Vorbemerkung

Der von 1852 bis 1868 in Fritzlar amtierende erste Landrat des neugeschaffenen kurhessischen Landkreises Fritzlar Christian Ludwig Weber (1806-1879) kann durchaus als einer der "Pioniere" in der Erforschung der Fritzlarer Stadt- und Kirchengeschichte gesehen werden. Der aus Rotenburg/Fulda stammende Autor war Verwaltungsjurist und zuvor auch als Richter tätig gewesen (s. hierzu den aktuellen wikipedia-Eintrag). Darüberhinaus verfügte er über umfassende histori-sche und archivalische Kenntnisse und war als Amtwalter wohl so effektiv, daß ihn nach dem unfriedlichen Ende des Kurfürstentums Hessen 1866 die neue preussische Verwaltung übernahm, da er offenbar mit der nun einsetzenden sog. "Sturzbach-Gesetzgebung" (eine ironische Bezeichnung des kurhessischen Bildungsbürgertums für die jetzt quasi wie eine Flut hereinbrechenden Modernisierungsmaßnahmen  der neuen preussischen Herren) zurecht kam. 
      Man kann schwer erahnen, wie sich der Tagesablauf eines kurfürstlich hessischen und/oder königlich preussischen Landrates (und seiner Familie, denn er hatte immerhin 4 Kinder) gestaltete. Als erster Verwaltungsschef  einer neuen politischen Einrichtung gab es sicher zunächst vieles zu tun, das sich nicht in Routinen erschöpfen konnte. Vielleicht war dies den Anstoß sich mit den historischen Umständen seiner neuen Umgebung auseinanderzusetzen. Er fand dabei augenscheinlich Zugang zum städtischen wie zum Kirchen- und Stiftsarchiv. Darüberhinaus kannte er sich ja vielleicht bereits in den Staatsarchiven in Marburg und Cassel aus. Wenn er dabei die Unterlagen von Falckenberg benutzte, ist das für uns heute von besonderem Interesse, denn er griff (s. Fußnoten) bisweilen auf dessen "Exzcerpte" zurück, wobei er allerdings auch fehlende Quellenabgaben bemänglen konnte (s. s. 299); Erinnerungen an Diskussionen zu diesem Thema im "Historikerturm" der Uni Marburg in den 1970er Jahren werden wach. All diese umfangreichen Studien fanden in einer Welt statt, deren Mobilität sich auf Kutschen- und Depeschenverkehr, händige Feder und Tinte, stützte. Umso erstaunlicher ist daher die Leistung zu werten! 
      Neben seinem Haupthema, der Geschichte eines Gebäudekomplexes, den wie heute nur noch in der Gestalt des nach seinem quasi Neubau 1909 durch die Gebrüder Diederich ("Salzdiederich") unter der volkstümlichen Bezeichnung "Marienburg!" kennen, ergab sich eigenartigeweise noch ein ganzes Bündel von Fragestellungen, welche die Existenz und den Alltag des Fritzlarer Stiftes überhaupt betrafen, bis hin zum "Menschlichen/Allzumenschlichen" (was manchmal in "drehbuchreifen" Schilderungen mündete) und einer Familiengeschichte des Patriziergeschlechtes Günst. Auch Hinweise auf wohl heute leider nicht mehr existierende darstellende Kunst finden sich. Darüberhinaus ergeben sich zahlreiche An-stöße zu Überlegungen zur Lage und Geschichte des "Bonifatiusbrunnens" bzw. der gleichnamigen Kapelle und der Eli-sabethverehrung, die noch heute beachtet werden sollten. Auch seine an die Bauarbeiten auf dem "Oberen Friedhof" (heute "Domplatz") von 1840 erinnernde Skizze sollte nicht vergessen werden, denn sie läßt vermuten, daß an eine archäologische Notiz mahnende Signaturen Hinweise auf Befunde (der Königs- und Kaiserpfalz) gegeben haben, deren Dokumentation heute leider nicht mehr auffindbar ist.
      Zu seiner Zeit existierte bereits ein "Historischer Verein" (s. S. 299), wahrscheinlich des Herausgebers dieser Schrift, denn bereits 1865 hatte eine Generalversammlung dieser Gruppierung in Fritzlar stattgefunden, so daß die seit 1905 vermehrten Aktivitäten durch den jungen Dechandt Wilhelm Jestädt lediglich eine "Neubelebung" vermuten lassen. Die Produktion eines "Fritzlar-Albums" (a. a. O.) mit Hilfe des Photographen August Jestädt (Berlin/Bad Wildungen) zeigt, wie weit Weber auch fremdenverkehrsmäßig/touristisch in die Zukunft dachte. 
      Es wäre reizvoll zu erfahren, welche "disziplinaren Gründe" die preussische Staatsregierung bewogen ihn -bei Wahrung seiner Stellung- 1868 in den Kreis Wolfhagen zu versetzen, wo er bis zu seinem Lebensende wirkte. Man fühlt sich an die angebliche (Quelle: Hans Josef Heer) bischöfliche Mahnung an Dechant Jestädt erinnert, sich mehr um das Seelenheil seiner Gläubigen als um die Fritzlarer Geschichte zu kümmern, vielleicht gab es das zwei Generationen zuvor schon einmal, aber sekular.

       Wie ist nun seine zeitliche Position in der Reihe der Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts über Fritzlar zu sehen?                                                  Johann Adolph Theodor Ludwig Varnhagen (1753-1829 publizierte 1780-1825                                                                            Carl Bernhard Nicolaus Falckenheiner (1798-1942) publizierte 1842,                                                                                          Christian Ludwig Weber (1806-1979) publizierte 1873,                                                                                                                  Georg Landau (1807-1865) publzierte 1832-1839,                                                                                                                           Heinrich von Dehn-Rothfelser (1825-1885) publizierte 1870 (wird v. Weber aktuell zitiert),                                                      Carl Alhard von Drach (1839-1915) publiziert 1909,                                                                                                                       Wilhelm Jestädt (1865-1926) publiziert 1924/25.
                                                  Christian Rauch (1877-1976) publiziert 1905/1926.

Wenn der erfahrende Fritzlarer Stadt- und Heimatforscher Karl Buchart, dem ich dankenswerterweise die Vorlage zu der hiesigen Publikation verdanke,  heute der Meinung ist, daß Ch. L. Weber "seiner Zeit vorraus" war, so ist dem unbedingt beizupflichten, denn aus der Fülle seiner Daten und Beobachtungen ergeben sich auch noch bis in Gegen-wart neue Aufgaben und Fragestellungen. 
      Eine davon  besteht in der Frage, inwieweit sich die Parzellen der Stiftherren (s. Plan am Ende des Artikels) evtl. mit denen er einstigen Burgmannen der Pfalzbesatzung überschnitten haben mögen, oder ob es -zumindest zwischen 1000 und 1079 (solange die Pfalz sicher bestand)- zwei parallele Baustrukturen von Pfalz und Stift neben- oder miteinander gegeben hat. Denn auch die sog. Ministerialen, spätestens seit dem 11. Jahrhundert, müssen ja irgendwo angemessen untergebracht worden sein (s. dazu: Stefan Köhl, Die Burghut - Häuser der Ministerialen und Burgmannen auf Burgen der Stauferzeit. Burgen und Schlösser. Zeitschrift für Buregnforschung und Denkmalpflege 3/2023, S. 145-159)

Aus: Zeitschrift des Vereins f. hessische Geschichte u. Landeskunde NF. 4, Kassel 1873, S. 382 (Nachdruck 1920er Jahre)

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