Vorbemerkung

Die Vorgänge während der Ostertage 1945, als die Stadt Fritzlar von den US-amerikanischen Truppen eingenommen und besetzt (und/oder befreit) wurde, sind den interessierten Einwohnern der Stadt schon länger bekannt. Das liegt u. a. auch an dem Bericht des aus Köln stammenden Eisenbahnbeamten Peter Weber, der in Fritzlar stationiert war aber auch familiäre Beziehungen hierher hatte. Er fasste seine Beteiligung an den Ereignissen später in einem Schreibnaschinenma-nuskript zusammen, von dem es anscheinend mehrere Durchschläge und Kopien in unterschiedlichem Erhaltungs-zustand gibt. Ein Exemplar wurde kürzlich, d. h. Ende April/Anfang Mai 2025 auf der facebook-Seite "Fritzlar meine Heimatstadt" photographisch veröffentlicht. Da eine digitale Bildschirmphotographie in der Regel mit nur 72 dpi er-folgt, war es zwar möglich die Bilder zu dokumentieren und zu entzerren, ein einfaches OCR-Programm ergab aber kei-ne praktische Lesbarkeit, sodaß die vergrößerten Scans abgeschrieben werden mussten. Dabei schlichen sich gelegentlich Undeutlichkeiten ein, für die ich um Verständnis bitte. Orthographische Details habe ich überwiegend unkorrigiert stehen lassen, Absätze nach Eigenart des Programms gestaltet, weil es mir darum ging, die historischen Abläufe zu dokumentieren und denoch die Authentizität des Textes zu wahren.

Bericht des Lademeisters Peter Weber

Ostersamstag, den 1. April 1945

Nach ruhiger Nacht stehen die Einwohner von Fritzlar in Gruppen zusammen. Eine Frage ist es, auf die niemand eine Antwort geben kann. Wird die Stadt verteidigt oder kampflos geräumt. Gegen 7.30 Uhr ziehen deutsche Truppen mit Waffenaller Art und Panzerfaust schwer bepackt durch die Allee in Richtung der Geismarstr. Wir setzen uns ab, wird uns auf unsere Frage geantwortet. Von Offizieren des Verpflegungsamtes wird behauptet, sind Übergabever­hand­lungen im Gange. Doch die Freude über den Abzug der Truppen war nur von kurzer Dauer. Gegen 9 Uhr begann die Beschießung der Stadt mit Spreng- und Nebelgranaten. Alles flüchtete in die Kellerräume und Qualm hüllten den restlichen Teil der Stadt bis über die Dächer ein. Und da kam mir der Gedanke. Soll die Heimat meiner Frau dasselbe Schicksal erleiden, das soviele Städte und Dörfer meiner rheinischen Heimat getroffen hatte? Soll der Rest unserer mühselig nach Fritzlar geschafften Sachen auch noch zerstört werden, weil ein unfähiger Kampfkommandant erst beim Morgengrauen zu spät erkannt hat, das er bereits umgangen und abgeschnitten ist? Soll die Stadt ein Trümmerfeld werden, weil er versucht die nachdrängenden Amerikaner über die Räumung der Stadt solange wie möglich im unklaren zu lassen. Keine amtliche Stelle der Stadt war davon in Kenntnis gesetzt worden. Einen Vorsprung zu erlangen, war ihm wichtiger als das Schicksal der Stadt. Ich eilte über den Markt zum Domplatz und zählte hinter einer Mauer stehend über 60 aufgefahrene Panzer und am Büraberg 8 schwere Geschütze, die mir später als 24 cm Haubitzen bezeichnet wurden, zum Teil feuernd. Neben der früheren Gendarmarie klaffte ein gr0ßes Loch in der Wand vom Beschuss am Karsamstag herrührend. Hier stellte ich mich hin und schwenkte den Amerikanern sichtbar ein großes weißes Tuch. Das Feuer wurde sofort eingestellt. Dann lief ich das weisse Tuch schwenkend durch dei untere Stadt am Lazarett vorbei in Richtung der Steinbrücke an der hl. Geist Kapelle. Einem bekannten von mir Ferdinand Hoffmann Ziegenberg 110 rief ich zu Jetzt wird Schluß gemacht. Ich hole die Amerikaner in die Stadt. Aus dem in der Nähe befindlichen Bunker kam Zustimmung. Weiter ging mein W zu den beiden Holzbrücken. Dicht hinter der Eder stand ein schwerer amerikanischer Panzer. Er feuerte auf ein vor der Holzbrücke befindliches Flugzeug­teil mit Leuchtspurmunition und verlegte mir den Weg. Ich bog links ab durch den Hof von Peter Stehl Siechenrasen 154 und rief der Panzerbesatzung in gebrochenem Englisch zu, sie sollen voranfahren, die Stadt sei frei und die deutschen Truppen bereit um 7 Uhr abgerückt. Der Kraftfahrer von Stehl, Thomas Savizki Alter Hof D 190, kam auf mein Ruf aus dem Keller und winkte ebenfalls mit einem weißen Taschentuch. Die  Panzerbesatzung rief uns zu, wir sollten zu ihnen kommen.  Bis über die Knie  (wateten?) wir durch das Wasser zu dem dicht hinter der Eder stehenden amerik. Panzer und wiederholten unseren Anruf. Darauf fuhr der Panzer durch die Eder zur Stadt. Frau Stehl beobachtete vom Fenster ihres Hauses unseren gefahrvollen Gang. Denn 2 Soldaten liefen auf uns zu und tasteten uns nach Waffen ab, kassierten meine Uhr und jagten uns im Laufschritt mit Hände hoch den Finger am Abzug der Maschinenpistole über die Felder hinter der Wildunger-Straße. Dann konnten(?) wir uns setzen und begannen unsere nassen Strümpfe auszuwringen. Einige Minuten später kam ein Kapitätn, mit dem ich mich in franz. Sprache verständigen konnte. Ich stieg in einen Zweisitzer und wurde zu der Autowerkstätte Nutnischansky gefahren. Ein Soldat mit geladenem Gewehr sass bei(?) mir. Hier wurde ich dem Kommandanten der angreifenden Truppe major Co vorgeführt. Und dann entspann sich folgende Unterhaltung. Wer sind Sie? Ich Eisenbahnbeamter aus Köln, der Station Fritzlar wegen der Räumung der Stadt angestellt. Der 1. Bürgermeister (Heckmann) ist geflohen. Ich teile Ihnen mit, dass die deutschen Truppen gegen 7 Uhr die Stadt verlassen haben. In Fritzlar befindet sich kein kämpfender Soldat mehr. Ich danke Ihnen dass Sie sofort das Feuer einstellen ließen, als ich das weiße Tuch schwenkte. Der Dolmetscherübersetzte es. Dann fragte der Major in erregtem Ton: Weshalb hißt die Stadt keine weiße Flagge. Ich antwortete: Der Kampfkommandant von Fritzlar hat am 30. März 22 Uhr (Karfreitag) fol­gen­den Befehl erlassen: 

An die Ortgruppenleiter und Bürgermeister zur sofortigen Bekannt­gabe an die Bevölkerung
"Jeder, der die weiße Flagge hißt, wird mit seiner Familie erschossen und sein Haus in Brand gesteckt.

Der Major zuckte zusammen, als der Dolmetscher ihm diesen Befehl übersetzte. Er fragte mehreremale: Ist dies wahr. Ich beeidigte es, weil er meinen Angaben nicht glauben konnte. Dann erklärte er mir. Ich gebe Ihnen einen Passierschein durch die amerikanischen Linien. Fällt nach 10 Uhr noch ein Schuß in Fritzlar dann wird die Stadt rücksichtslos in Schutt und Asche gelegt. Sie holen sofort den 2. Bürgermeister hierher. Bis 11 Uhr sind Sie zurück. Der Kapitän brachte mich im Zweisitzer zur gesprengten Brücke in Höhe der Pappelallee. Von dort musste ich mir meinen Weg selbst suchen

Mein Passierschein lautete                                      1. Juli 45 (statt 1. April)

Peter Weber ist gegangen, den Bürhgermeister zu uns zu holen. Lasst ihn passieren, diese Pflicht zu erfüllem.                                                                                                          gez. Major Cof

Im Original:                                                              1. July 45

Peter Weber has gone to.bring Bürgermeister to us. Let him pass for tsis 

duty.                                                                            Major Cof

Ich rief den Brückenposten zu Ich habe einen Pass vom Kommandanten an den Bürgermeister. Er wurde durchgelesen und dann konnte ich passieren. Dann kletterte ich an den Trümmern des Brückenbogens herunter bog um das verbrannte Ende Ederschlößchen und ging zur Stadt. Jetzt fing das Spießrutenlaufen an. Rechts und links der Münster- und Nikolausstr. standen hunderte amerikanische Soldaten mit Granatwerfern, M.G. und Panzern bewaffnet in langsamen Vor­marsch dicht aufgeschlossen. Ich ging in der Mit(te) der Straße zwischen den Soldaten durch, meinen Pass und den Passierschein hochhaltend. Und immer wieder rief ich in Englische: ich habe einen Pass vom Kommandanten an den Bürgermeister. Come on und nach Durchsicht go on. Das wiederholte sich etwa 15 mal in der Nikolausstr. packte mich ein Sergant und drückte mich in den Hausflur von Durstewitz. Nach Durchlesen des Passierscheines sagte er auf deutsch Sie können gehen ich kenne den Kommandanten. Frau Gerber die im gleichen Hause hinter den Scheiben dem Einmarsch der Truppen zusah wurde mit der Schusswaffe bedroht unf vom Fenster weggeschickt. Ein Schuss ging in die Decke des Zimmers. Vor dem Milchgeschäft Römer lag ein älterer Mann auf dem Gesicht in den letzten Zügen. In Höhe des Kaffee Hahns stand der vorderste Panzer. Sein Kommandant rief mir zu: Mensch hau ab. Ich zeigte ihm meinen Passierschein und knurrend rief er auf englisch: zur Hölle Bastard. Worauf ich ihm antwortete: Ich muss zum Bürgermeister und nicht zur Hölle. Die ganze Panzerbesatzung lachte. Ich lief zum Rathaus den 2. Bürgermeister Melato suchend. Er war mit einer weißen Fahne den einrückenden Amerikanern entgegengehend nicht durchgelassen und in einen Keller gesperrt worden.  Es meldete sich ein städt. Beamter der sich als Stadtinspektor Schmidt vor­stellte (Mainzer Schmitt) und ein Beamter Gleichen Namens (Hauptmann Schmidt). Beide erklärten sich sofort bereit mitzugehen. Und wieder ging es jetzt zu dritt den selben Weg zurück  den Passierschein hochhaltend. Wir wurden nur einigemale angehalten konnten aber passieren. Am Bahnhof nahmen uns 2 Soldaten in Empfang und führten uns in den Hof des Bierverlag Steinmetz. Ich stellte dem Major die beiden Beamten vor. Auch sie mußten ihm nochmals die Anordnung des Fritzlarer Kommandanten bei  Hissen der weißen Flaggen bestätigen. Eine Anordnung, die jeder Menschlichkeit Hohn sprach. Dann begannen die Übergabever­handlungen. Es wurde über die Abgabe von Waffen, Munition, Ferngläser und Photoapparaten in ruhigen sachlichem Ton verhandelt. Die Frist zur Ablieferung auf 16 Uhr an der Kaserne festgelegt und über die Art der Benachrichtigung an die Bewohner hin und her überlegt. Während dieser Zeit hatten die amerk. Truppen die ganze Stadt bestzt und benachrichtigten um 10.55 den Kommandeur. Kurze Zeit später begleiteten wir disen zu Fuß zur Stadt. An vielen Häusern hingen schon weiße Fahnen und ein teil der Bevölkerung stand mit fröhlichen Gesichtern an den Haustüren. Der Krieg hatte Fritzlar Wunden geschlagen, aber gemessen an den anderen Städten hatte er nicht viele Todesopfer unter der Bevölkerung gekostet, Domküster Diedrich nahm an als Dolmetscher die Wünsche der Besatzung an die städt. Stellen weiterzuleiten, meine Dienstpistole erbat sich der amerik. Dolmetscher als Andenken. Seine Eltern waren ausgewanderte Deutsche aus Westfalen. Und dann kam die erste Nacht. Kolonne auf Kolonne durchraste die alten engen Straßen und auf dem Flugplatz und in der Luft dröhnten dei Motoren der amerik. Luftwaffe. Aber jetzt schlief jeder trotz dem Lärm nach langer Zeit mit dem Bewußtsein (nann bin?) keine Bomben für Fritzlar bei sich führten. Für Fritzlar war der Krieg aus. Möge ihm eine lange Friedenszeit beschieden sein.

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