich mehrfach mit kleineren Figuren be­gnügte, Die Rolande mit Helm sind gerade in dieser und auch in späterer Zeit nichts Ungewöhnliches, so tragen die Rolande in Korbach, Jüterbog, Perleberg, Calbe, Erfurt, Bederkesa, Bramstedt, Obermarsberg und an anderen Orten gleichfalls Helme. Und ebenso ist die Fahne genau so wie das Schwert das Zeichen der Gerichtsbarkeit gewesen und kommt in der späteren Zeit, der unser Fritzlarer Roland an­gehört, mehrfach vor, so bei den Rolanden in Korbach, in Erfurt und Jüterbog (Über die Bedeutung der Blutfahne als Zeichen der Gerichtsbarkeit vgl. Herbert Meyer "Heerfahne und Rolandsbild", Nachrichten von der Gesellschaft d. Wiss. zu Göttingen, phil. Hist. Kl. 1930, Seite 460 ff. u. 513 ff.).

      Die Anbringung der drei Wappen, Stadtherr, Stadt und Stift am Fritzlarer Rolandsbrunnen hatte keineswegs den Sinn zur Über­lieferung der Auftraggeber, sondern sie dokumen­tierten die Träger des Fritzlarer Gerichtswesens.   

    Ein weiteres Attribut der Rolande ist das Schild; zeigt es wie in Bremen und Fritzlar den Doppeladler des hl. römi­schen Reiches deutscher Nation, so stand dieser Gerichtsort unter königlich-kaiserlichem Schutz. Daß dieses nicht nur große Worte waren, beweist Kaiser Karl IV. in einem Streit zwischen Mainz und Hessen, der wegen der Zerstörung des Halsgerichtes auf den Unrödern bei Frau-Münster-Kirche eingegriffen hat. Hessische Ritter unter Führung von Johann von Linne hatten 1362 auf den Unrödern die Warte nieder­gebrochen und das Fritzlarer Halsgericht, Galgen und Reder abgehauen.

      Im Urteil des Kaisers vom 12.9.1366 wird angeordnet, daß die Gefangenen des Landgrafen und seiner Helfer, mit Ausnahme des Fritzlarer Kantors Otto von Falkenberg, frei seien und die Landgrafen (Vater und Sohn) alle Gebote ge­gen die Straße, die Stadt und die Geistlichkeit zu Fritzlar bis zum 20.1.1367 abschaffen sollen und in der zu Werkel am 2.9.1367 zwischen beiden Parteien geschlossenen Süh­ne wird Fritzlar als Ort des Einlagers für die Schieds-richter bestimmt.

 Interessant für uns ist, daß heute noch zwei weitere Rechts­wahrzeichen in dieser Streitgegend vorhanden sind. Das eine befindet sich etwa an der Grenze zwischen Fritzlar und Werkel an der Bundesstraße 3, ein Gerichtskreuz mit Hand eingemeißelt (Königshandschuh). Bis jetzt hat man es für ein Sühnekreuz gehalten, von denen ja mehrere in Fritzlar und Umkreis vorhanden sind und das Kaiserkreuz bei Kleinenglis am bekanntesten ist. Nach der Forschung von Prof. Frölich in seinem Werk "Stätten mittelalterlicher Rechts­pflege auf südwestdeutschem Boden, besonders in Hessen und den Nachbargebieten" 1938, Seite 31 ff. Abb. 38-40 handelt es sich einwandfrei um Rechtswahrzeichen, die den Grenzen der Gerichtsbezirke ihre Aufstellung fanden; sie besagten, daß hier ein Gerichtsort unter königlichem Schutz steht.

       Das zweite Rechtswahrzeichen ist der Gerichtsstein auf dem Platz vor der Fraumünsterkirche. Frölich schreibt (auf S) in der erwähnten Abhandlung über Gerichtssteine: "Stein, Galgen und Pranger sind Hochmittelalter die Symbole der Blutgerichtsbarkeit, sie begegnen vielfach als Zubehör der sogenannten Dinghöfe oder Güterhöfe, bei denen sie als Wahrzeichen des Gerichtsbanns dienen."

      Gerade das Gebiet um die Fraumünsterkirche gibt uns heute als Gerichtsstätte ganz ungelöste Fragen auf. Merkwürdig ist Erwähnung eines Landgerichts zu Fritzlar bei Fraumünster, das nach einem Schreiben des Erfurter Rates an die Stadt Straßburg vom 3.5.1398, die am 2.9.1397 vor König Wenzel über Erfurt verhängte Acht publiziert haben soll.

      Nach diesen eingehenden Besprechung über den Fritzlarer Rolandbrunnen und beiden anderen Rechtswahrzeichen bleibt nur noch die Frage zu beantworten "War denn Fritzlar im Mittelalter überhaupt ein so bedeuter Gerichtsort?"

      Mit diesen Rechtswissenschaften befaßte sich Dr. E. Demandt in seinem 1939 erschienenen Werk "Quellen zur Rechtsgeschichte der Stadt Fritzlar im Mittelalter" umfangreiche Arbeit von 890 Seiten mit 600 Urkundenschriften, eine "Veröffentlichung der historischen Kon sion für Hessen und Waldeck". Nach dieser Forschung war Fritzlar die bedeutendste Gerichtsstätte Niederhessens im Mittelalter. Folgende verschiedene Gerichte wurden von Demandt in Fritzlar nachgewiesen:

"Das Gerichtswesen im mittelalterlichen Fritzlar umfaßte:

1. die Gerichtsbarkeit des Rates,

2. das Schultheißengericht,

3. die Zunftgerichtsbarkeit und

4. das Holzheimer Gericht.

Ferner kam größere Bedeutung dem Fritzlarer Offizial und den westfälischen Freistühlen zu." Die verschieden Gerichtsarten werden in dem Buche eingehend besprochen. Für unser Thema ist noch folgender Satz von Beachtung: "Im Gegensatz zum Vogteigericht, das am Friedhof seinen Sitz hatte (Rathaus) und dem Propsteigericht, das am Dom abgehalten wurde, ist als die althergebrachte Stätte des Stadtgerichts bereits 1207 der Marktplatz bezeugt."

      Dieser urkundliche Nachweis einer solch frühen Gerichtsstätte am Markt berechtigt zu der Annahme, daß schon vor dem heutigen Rolandbrunnen dort ein Gerichtswahrzeichen stand.  

 

                                                                                                                                                      H. J. Heer ­(Aufnahmen: Heer)

Bei der Restaurierung hat sich ergeben, daß unser Roland an der linken Seite seiner Montur eine leere eiserne Schwerthalterung besitzt. Diese Tatsache läßt darauf schließen, daß er früher wahrscheinlich statt einer Fahne ein Schwert in der Hand trug. Leider sind uns keine Bilder vom Marktplatz aus der Zeit des 16. oder 17. Jahrhunderts erhalten geblieben, auf denen man hätte ersehen können, ob Schwert oder Fahne sein Attribut war. - Der brave hinter den Füßen des Rolandes liegende Löwe sollte wohl symbolisch soviel besagen, daß der hessische Löwe keine Rechte an das unter kaiserlichem Schutz ste­hende Gerichtswesen in der mainzischen Stadt Fritzlar hatte.

 

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