Vorbemerkung

Über den Prähistoriker und Geologen Otto Wilhelm Martin Jordan (1903-1983) gibt es im Zusammenhang mit seiner durchaus kritikwürdigen Laufbahn während des 3. Reiches (darunter seinem Duzverhältnis zu Heinrich Himmler) genügend aufschlussreiche Literatur, so daß dieser Teil seines Lebens hier nur kurz berücksichtigt werden muss. Er entstammte einer protestantischen Kirchenfamilie (sein Vater war Superintendent) in Merseburg und war in seiner Sturm- und Drangzeit Mitglied diverser patriotischer Vereinigungen. Er hat noch in den 1920er Jahren neben kleineren Studienversuchen eine regelrechte handwerkliche Ausbildung genossen, die er als Drechslermeister ab-schloss. Sein (durch die Nachkriegswirren versäumtes) Abitur holt er er 1928 in Marburg nach und studierte von 1929 bis 1933 am Vorgeschichtlichen Seminar der Philipps-Universität bei Prof. Gero von Merhart Vor- und Früh-geschichte daneben Geologie, was er allerdings 1933 ohne Examen beendete. Währenddessen scheint er eine Stelle am Landesmuseum in Kassel innegehabt zu haben. Aus dieser Zeit sind eine Reihe von nicht ganz unbedeutenden archäologischen Unternehmungen in Nordhessen (z. B. Altenritte 1932) überliefert, die er auf eigene Kosten publi-zierte, und die ihm -trotz seines fehlenden akademischen Abschlusses- ein gewisses Renomee einbrachten.
      Aus dieser Zeit stammt auch seine recht enge Bekanntschaft, vielleicht sogar Freundschaft mit August Boley, der als Direktor eine Schule in Großenritte leitete und bereits zuvor in der prähistorischen Heimatforschung tätig gewesen war. Den Kontakt mit der später gegründeten Arbeitsgemeinschaft in Fritzlar konnte er bis in sein hohes Alter halten, denn eigenartigerweise fand Jordan trotz seines problematischen Engagements auf der Wewelsburg bis 1942 und anschließend in der besetzten Ukraine in der neuen Bundesrepublik eine Stelle beim Römisch-Germa-nischen-Zentralmuseum (RGZM) in Mainz, das nach der (wohl woken) Umbenennung uns heute eher als LEIZA bekannt ist. Auch wenn seine Hilfe als Berater der ersten Jahre in der Arbeitsgemeinschaft gern gesehen war, hielt man ansonsten eine eher stille Distanz.
      Der Durchschlag eines Typoskriptes (wahlscheinlich für Boley) stammt wahrscheinlich aus den 1950er Jahren, und beschreibt ein interessantes Phänomen zum Ende der älteren und am Übergang zur jüngeren Latènezeit (LtB2/C1): das systematische Abräumen eines Hausstandes beim Wegzug der Bewohner, wie wir es auch aus der Wüstung Holzheim bei Fritzlar kennen. Die von Jordan angegebene Datierung/Epoche entspricht dem damaligen Stand der Wissenschaft, dabei wird deutlich, daß der eher als "keltisch" anzusprechende Fund von ihm natürlich "germanisch" sein musste (die kamen erst ca. 250 Jahre später), um den Zeitgeist von 1934 Reverenz zu erweisen. Damit stand ihm  1935 die Tür zur Wewelsburg vielleicht auch etwas offener.

Über 2000 Jahre alter Weizen!
Ein seltener Fund bei Oberurff'  
    
                                      von W. Jordan, Landesmuseum/Kassel.                                                                                              

In den "Birkenhohle" bei Oberurff (Kreis Frıtzlar) wird zur Zeit Tonschiefer ab­­ge­fahren, um den schadhaften Hohlweg damit auszubessern. Dabei stießen die Arbeiter unvermutet auf eine große Masse verkohlten Getreides, das sie zwar sofort als Weizen erkannten, über dessen Alter und Herkunft sie sich aber kein rechtes Bild machen konnten. Man einigte sich auf den dreißigjährigen Krieg und maß der Sache keine große Bedeutung zu. Ein kleines Napfgefäß, das sogar vollständig erhalten über dem Getreide gefun­den war, wurde in Unkenntnis seiner Bedeutung zerbrochen und kam unter die Räder. Glücklicherweise aber hörte der Lehrer des Ortes noch einíger­maßen rechtzeitig davon man konnte den zuständige Vertrauensmann für Kulturgeschichtliche Bodenaltertümer, Prof. von Merhart, in Marburg, be­nach­rich­tigen und die Arbeit an der Fundstelle bis zur sachgeımäßen Unter­suchung einstellen Iasssen. Am Freitag wurde daraufhin auch das Landes­museum elne Ausgrabung vorgenommen, bei der sich folgendes ergab:

      In den gewachsenen Tonschiefer war eine annähernd zylindrische Grube von 1.25 m Durchmesser gegraben, deren etwas muldenförmige Sohle 1.60 m unter der heutigen Oberfläche lag. Der Grund der Grube war 5 cm dick mit Lehm abgedeckt. Zwischen dem Lehm befanden sich einzelne Stücke sog. Hüttenlehm mit Rutenabdrücken, die von dem Wandbewurf einer Flecht­werkhütte herrührten. An die Wand der Grube waren große Scherben

eines Vorratstopfes gestellt, die wohl denselben Zweck hatten wie der Lehm, nämlich die durch den Tonschiefer etwas ungleichmäßigen Flächen auszu­gleichen. In den vorbereiteten Raum war etwa 1/2 bis 2 Zentner Getreide geschüttet und zwar meist Weizen, selten dazwischen etwas Gerste oder dergleichen, der derartig gut erhalten ist, daß man Spelzen und Grannen noch deutlich erkennt. An einígen Stellen lagen einzelne Körner noch ährenförmig zusammen, was vielleicht darauf zurückzuführen ist, daß das Getreide nur mit den einfachsten Mitteln ausgedroschen wurde. Ueber dem Getreide lagen ein paar große Steine und einzelne Gefäßscherben,  darunter die eines Siebgefäßes und einer Schale, die sogar wieder zusammmengesetzt werden kann. Dann folgte eine Schicht verkohltes Holz, in dem sich dünne Brettchen erkennen ließen, und weit und engporiges Holz unterscheiden ließen.  Die obersten Dreiviertel der Grube endlich waren mit etwas steiniger Lehm­erde aufgefüllt.

      Zwei Fragen gab es nun zu lösen: Wie alt ist der Fund, und wie ist er zu erklären? Das Alter ließ sich aus der Art und Form der Gefäße erkennen. Sie stammen aus der vorchristlichen Eisenzeit und zwar der sogenannten Spätlatène Zeit um 300 v. Chr., die bei uns in Hessen besonders zahlreiche Kulturreste hinterlassen hat, zählt man doch an die siebzig Fundplätze und schätzt das bisher aus dem Boden gehobene Material auf über 100 Zentner. Der Zeit und der Form nach wird es sich um germanische Arbeit handeln.

      Die Erklärung des Fundes wird man sich so zu denken haben: Irgendwo in der Nähe befand sich eine germanische Siedlung, ein einzelnes Gehöft oder ein Dorf. In bereits hochentwickeltem Ackerbau wurde großkörniger Weizen, Gerste und Anderes geerntet. Durch Treten oder Flegelschlagen wur­de das Getreide gedroschen und nun nicht in Säcken, sondern in einer

mit Lehm sorgfältig ausgelegten Erdgrube aufbewahrt, bis es nach mehr oder weniger kurzer Zeit auf flachen Sandsteinmühlen gemahlen wurde. Sei es nun, daß das Getreide vorzeitig verdorben ist, es scheint ausgewachsen zu sein, oder aus sonst einem Grund nicht verwertet wurde, man hat es jedenfalls in der Grube gelassen und diese scheinbar als Abfallgrube weiter benutzt, índem man Scherben, Holzreste und Steine hineinwarf. Schließlich wurde sie ganz mit Lehmerde aufgefüllt und im Lauf der Zeit verkohlte Holz und Getreide auf demselben Wege wie auch unsere Stein- und Braunkohle entstanden ist. Daß das Getreide verbrannt sein könnte, ist ausgeschlossen.

Die Form der unzähligen Körner hätte sich auch kaum so gut erhalten, am wenigsten Spelzen und Grannen. Daß in unmittelbarer Nähe der verkohlten Masse der Tonschiefer rot gefärbt war, ist also auch nicht auf Feuerspuren zurückzuführen, sondern vielmehr auf eine chemische Wirkung durch die Ver­kohlung, abgesehen davon, daß vielleicht auch der rötliche Lehmbelag daran beteiligt ist.

      Zur weiteren Untersuchung sind die Funde im Landesmuseum aufbe­wahrt, und wer nach keinen Mumienweizen gesehen hat, braucht nun nicht mehr nach Ägypten zu fahren. Uebrigens stellt dieser Getreidefund nicht den ersten Fund dieser Art dar. Auch in Ockershausen bei Marburg wurde im vo­rigen Jahr in einer vorgeschichtlichen Grube aus der Zeit um 500 v. Chr. verkohltes Getreide gefunden. Es konnte z. T. in einem ganzen Erdblock ausgehoben worden und wird im Vorgeschichtlichen Seminar in Marburg aufbewahrt.

                                                                                  1932

In Altenritte bei Kassel, wo bei der Ausgrabung einer Latène-Siedlung über 20 Abfall- und Vorratsgruben gefunden und untersucht wurden, fanden sich in einer Grube bisher unbestimmte kleine Fruchtkerne von Heidelbeergröße, und in einer anderen zahlreiche verkohlte Haselnuss-Schalen. Freilich so zentnerweise ist in Hessen bisher noch nicht vorgeschichtliches Getreide "geerntet" worden und auch im übrigen Deutschland dürfte der Fund von Oberurff Beachtung verdienen.

                                                                                                                                                                                                                                               Für Marburg ad acta                                                                                                                                                                                                                                                                     bzw.    Museale Arbeitsg.                                                                                                                                                                                                                                                                                    Fritzlar                                                                                                                                                                                                                                                                                               z. Kenntnis oder                                                                                                                                                               Abschrift 1933-34           

(handschriftlich)

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