Am Ausgang des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 ergibt sich zwangsläufig die Frage nach dem Ergebnis. Die Antwort kann nicht mit einer Statistik der in diesem Jahr durchgeführten Veranstaltungen und Kongresse oder der Zusammenstellung der in 1975 erfolgten konkreten denkmalpflegerischen Maßnahmen und auch nicht von der Addition der- dafür in staatlichen, kommunalen und kirchlichen Haushaltsplänen ausgewiesenen Finanzmittel gegeben werden.
Dieses Jahr des Denkmalschutzes wurde von der Rezession der Wirtschaft Europas überschattet. Die Förderungsbeihilfen der Länder und Kommunen wurden nicht oder nicht wesentlich erhöht und ihre Effektivität durch das Ansteigen der Kosten für Bau- und Restaurierungsarbeiten gemindert.
Um im Lande zu bleiben: Beim Hessischen Landesamt für Denkmalpflege wurde nach vielen Petitionen und zähem Ringen der Etat zwar auf 1,2 Mill. DM erhöht. Aber das ist ein Betrag, mit dem man nur einige Meter Autobahn bauen oder zwei Kindergärtenn errichten, aber nicht die Vielzahl der vom Denkmalschutzgesetz dieses Landes erfaßten Monumente wirkungsvoll betreuen kann.
Trotzdem muß die Frage nach dem Ergebnis des Denkmalschutzjahres positiv beantwortet werden. Der Ertrag besteht in einer verbesserten und verbreiterten Bewußtseinsbildung. Denkmalschutz und –pflege werden als Bestandteil des Umweltschutzes begriffen und die Verpflichtung zur Erhaltung des natürlichen Lebensraums auch auf die geschichtlich überkommene kulturelle Umwelt erweitert. Die vielen Bürgerinitiativen mit denkmalpflegerischen Absichten - auch wenn diese gelegentlich in der Form oder in der Zielsetzung über das Machtbare hinauszielen - sind ebenso wie das Interesse breiter Volksschichten an den Problemen der Erhaltung der Baudenkmäler die Dokumentation eines verbreiterten und verantwortlicheren Bewußtseins, das früher nur in einem kleineren Kreis von Fachleuten, Heimats- und Geschichtsfreunden, entwickelt war.
Dabei geht es primär nicht um den ästhetischen Wert oder um den materiellen Gesichtspunkt der Attraktivität der historischen Bauwerke, sondern um die Erkenntnis, daß diese vor allem als Ensembles die geschichtlich gewachsene Umwelt des Menschen darstellen. Es ist der Sinn dafür aufgegangen, daß der Mensch der Gegenwart nicht nur von ahistorischer Technologie und Verhaltensmustern bestimmt wird, sondern in einer geschichtlichen Verwurzelung lebt.
Im Rahmen dieser Denkmalpflege nimmt die Kirche eine gewichtige Funktion ein, weil sie nicht nur Besitzerin eines erheblichen Anteils dieser Kulturgüter ist, sondern weil sie zugleich bei ihrem Zusammenhang von Lehre und Verfassung,echt und Kult mit der geschichtlichen Vergangenheit ihre Denkmalgebäude in dem gleichen Sinn wertet und nutzt, den die Erbauer der Kirchen in früheren Zeiten vorbezeichnet hatten. Dadurch sind die kirchlichen Bauwerke mit einem Lebensinhalt erfüllt, der, solange christliches Bekenntnis besteht, den besten Schutz für ihre Erhaltung bietet. Diesem Tatbestand hat auch das neue Hessische Denkmalschutzgesetz Rechnung getragen und der Kirche eine beschränkte Autonomie für die denkmalpflegerische Betreuung ihres Besitzes zugesichert. Ich darf hier zur Erläuterung den Durchführungserlaß zum Denkmalschutzgcsetz des Hessischen Kultusministers vom 25. April 1975 mitteilen:
„Kulturdenkmäler in kirchlichem Eigentum.
Aufgrund staatskirchenvertraglicher Regelung unterliegen Kulturdenkmäler, die sich im Eigentum der evangelischen oder katholischen Kirche befinden, nicht in vollem Umfang den Vorschriften des Denkmalschutzgesetzes. Nach § 28 Satz 2 DschG sind für kirchliches Eigentum die Tatbestände des § 16 Abs. 1 Nr. 3 DschG („umgestalten, instandsetzen oder in seinen Bestand eingreifen“) nicht der Genehmigungspflicht der unteren Denkmalschutzbehörde unterworfen. Die Kirchen sind in diesen Fällen nach Art. 20 Satz 2 des Vertrages mit den evangelischen Landeskirchen vom 18.2.1960 sowie Art. V des Vertrages mit den katholischen Bistümern vom 9.3.1963 lediglich verpflichtet, vorheriges Benehmen mit dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen herzustellen. Insofern sind die unteren Denkmalschutzbehörden mit der Umgestaltung und Instandsetzung kirchlicher Kulturdenkmäler nicht befaßt.“
Der Gesetzgeber hat jedoch Vorsorge getroffen, daß nicht örtliche kirchliche Instanzen denkmalpflegerische Fehlentscheidungen treffen. In jedem Fall ist bei solchen Maßnahmen die Kirchenleitung einzuschalten. Im übrigen geht es bei dieser Frage nicht um eine rechtliche Ausnahmestellung der Kirche, sondern das Gesetz hat der langjährigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen staatlicher und kirchlicher Denkmalpflege Rechnung getragen. Denn die Kirche selbst hat die Pflege der überkommenen kirchlichen Kunst als eine unverzichtbare Aufgabe betrachtet.
Zuletzt hat das 2. Vatikanische Konzil bei gleichzeitiger Anerkennung der Berechtigung der modernen Kunst im Kirchenbau und seiner Ausstattung die Forderung, erhoben, daß die überkommene historische Kunst mit aller Sorgfalt zu pflegen und erhalten sei. Allerdings ergeben sich, und hier zeigt sich, daß kirchliches Leben nicht erstarrt ist, aus der Liturgiereform gewisse Forderungen für die Umgestaltung der Altarbereiche historischer Kirchen zum besseren Vollzug der erneuerten Liturgie. Es wäre jedoch ahistorisch und ein Bruch mit der kirchlichen Tradition, wenn man aus der Liturgiereform das Recht ableiten wollte, die alten Retabelaltäre zu entfernen und durch einen schlichten Zelebrationstisch zu ersetzen oder die Vielzahl von Nebenaltären in Barockkirchen abzubauen, weil diese für gottesdienstliche Zwecke nicht mehr benutzt werden. Doch diese Altäre sind selbst Architekturglieder und ihre Entfernung würde einen störenden Eingriff in das Gesamterscheinungsbild des historischen Innenraums darstellen.
Aus diesem Grunde wurde bei der Umgestaltung der Kircheninnenräume in allen Fällen der historische Altar als Dominante und in der Regel als Sakramentsaltar beibehalten und diesem nur ein Zelebrationstisch vorgesetzt, der sich in seinen Maßen wie in seiner Gestaltungsform dem dominanten historischen Altar unterordnet.
Eine besondere Problematik ergibt sich aus dem Faktum, daß die historischen Kirchen für die vielfach stark gewachsenen Gemeinden zu klein geworden sind. In solchen Fällen würden Neubauten ohne Bezugnahme auf den geschichtlichen Kirchenraum eine „Be“-Urteilung zu dessen Untergang darstellen.
Deshalb wird bei dieser Problemlage tunlichst eine Erweiterung des vorhandenen Kirchenbaues unter Wahrung der Dominanz des historischen Bestands angestrebt. Erweist sich eine solche Lösung jedoch als undurchführbar, wird die alte Kirche dadurch ins kirchliche Leben einbezogen und in ihrem Bestand garantiert, daß man ihr noch eine Funktion zuweist, Ich darf an die Beispiele von Löschenrod, Maberzell und Niederbieber erinnern, wo die Kirchenneubauten keine eigenen Türme erhielten, sondern die vorhandenen alten Türme als Träger des Geläutes verwandt wurden. Solche Lösungen sind zwar vom rein denkmalpflegerischen her gesehen nicht ideal aber trotzdem optimal.
Auf eine besonders interessante in diesem Jahr durchgeführte Lösung möchte ich Sie aufmerksam machen: Im Ortsteil Obernüst der Gemeinde Hofbieher schien durch einen Kirchenneubau der Untergang der alten Kapelle unaufhaltsam zu sein. In Verbindung mit dem Landratsamt in Fulda und dem Landesamt für Denkmalpflege wurde eine Rettungsmaßnahme wenigstens für den substantiellen Bestand gefunden: anstelle einer baufälligen Kapelle am Rande der Straße von Weyhers nach Schmalnau wurden der Chorraum und der kleine Dachreiter der Kapelle von Obernüst an diese Stelle versetzt.
Glücklicherweise sieht das Hessische Denkmalschutzgesetz keine Wertkategorien der Objekte vor. Eine solche Klassifizierung würde zweifellos die letztrangigen Objekte zum Untergang verurteilen. Auch in der kirchlichen Denkmalpflege wurden die Werke der kirchlichen Volkskunst nicht außer Betracht gelassen. Seitdem der verstorbene Landrat Stieler die Instandsetzung der Bildstöcke und Feldkreuze angeregt hatte, läuft seit einigen Jahren im Bereich des Kreises Fulda eine Sanierungsmaßnahme für diese volkstümlichen Kunstobjekte. Bei der Restaurierung beteiligen sich Bistum, Landkreis und die Gemeinde des Standorts der Bildstöcke mit je einem Drittel an den Kosten der Instandsetzung. Dabei ist Vorsorge getroffen, daß die im Privatbesitz befindlichen Bildstöcke und Feldkreuze von dem Besitzer nach der Restaurierung nicht veräußert oder versetzt werden dürfen.
Über die im Jahre 1975 im Bistum Fulda durchgeführten denkmalpflegerischen Maßnahmen unterrichten Sie die Ihnen in der Anlage übergebenen Listen. Für Detailfragen stehe ich gerne zur Auskunftserteilung zur Verfügung.
Es sei hier auf den Wandel der Wertbeurteilung der sogenannten historisierenden Stile (Neugotik, Neuromanik, Neubarock) hingewiesen. Noch vor nicht allzulanger Zeit galt dieser historisierende Stil als unwertig. Hier zeigt sich die in der Kunstgeschichte immer wieder festzustellende Tatsache, daß die Beurteilung des Kunstwertes nicht nur vom Objekt selbst abhängig ist, sondern daß das Urteil ein Problem der Generationen ist. So hat auch die viel gelästerte Neugotik in den letzten Jahren eine neue Einschätzung gewonnen, und eine Restaurierung, wie sie zur Zeit in der neugotischen Kirche in Nüsttal-Gotthards durchgeführt wird, macht den Versuch, den Innenraum der Kirche im Gesamterscheinungsbild der Neugotik, also auch mit Wiederherstellung der neugotischen Ausmalungen, wieder herzustellen.
Die zahlreichen Meldungen über Diebstähle in Kirchen und der Einbruch in den Kölner Domschatz mit der Vernichtung großartiger Kunstwerke von internationalem Rang zwingen zu einer Stellungnahme zur Frage der Sicherung des kirchlichen Kunstgutes. Eine absolute Sicherung ist nicht möglich. Auch das beste elektronische Alarmgerät kann von einem Gewalttäter ignoriert werden. Oder was nützt ein solches System in einer abgelegenen Kirche: bis zum Eintreffen der Polizei auf die Alarmauslösung vergeht eine längere Zeit, in der die Täter entkommen sind. Es wird immer wieder der Vorschlag gemacht, gefährdete Objekte aus den Kirchenräumen herauszunehmen und in den Pfarrhäusern aufzubewahren oder als Leihgaben an kirchliche Museen zu geben. Abgesehen davon, daß auch in diesen Aufbewahrungsorten das Risiko des Diebstahls nicht voll auszuschließen ist, würde eine solche in breiterem Umfang durchgeführte Maßnahme die Innenräume der Kirchen verarmen und die Kunstwerke der Frömmigkeit des Volkes, aus der und für die sie geschaffen wurden, entziehen.
Eine in diesem Jahr abgeschlossene Lösung darf ich in diesem Zusammenhang erwähnen. Es handelt sich um den aus der Rokokozeit stammenden Kreuzweg, der in Fulda in den Stationshäuschen zwischen Frauenberg und Kalvarienberg aufgestellt war und in der als große Kreuzigungsgruppe ausgebildeten XII. Station seinen Höhepunkt erreicht. In jedem Stationshaus war eine reliefierte Tafel als Hintergrund und eine vollplastische Gruppe in szenischem Aufbau eingestellt. Bei der Restaurierung der mit mehreren dicken Ölschichten überzogenen Bildwerken wurde eine außerordentliche Qualität freigelegt. Es wäre unverantwortlich gewesen, diese Bildwerke wieder in die Stationshäuschen einzustellen, da nach eingehender Prüfung und Rücksprache mit Polizeistellen mechanische und elektrische Sicherungen keinen ausreichenden Schutz für die in unkontrollierbaren Gelände stehenden Kunstwerke geboten hätten. Es wurde eine zwar kostspielige, aber bestmögliche Lösung gefunden: in den Stationshäuschen wurden bei dem Ausbau der Tafeln hinter diesen mehr oder minder gut erhaltene Fresken zur Thematik der betreffenden Kreuzwegsituation gefunden. Früher hatte man nämlich während des Winters die Schnitzwerke zur besseren Erhaltung herausgenommen. Diese Fresken wurden restauratorisch aufgearbeitet und bei Fehlen des Bildbestandes neue Fresken (durch Restaurator Seng, Johannesberg) im Stil des erhaltenen Bestands angebracht. Um die herausgenommenen plastischen Bildwerke nicht museal erstarren zu lassen, baute das Franziskanerkloster Frauenberg entlang der nördlichen Außenwand der Klosterkirche 14 kleine Stationshäuschen. Der neue Aufstellungsbereich wird einerseits zugänglich sein und andererseits durch seine Lage hinter Mauern und zusätzliche technische Sicherungseinrichtungen eine optimale Garantie für die Erhaltung der Kunstwerke bieten. Die Maßnahme wurde vor wenigen Tagen abgeschlossen.
Bei den Einbrüchen und Diebstählen kirchlichen Kunstgutes im letzten Jahr muß die erfolgreiche Aktivität speziell der Fuldaer Kriminalpolizei anerkannt werden, die verschiedene Rückführungen gestohlener Kunstwerke durchgeführt hat. In jedem dieser Fälle war der Erfolg vom Vorhandensein guter Fotos und Beschreibungen der gestohlenen Objekte abhängig. So war die Rückführung der aus der Rochuskapelle bei Kämmerzell entwendeten Plastiken - sie waren im Antiquitätenhandel in Kiel aufgetaucht - nur möglich, weil glücklicherweise ein von der Firma Dura-Tufting hergestelltes Foto des gestohlenen Altars vorlag. Aus diesem Grund hat das Bistum im Jahre 1975 eine umfangreiche Inventarisation mit fotografischen Aufnahmen und Beschreibungen des gesamten beweglichen Kunstgutes im Bereich des Bistums eingeleitet. Bis jetzt sind etwa 3.000 Objekte erfaßt, die Aktion wird im kommenden Jahr mit Kosten von etwa 100.000,-- DM zum Abschluß kommen. Ich darf Ihnen ein Musterblatt der Inventarisation und eine Serie von Fotos (es handelt sich um die Kirche in Rasdorf) vorlegen.
Mit dem Rückblick auf das Jahr 1975 verbindet sich auch der Ausblick auf die Denkmalarbeit im kommenden Jahr. Durch die starken Rückgänge im Bistum (1975 etwa 26 % weniger als 1974) und den Anstieg der Bau- und Instandsetzungskosten werden die Möglichkeiten sicher eingeengt werden. Auf der anderen Seite ist jedoch durch das . geistige Ergebnis des Denkmalschutzjahres Verantwortlichkeit auch der Kirchengemeinden verstärkt worden, so daß auf der örtlichen Ebene stärkere Aktivitäten zu erhoffen sind.
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Dank an Karl Burchart, Horst Euler, Marlies Heer, Klaus Leise. Wolfgang Schütz und Dr. Christian Wirkner für Hinweise und Tipps, Johannes de Lange für die Scan-Vorlagen
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