Vorbemerkung

Es mag zunächst seltsam anmuten, diesen eigentlich archäologischen Aufsatz, dazu auch noch zu einem vorchristlichen Thema in einem "fernen" Gebiet (sofern man nicht dort oder in seiner Nähe früher wohnhaft war) unter der Abteilung "Kirchengeschichte" zu finden. Allerdings wird man bald erkennen, inwieweit diese Zeilen mit unserer Gegend und der Geschichte unserer Stadt zu tun haben und bis vor kurzem hatten, denn es geht um die möglichen Hintergründe der Christianisierung und die damit aufscheinenden Probleme früher unterschiedlicher Strömungen und Entwicklungen, die ihren Niederschlag auch in der heimischen Überlieferung fanden. 
      Zunächst zum Autor:  Bei Jiři Waldhauser (1945-2023) handelte es sich um einen tschechischen Archäologen aus Prag, der im Zuge des sog. "Prager Frühlings" (Dubček-Ära) als studentischer Teilnehmer eines internationalen Kongresses zur Europäischen Ur- und Frühgeschichte unter Prof. Jan Filip in Prag teilnahm und dort Prof. Wolfgang Dehn vom Vorgeschichtlichen Seminar an der Universität Marburg kennenlernte. Der verschaffte ihm ein zweisemestriges Stipendium an seinem Institut und die Gelegenheit zu einer praktischen, bezahlten Teilnahme an örtlichen Aus-grabungen. So kam Jiři zu Grabung unter Norbert Wand auf den Büraberg bei Ungedanken und wohnte mit den anderen auswärtigen Ausgräbern im 2. OG. des Hochzeitshauses, das sich auf den oberen Etagen damals noch in einem bedauernswerten Zustand befand. Es entwickelten sich div. Freundschaften, was auch daran lag, daß einige Mitglieder der Fritzlarer Arbeitsgemeinschaft aus dem Sudetenland stammten, und sogar die Wirtin aus der benachbarten Gast-wirtschaft "Zum Krokodil" böhmischer Herkunft war. Die Kontakte wurden schließlich so dicht, daß zeitweilig bis zu 6 Prähistoriker aus der damaligen Tschechoslowakei auf dem Büraberg mitarbeiteten. Es folgten Gegenbesuche und, in den frühen 1970er Jahren,  praktische Mitarbeit an dortigen Ausgrabungen durch den Studenten J.-H. Schotten, die aber durch den (zwar verspäteten aber dennoch zunehmenden) politischen Druck erschwert und schließlich verunmöglicht wurden. Die Kontakte blieben bestehen und führten noch anfangs der 1980er Jahre zur Mitwirkung von  Waldhauser (inzwischen anerkannter Experte für die keltische Kultur in Böhmen) an der Grabung +Holzheim bei Fritzlar, wobei er sich auch mit der Publikation der Latènezeit vor Ort (2002) hervortat. Das wurde dadurch erleichtert, daß es trotz des "Kalten Krieges" seit dieser Zeit wegen der Zusammenarbeit des VW-Werks mit den Škoda-Werken in Mladá Boleslav (Jungbunzlau) eine wöchentliche Busverbindung zwischen Nordböhmen (wo Jiři inzwischen am Regionalmuseum arbeitete) und Baunatal gab. 
      Nach der Wende wurden die Kontakte wieder häufiger, auch weil es fachliche Kooperationen gab. Den Höhepunkt stellt zweifelsohne eine Ausstellung über "Die Germanen im Isergebirge und im böhmischen Paradies" vom Oktober bis Dezember 1998 im Regionalmuseum Fritzlar dar (wieder im 2. OG.!), die Waldhauser und Museumsdirektor Beneš speziell für deutsche Besucher konzipert hatten, weil es zuvor jahrzehntelang  (mit einer Ausnahme: Fam. Pleinerová) verboten gewesen war über Gemanen überhaupt zu forschen. Die modern gestaltete Exposition war bei Schulkindern sehr beliebt, ältere Besucher sudetendeutscher Herkunft waren aber eher noch mit einem gewissen Mißtrauen befangen.
      Damit wären wir beim Thema. Nordböhmen, eine Gegend aus der Jiřis Mutter stammte (und wo er inzwischen auch beerdigt ist), hat er eh´  und je als seine eigentliche Heimat angesehen. So war es kein Zufall, daß er bald nach seiner Rückkehr aus Deutschland dort besonders intensiv geforscht hat. Dabei wurde er auch u. a. mit einer besonderen Fund-platzgattung aus der Keltenzeit konfrontiert: den sog. "Viereckschanzen", vierseitig umwallte Siedlungsplätze, deren Bedeutungen, auch in der deutschen Forschung, schon lange diskutiert werden. So vermutete man befestigte Bauerhöfe, Kultstellen, Häuptlingssitze, Werkplätze oder Straßenstationen. Waldhausers neue Idee, nach jahrzehntelangen Untersu-chungen und Überlegungen, besteht nun darin, daß diese Anlagen tatsächlich alles das waren und zwar, weil ihre Funk-tionen sich vielleicht mit denen mittelalterlicher christlicher Klöster vergleichen lassen!  Das irritiert sicher zunächst, man darf aber nicht übersehen, daß es für solche Einrichtung im Ostmittelmeerraum, vor allem in der griechischen Welt, auch schon in vorchristlicher Zeit Vorbilder gab, wie Eremitengruppen (die Bewegung der "Gnosis" hat dort ihre Wurzeln), Philosophenschulen usw. In der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts (entsprechend der Phase LtB2) begannen -aus was für Gründen auch immer- größere keltische Menschengruppen, ja ganze Stämme, nach Süden und Südosten auszuwandern, Auch in unserer Region scheinen ganze Höfe, Weiler, Dörfer und sogar befestigte Zentren (z. B. "Waldeck-Strandbad", "+Holzheim" und die "Altenburg bei Römersberg") von ihren Bewohnern verlassen worden zu sein. Wir lesen in antiken Quellen von Skiren und Bastarnen am Schwarzen Meer, von Kelten in Italien, von der Plünderung des griechischen Delphi und von den Galatern im westlichen Kleinasien (ein Grund, warum es noch heute rothaarige und blau- bzw. grünäugige Türken gibt), mit denen sich noch Paulus zu beschäftigen hatte.  
      Letzterer Kontakt ist deswegen von besonderem Interesse, weil sie sogar in der fremden Umgebung offenbar noch lange (wenigstens bis weit in das 1. Jh. n. Chr.) an ihren Sitten und Gebräuchen festgehalten haben. Selbst nach ihrer Missionierung durch judenchristliche Verkünder  (mit deren mißlungenem Versuch die Beschneidung durchzusetzen) fand Paulus noch Anlass in seinem "Galaterbrief " sich sehr kritisch zu ihrem Verhalten zu äußern (z. B. Kap. 4,9-10) und Kap. 5,20), da sie ihren traditionellen Festkalender folgten, der ja auf astronomischen Beobachtungen und Naturverehrung beruhte, und die damit verbundene astrologische Interpretation der Wirkung von Himmelskörpern (neben Sonne und Mond selbstverständlich) auf irdisches Geschehen und anderen "Hokuspokus" evtl. für realistischer hielten als die neue abstrakte "Gnade Gottes", deren Gewährung oder Verweigerung für sie möglicherweise eher als eine Art zu abstraktes "Kismet" galt.  Und das bedeutet, wenn man Waldhauser folgt. daß es sich bei diesen Adressaten eben nicht einfach um irgendwelche Bewohner der Gegend von Ankyra (heute: Ankara) gehandelt hat, was von einigen Religionswissenschaftlern angenommen wird, sondern tatsächlich um Angehörige der dortigen keltischen Stämme (Ethnos-, Sprach- und Kulturgemeinschaften) und damit um eine besondere, damals noch recht stabile selbstbewusste Gruppe.
      Einigen dieser Stämme scheint es auf Dauer am Mittelmeer nicht behagt zu haben, vielleicht war der Widerstand der Eimheimischen doch zu stark, die Sonne zu heiß, die Nahrung nicht bekömmlich, oder sie hatten einfach Heimweh. Bereits ab etwa 300 v. Chr. scheint eine gewisse Rückwanderung eingesetzt zu haben, wie wir auch am archäologischen Fundbild bei uns erkennen. Die  Heimkehrer kamen aber nicht mit leeren Händen geschweige den Köpfen zurück. Das ist -im Nachhinein gesehen- kein Wunder, es gibt Hinweise, daß die keltischen Eliten schon um die Mitte des 1. Jahrtausends die damalige Weltsprache Griechisch beherrscht haben (Verbindungen mit Masillia, Hinweise auf griechischen Import bis nach Pyrene = Heuneburg an der oberen Donau); auch antike Quellen berichten darüber. Es sieht so aus, als ob sie eine Menge gelernt hätten, was spätestens eine Generation später zu einem regelrechten "Zivilisationssprung" geführt zu haben scheint. Die Viereckschanzen entstanden, die Siedlungen wurden (wie in Amöneburg, Altenritte oder auf der "Altenburg" bei Niedenstein) regelmäßig als Straßenzeilen oder -gitter angelegt, und nach einer weiteren Generation errichten die Kelten planmäßige große und befestigte Stammeszentren, die wir (nach Cäsar später) als oppida kennen; die Reste der "modernsten" Metropole" dieser Art begegnen uns heute im bayrischen Manching. Auch das Druidentum ist erst aus dieser Spätphase überliefert. Angeblich gibt es keine schrift-lichen Hinterlassenschaften dieser Priester, der in Markvartice gefundene Schreibstift (stilus) für Wachstafeln macht aber deutlich, daß sie natürlich lesen und schreiben konnten, wenn sie es denn wollten (und sei es auf Rinde oder Holztafeln).
      Die römische Expansion in der Spätphase der Republik (s. Julius Caesar: De bello gallico) kappte aber diese Entwicklung. Wer sich den Römern nicht unterwerfen wollte, floh auf die britischen Inseln, wo das Keltentum sich noch eine Weile gegen die Römer behauptete, bis nach dem gescheiteretn Boudica-Aufstand (60-61. n. Chr.) die keltischen Eliten, und damit auch die letzten Druiden, nach Irland und Schottland auswichen. Ich erinnere mich an einen Vortrag des damaligen Direktors  des Irischen Nationalmuseums Prof. Dr. Barry Raftery (auch ein ehemaliger Büraburg-Mitgräber) in Marburg etwa in der Mitte der 1990er Jahre, der uns damit überraschte, daß die keltische Kultur tatsächlich erst seit dieser Zeit auf der Insel existierte und es zuvor dort so etwas wie eine Eisenzeit (nach unseren bisherigen Vorstellungen) nicht gegeben habe. 
      Nun saßen also die letzten keltischen Eliten und die Druiden in Irland und Schottland, "latènisierten" ihre etwas schlichteren neuen Untertanen und beobachteten das römische Imperium (zu dem es sicher materielle und geistige Ver-bindungen gab) von außen, wobei wir über den Alltag ihrer geistigen Welt wenig wissen. Wann sich das Druidentum, auch geprägt von mediterranen Erinnerungen, begann sich für das neuartige Christentum zu interessieren und es schließlich auf- und anzunehmen, ist bislang nicht zu belegen. So zeigt die Entdeckung eines ungewöhnlich großen sog. "Umgangstempels" in keltischer Bauweise, in der 2. Hälfte der 1980er Jahre unterhalb des ehem. oppidums bei Otzen-hausen (Saarland) ergraben, in dessen Fundamenten eine Münze des Kaiser Julianus Apostata (reg. 361-363) zutage trat, daß es bis in diese Zeit, jedenfalls auf dem Kontinent, entsprechende religiöse Kräfte alter Art gegeben haben kann. Im Laufe der Völkerwanderungszeit (hier also ab dem späten 4. Jahrhundert) deutet sich auf den Inseln wohl aber eine Entwicklung an, die zu einem eigentümlichen christlichen Selbstverständnis geführt zu haben scheint, wenn man z. B. die Lage und Gestalt der klosterartigen Anlagen sieht, welche an das alte Eremitendasein erinnern und ein wenig den z. T. rabiaten fundamentalistischen Geist der späteren iroschottischen Mission verständlich werden lassen. 
      Bei ihrer "Rückkehr" auf den Kontinent trafen sie auf  ihre (natürlich besser -weil staatsähnlich- organisierte) Kon-kurrenz aus Rom.  Erst vor diesem Hintergrund wird deutlich, was der Missionar Bonifatius mit dem Begriff  "Gallier" gemeint haben mag, wenn er sich zornig über ihr Treiben äußerte. Er sah sich möglicherweise außerstande den "druidischen Umweg" dieses Christentums zu akzeptieren, den er als Angelsachse wahrscheinlich eher kannte, als die zu bekehrenden germanischen Mitteleuropäer. Dennoch blieben diese ersten, "keltischen" Verkünder der neuen Lehre im Gedächtnis des Volkes, wie auch in Raume Fritzlar die Erinnerung an St. Brigida und St. Humbert (den es nicht erst seit dem 12,-13. Jhn. gibt) zeigen. 
      Im November 2020 sandte  Jiři Waldhauser den folgenden Text, den er im tschechischen Original als Eigendruck (Auflage unbekannt) publiziert hatte, zur Übersetzung an den Betreiber dieser Seite, nach dem dieser zuvor schon einige kürzere Aufsätze ins Deutsche übertragen hatte. Auf die Rücksendung eines ersten Entwurfes erfolgte keine Reaktion, auch sonst ruhte der Brief- und Internetverkehr. Das nächste Schreiben kam erst im Frühjahr dieses Jahres 2023 und war eine Art Abschiedsbrief.  Als eine seiner Töchter mir im Juni seinen Tod mitteilte, erfuhr ich, daß er 2 Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten  hatte und zum Pflegefall geworden war. Ich hatte einen meiner besten Freunde verloren und sah es als meine Pflicht, gewissermaßen als letzten Dienst, die Übersetzung nach bestem Wissen und Gewissen zu vollenden und auf zeitgemäße Weise zu publizieren, auch weil ich den Text als ein von ihm  gewissermaßen beabsichtigtes Resümé seines jahrzehntelangen Forscherlebens in Markvartice (bis 1945 Markersdorf) empfand. Da meine tschechischen Sprach-kenntnisse als eher fragmentarisch zu bezeichnen sind, war die Arbeit nur mit google-transfer und deeply-transfer zu bewältigen, allerdings gab es für den fachlich-sprachlichen Feinschliff doch noch eine Menge an Arbeit zu bewältigen, denn in beiden Sprachen finden sich zahlreiche ideomatische Besonderheiten und Mehrdeutigkeiten, die längerer Überlegung bedurften (von Jiřis sprachlichen Eigentümlichkeiten ganz abgesehen).
      Über Jiři Waldhauser gibt es bei wikipedia (tsch. und dtsch.) entsprechende ausführliche Seiten, welche auch nicht-fachliche Aspekte seines Lebens berühren. 

              Ich widme diese Internet-Fassung Frau Phildr. Hana Waldhauserová-Orličková in steter Verbundenheit.

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