Vorbemerkung

Ab wann sich der Bäckermeister Hans Josef Heer (6. Juli 1913 - 4. Oktober 1978) für die Geschichte seiner Heimatstadt interessierte, läßt sich leider nicht mehr feststellen. Sowohl er als auch der Juwelier und Uhrmachermeister Ludwig Köhler, die beide miteinander befreundet waren, sollen in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg begonnen haben Dokumen-te, Bücher und Sachgüter zusammenzutragen. Dabei schaffte es Bäcker Heer im Laufe der Jahre eine umfangreiche Fach-Bibliothek aufzubauen, die im Souterrain seines neuerbauten Altersitzes am Blaumühlengäßchen schließlich mindestens eine komplette Regalwand des Arbeitszimmers einnahm. Trotz seines berufstypischen eher ungewöhnlichen Tages-ablaufes fand er noch ausreichend Zeit zum Studium älterer und aktueller historischer und archäologischer Literatur, was ihm ein umfangreiches Wissen und große Kompetenz  eintrug.  
      Es ist daher nicht verwunderlich, daß er sowohl im Fremdenverkehrs- und Verschönerungsverein, der Ur- und frühgeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft und in der Fritzlarer Sektion des Hessischen Geschichtsvereins von Anfang an eine wichtige Rolle spielte. Vor allem in ersterm, den man in gewisser Weise als den Vorläufer des späteren PRO FRITZLAR ansehen könnte, waren auch seine Fähigkeiten von Belang, sein historisches Wissen sowohl an seine Kollegen als auch an die auswärtigen Besucher der Stadt vermitteln zu können. Einen öffentlich organisierten Tourismus gab es ja zunächst nicht, und vor allem wurde er für Besucher der Stadt das, was der Domküster Paul Diederich war und sein Nachfolger, der Schreiner und Domküster Alfred Matthäi für die ehem. Stiftskirche St. Peter ("Dom") werden sollte. So fungierte er zeitweilig (neben August Boley, Ludwig Köhler und Hans Heintel) als wichtigster "Fremdenführer" (heute "Gästeführer"), das geschah in der Regel -wie bei seinen Nachfolgern zunächst auch- unentgeldlich (denn er war nicht darauf angewiesen und, was manchmal anschließende Einladungen durch die Besucher anging, ein Café besaß er ja selber)! ; es geschah aus Gastfreundlichkeit, und Bezahlung galt damals irgendwie als "schnöde" oder unanständig.
      Möglicherweise fühlte er sich durch den Vortrag von Prof. Demandt am 13. Mai 1969 zur Königswahl Heinrichs I. im Jahre 919 dazu berufen, selber zur Schreibmaschine zu greifen um alles Wissenswerte einer weiteren Öffentlichkeit darzustellen, denn bislang sind uns seine Texte erst seit dem Frühjahr 1970 belegt. In diese Zeit fällt, wohl auch im Rahmen der Vorbereitung des 1250jährigen Ortsjubiläums und des Hessentages, die Anfrage an Prof. Demandt zum Datum der bonifatianischen Klostergründung.
      Auch das Anlernen von Nachwuchskräften sah er als seine Aufgabe: zunächst bei Egon Schaberick und dann bei J.-H. Schotten, die später sein Wissen weitergaben (und zunächst ebenfalls seltsam berührt waren, wenn man ihnen ein "Trinkgeld" in die Hand drückte). Zur 1250-Jahrfeier, verbunden mit dem "Hessentag", erschien 1974 das Standardwerk "Fritzlar im Mittelalter" aus der Hand sehr bekannter Archäologen, Numismatiker, Kunst- und Mittelalterhistoriker (spez. Mediavisten) und anderer Koryphäen. Deren Ergbnisse gingen nicht soweit über die bisherigen Kenntnisse von Hans Josef Herr hinaus, als daß er sie in den letzten Jahren seines Lebens nicht auch für ein breites Publikum hätte aufbereiten können. Er veröffentlichte -wie schon zuvor- also weiterhin seine kleinen, bescheiden illustrierten Aufsätze im "Wochenspiegel" dem offiziellen Verkündigungsorgan (erst des Landkreises, dann) der Stadt Fritzlar, wo er seine Kenntnisse den "geneigten Lesern" mitteilte, und das bis kurz vor seinem, für uns (trotz seiner vorangegangenen Krankheit) doch überraschenden Tode. Diese Verlautbarungen bilden den eigentlichen Grundstock des in den 1990er Jahren von Gerhardt Methner und Dr. Schotten neuorganisierten Gästeführerwesens. So bot es sich an, speziell diese, seine Hinterlassenschaft noch einmal zusammenfassend im Internet zu präsentieren. Ob dabei jemals eine Voll-ständigkeit zu erzielen sein wird, ist momentan noch nicht absehbar, denn leider haben weder seine Bibliothek noch alle seine Aufzeichnungen ihn -aus unterschiedlichen Interessen- sehr lange überlebt,..

1967-1974, danach:

Wochenspiegel Nr. 25/04, vom 19. Juni 1970, S. 1-2 

UNSERE STADT IN DER WIR LEBEN  

Interessantes aus dem alten Fritzlar

Wie bereits hinreichend bekannt, hat sich bei der Belage­rung der Stadt Fritzlar im Jahre 1232 durch den Landgrafen Konrad von Thüringen einiges getan. Wie uns dazu der alte Merian wörtlich in 1646 in seiner Städtebeschreibung über Fritzlar mitteilt, „seyen etliche lose Weiber auff die Stadtmauern gelauffen, haben den Hindersten entblöset, solchen über die Zinnen herausgereket und dem Landgrafen nachgeruffen, wann er nirgends hinzufliehen wüste, woll­ten sie ihm hiermit die Herberge gewiesen haben.“

      Dieser Vorfall geistert durch viele alte Geschichtschroni­ken, aber solche Dinge haben sich auch andernorts in Deutschland abgespielt, wie der Curator Dr. Heinz-Eugen Schramm von der „Götz-von-Berlichingen-Academie“ in Tübingen, Verfasser des wissenschaftlich ominösen Buches „L.m.i.A.“, nachweist,

      So war z. B. auch 1379 die schwäbische Reichsstadt Crails­heim belagert. Als nun die Lebensmittel knapp wurden, bestieg die korpulente Frau Bürgermeisterin die Stadt­mauern, hob ihre Röcke und zeigte zwischen den Zinnen hindurch dem Feind ihre nackten Hinterbacken. Dies be­eindruckte die Belagerer so, daß ihnen die Lust verging und sie ihr Vorhaben, die Stadt auszuhungern, aufgaben und abzogen.

      Dr. Schramm weist nach, daß dieses Verhalten in alter Zeit mit Abwehrzauber zu tun hatte. Leider -hat dieser Zauber bei unserer Stadt versagt, die rauhen Mannen konn­ten einfach der herzhaften Einladung nicht widerstehen und so wurde unsere Stadt im Sturm genommen. Wie menschlich war doch früher die Kriegführung, schon ein solches Hintergesicht konnte den Frieden bringen.

      Zur Ehrenrettung unserer weiblichen Vorfahren muß gesagt werden, daß ja nicht sie es waren, die unsere Stadt ins Unglück stürzten, sondern einwandfrei die gemeinen Wei­ber der damaligen Besatzungsmacht, die „Rheingauer“, die auch noch ausgerechnet der Erzbischof von Mainz und der Bischof von Worms mit sich herumschleppten, da konn­te ja auch der Abwehrzauber nicht wirken.

      Diese Niederlage hat nun wiederum unsere Vorfahren mäch­tig gewurmt, denn sie bauten an einer undichten Stelle ihrer sonst so erstklassigen Befestigungsanlage, zwischen dem Münstertor und dem Werkeltor, einer Strecke von kaum 100 Metern noch zusätzlich einen mächtigen Wehrturm, dem sie den drastischen Namen „callars“ (Kahlarsch) gaben. Ob sie denselben noch mit gewissen Abwehr-Emblemen aus­schmückten, wie es bei mehreren Türmen heute noch in Deutschland zu sehen ist, kann leider nicht mehr festge­stellt werden, denn es blieb nur noch der Stumpf des Tur­mes erhalten.

      Der Germanist Prof. Theodor Haas, ein verstorbener Sohn unserer Stadt, befaßte sich 1925 in den Fuldaer Geschichts­blättern in seinem Aufsatz „Die Namen der Tore, Türme und Basteien der alten Stadt Fritzlar“ mit dem Turmnamen „Callars“ und weist in diesem Zusammenhang auch auf eine Flurbezeichnung „nassars“ (Naßarsch) hin. Man muß sich schon wundern, mit was für schwierigen Problemen sich un­sere Wissenschaftler auseinandersetzen müssen.

      Da nun Herr Dr. Schramm in seinem Werk diesen sonderba­ren Abwehrzauber in ganz Deutschland und darüber hinaus an Türen und Toren, Häusern und Kirchen nachweisen konn­te, richtete ich diesbezüglich mein Augenmerk auch auf unsere geschichts- und kunstreiche Stadt. Dabei mußte ich feststellen, daß auch Fritzlar von den eigenartigen Emble­men des Abwehrzaubers nicht verschont geblieben ist.

      Betrachtet man die alte Marienkapelle gegenüber dem Rat­haus, so sieht man am äußeren Eingang in der rechten obe­ren Ecke ein altes, bärtiges Männlein. Es streckt sein Hinter­teil dem Rathaus zu, als wollte es sagen, die Bürgermeister und Ratsherren können mich mal, denn um 1350 - aus die­ser Zeit stammt die Kapelle - hatten wir in Fritzlar immer zwei Bürgermeister und den dazugehörigen Stab an Beamten. Diese waren gleichzeitig Vollstrecker vom Finanzamt, Rich­ter und Gefängnishalter, so daß es einem alten Steinmetz schon mal in den Fingern jucken konnte. Trotzdem läßt sich darüber noch streiten, ob wir es hier mit einem echten Abwehrzauber zu tun haben. Anders liegt der Fall im Kreuz­gang des Domes, der ebenfalls aus der Mitte des 14. Jahr­hunderts stammt. Dort befindet sich ein Konsolen-Abschluß­figürchen - das dritte an der linken Seite vom Eingang der heiligen Ecke, welches einwandfrei als Abwehrzauber ange­sehen werden muß, besonders da diese sitzende Figur auch noch mit der linken Hand dem Beschauer die blanken Hinter­backen anbietet.

      Wir sehen also, daß auch bei uns in Fritzlar diese sonderbaren Sitten, die später unter dem Sammelbegriff „Götz-Zitat“ oder „Schwäbischer Gruß“ in der Literatur Eingang gefunden haben, zu Hause sind. Dennoch finde ich es reichlich über­trieben, wenn man in Schwaben Vereine gründet zur Erhal­tung des Schwäbischen Grußes. In Hessen sehe ich diesbezüg­lich keine Gefahr, denn dieses Unmutsventil findet sogar noch in klerikalen Kreisen seine Anwendung, wie mir ein alter Fritzlarer Pfarrer glaubwürdig bestätigte.

So hatte vor etlichen Jahren sein Amtsbruder eine hitzige Auseinandersetzung in Bauangelegenheiten mit dem zustän­digen Domkapitular. Da keine Einigung erzielt wurde, warf der Pfarrer dem Domkapitular das Götz-Zitat an den Kopf, worüber sich der Domkapitular bitter bei seinem Bischof be­schwerte. Der Bischof konnte ihn nur beruhigen mit den Worten: „Aber dazu sind Sie ja nicht verpflichtet.“

      Die wissenschaftliche Forschung des Herrn Dr. Schramm hat erwiesen, daß das Götzzitat in der ganzen,Welt gebraucht wird. Deswegen sei unserer begeisterungsfähigen Jugend noch mitgeteilt, falls sie jemals mit den Jüngern „Mao' s“ zusammentreffen sollten und diese sie mit den blumenreichen Worten China' s begrüßen die da lauten: „Küß mich im Tal der lauen Winde“ so ist dies keineswegs sehr freundlich, sondern es handelt sich abermals um den vermaledeiten Ab­wehrzauber bzw. um das deutsche „Götz-Zitat“.

 

H. J. Heer

Stadtgeschichrte:

Wochenspiegel Nr. 36/04, vom 04. September 1970, S. 2 

UNSERE STADT IN DER WIR LEBEN

Der >>Kumb<< am Domplatz

Nachdem bereits im Jahre 1969 von der Stadtverord­netenversammlung beschlossen wurde, den ehemaligen Brunnen am Dom wieder in seinen alten Zustand zu versetzen, und die entsprechenden Mittel im diesjähri­gen Haushalt vorgesehen sind, wurden in diesen Tagen die Arbeiten in Angriff genommen.

      Von Herrn Bäckermeister Heer, Fritzlar, wurde uns ireundlicherweise eine Broschüre überlassen, die auch über den „Kumb“ berichtet.

      Im Mittelalter gehörte der Brunnen zu der „Wasser­kunst“, durch welche die Altstadt Fritzlar hauptsäch­lich mit Flußwasser versorgt wurde. Diese „Wasser­kunst“ reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück. Der Brunnen diente gewissermaßen als Wasserbehälter oder Wasserspeicher. Nach Angaben des Herrn Heer war der Brunnen noch zu dessen Kindheit ca. 20 m tief. Er wurde wegen der bestehenden Gefahr dann durch die Stadt aufgefüllt.

      1609 legte der Stadtrat die „Wasserkunst“ unter das St. Catherinenkloster (heute Ursulinenkloster) und er­langte von dem Stift die Erlaubnis, das Wasser der Steingosse hierzu verwenden zu dürfen. Später wurde sie auch in der städtischen Mönct,emühle angebracht. „Dieses Kunstwerk treibt das Wasser in eisernen Röh­ren den Mühlberg und Amberg hinauf. Hier theilt sich ihr Gang ehemals in zwei Arme, deren einer über den oberen Friedhof an der Johanniskirche hin in die Kü­che des Hochzeitshauses lief, der andere aber durch die Krämen in das obere Brauhaus führte, dieses, so wie das Wasserbecken auf dem Markte (Rolandsbrunnen) versorgte, dann weiter durch die Werkelgasse in das un­tere Brauhaus (an der Stelle, an der heute das Café Heer steht), und hier, wo er endete, am Klobesplatze (heute steht hier das Postamt. - Klobes = Klaus = Ni­kolaus, daher Nikolausstraße) das ihm auf dem weiten Wege noch gebliebene Wasser zu jedermanns freiem Gebrauch, ausgoß. Der erstgenannte Arm ist längst ab­geschnitten, der Lauf des letzteren gehet seit 1799 nicht mehr durch die Krämen, sondern über den unteren Friedhof durch die Fischgasse hin.“

      Weiterhin ist über die "Wasserkunst" folgendes zu le­sen:

1698 ist zu der hiesigen Wasserkunst ein eiserner Grummeling zu Orb in der Grafschaft Waldeck gegos­sen worden. 1703, 27. Septembris ist das Kunst Rath samt einem neuen Bäder außer dem Haus gelegt, Undt so wohl ein­gerichtet, daß mit viel leichterem Trieb noch so viel Wasser herauß in die Statt gebracht worden. 1704, seyndt die Waßer Röhren von der abladung auffm freydhoff ahn biß zum Hochzeitshauß auffgeho­ben, Von Neuem ausgebrent Undt zu geringerer Cir­cumferentz Unter den Krähmen her angelegt worden. 1725 sind die 2 Stiefeln durch Meister Constantin Ul­rich aus Hersfeld umgegossen, die Ventile reparirt und das Geleide samt den Gabeln länger gemacht.

      (Der Meister bekam 100 Taler und für jedes Pfund über das alte Gewicht 1/2 Gulden).“

                                                                                         Aufnahme: E. Meiers

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 40/04, vom 02. Oktober 1970, S. 1-2 

UNSERE STADT IN DER WIR LEBEN 

-WUNDERLICHES RECHT AUS DEM ALTEN FRITZLAR- 
(Auf Ehebruch stand Todesstrafe)

Als neulich bei der Suche nach alten Kirchengrundmauern am „Roten Hals“ Gebeine zum Vorschein traten, kam mir zum Bewußtsein, daß an dieser Stelle der Nordseite des Domes, die Hingerichteten sowie die Er­schlagenen oder sonst verunglückten Fremden hier ihre Begräbnisstätte fanden. Wegen der Hingerichteten gab der Volksmund dem Nordeingang des Domes den grausigen Namen „Der rote Hals“. Bei dieser Ausgra­bung kam auch ein vollständiger Schädel zum Vorschein, bei dessen Anblick mir folgende geschichtliche Tat­sache, aufgezeichnet im Fritzlarer Memorialbuch, in Erinnerung kam.

      Der Fritzlarer Bürger und Ehemann Christian Andres war 1662 so unvorsichtig, sich eine Freundin zuzule­gen. Sein Eheweib war keineswegs damit einverstanden und erhob Klage beim peinlichen Gericht der Stadt Fritzlar.

      Dadurch setzte sie eine, für unsere heutigen Begriffe, grausige Gerichtsmaschinerie in Gang. Der Schultheiß und die Bürgermeister mit den Schöffen hatten nun das erste Recht des „Angriffs“ (Arretierung). Diese nun wiederum setzten ihre städt. „Handhabenmeister“ in Trab, die dann den armen Sünder festnahmen und in die Bürgergewahrsam im Rathaus einsperrten. Gleichzeitig wurde auch die Zuhälterin gefaßt und in den Steingossenturm (auch Hexenturm) gesteckt. Christian Andres wurde wegen Ehebruch vom peinlichen Ge­richte zu Fritzlar nach Anhörung des „Fiscals“ (Mainzer Obergericht) zum Tode verurteilt.

      Als das Urteil auf dem Rathaus verlesen wurde, war das Gericht in gewohnter „positur“, Schultheiß, Bürger­meister und die zwei Blutschöffen, denen der Zöllner den Gerichtsstab vorantrug, zum Siechenrasen gegan­gen. Der arme Sünder aber wurde gesondert von den gewappneten Bürgern in Begleitung der beiden Stadt­pfarrer und viel Volk zur Richtstätte gebracht. Dieselbe befand sich neben dem Siechenhaus vor dem Wei­denbaum auf der linken Seite des Fahrweges, wo ein großer Kreis geschlagen war. (Wahrscheinlich da, wo heute der Kreuzgarten ist). In diesem Kreis war das Gericht versammelt. Nachdem der Richter ihm noch­mals sein Urteil vorgelesen hatte und den Gerichtsstab zerbrach, erfolgte durch den Scharfrichter die Ent­hauptung des armen Sünders, der Tags zuvor „ufm rathuse“ das hl. Abendmahl empfangen hatte. Damit war diese Familientragödie noch keineswegs zu Ende.

      Der Sohn des Hingerichteten fühlte sich irgendwie verpflichtet, entweder aus Familientradition oder weil es sich bei der Freundin seines Vaters um eine reizende Hexe handelte, einzugreifen.

      Er befreite dieselbe aus dem Steingossenturm und ging buchstäblich mit ihr türmen. Sie wurden aber nach einiger Zeit von den eifrigen Handhabenmeistern wieder aufgegriffen. Der Sohn wurde zu einem halben Jahr Schanzarbeit an der Fritzlarer Stadtbefestigung verurteilt, die Ehebrecherin aber an den Rathauspranger gestellt, mit Ruten bestrichen und des Landes verwiesen.

      Der Stadtschreiber verzeichnete geradezu hohnvoll in dein Fritzla­rer Memorialbuch, daß die Frau des Ehebrechers die ganzen Gerichts­kosten, die damals wie heute: recht hoch waren, zu zahlen hatte.

 

Hätten wir heute noch so harte Sitten, stände der neue Friedhof noch viel dringlicher auf dem städtischen Etat.

 

                                 Hans Josef Heer

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 12/05, vom 19. März 1971, S. 1-2 

Die Fritzlarer Gassen- und Straßennamen mit ihren historischen Gebäuden, 
ein Beitrag zur Stadtgeschichte

Die Gassen- und Straßennamen der deutschen Städte sind Denksteine der Stadtentwicklung und Stadtgeschichte. Was die Adern für den menschlichen Körper bedeuten. das sind die Gassen und Straßen für eine Stadt, In ihnen pulsiert das Leben, das einer Stadt Sinn und Zweck verleiht, ihr das Gepräge gibt. Aus ihnen kann man die Geschichte eine Stadt in der Mannigfaltigkeit ihrer Lebensäußerungen able­sen,

      Wer liebevoll den alten Gassennamen nachspürt. der lernt aus ihnen Schlüsse zu ziehen auf Sprache, Denken und Füh­len der Siedler, die vor Jahrhunderten auf diesem Grund und Boden weilten und die jetzige Kulturlandschaft mit ih­ren Wegen und Stegen, ihren Wällen und Gräben, kurzum mit ihrem reizvollen Stadtbild geschaffen haben, Deshalb haben diese Namen etwas von vergilbten Urkunden an sich, die uns aus alten Zeiten berichten.

      Es besteht jedoch ein gewaltiger Unterschied zwischen den alten und neueren Straßennamen. Diese sind durch Be­schluß der städtischen Körperschaften am grünen Tisch ent­standen. Sie gedenken oft berühmter Persönlichkeiten, die zu der Stadt in keinerlei Beziehung gestanden haben, die dieser Ehrung gar nicht bedurft hätten, weil ihr Ruhm auch ohnedies gesichert ist. Wesentlich anderer Art sind die al­ten Gassennamen einer Stadt, denn alle diese Namen ha­ben eine Geschichte. Sie standen nicht auf einem Straßenschild, und doch haben sie die Jahrhunderte überdauert. Auch sollte man in der alten Bezeichnung „Gasse“ nicht etwas Minderwertiges sehen, denn Gasse ist die mittelal­terliche Benennung für Straße und zeugt immer für ein hohes Alter einer Stadt. Die berühmteste Geschäftsstraße in Salzburg ist heute noch die alte Getreidegasse, aus der auch Mozart stammte und viele solcher alten Gassenna­men werden heute noch in unseren deutschen Städten ge­führt.

      Kommen wir jetzt zur Stadt Fritzlar. Um dieses Thema einigermaßen übersehen zu können, teile ich den Grundriß unserer Stadt innerhalb der alten Stadtmauer in vier Bezirke, den Dombezirk, den Marktplatzbezirk, den Bezirk an der evangelischen Stadtkirche und den Bezirk um das alte Deutsch-Ordens­haus an der Fraumünsterstraße, wie die früheren Stadtbe­zeichnungen lauteten- Stadtteile A, B, C und D.

      Beginnen wir mit dem ältesten Teil unserer Stadt, dem Dombezirk. Dort liegt am oberen Ende des Domplatzes wohl die älteste Gasse, der Ziegenberg. Eine Wegeverbin­dung vom Büraberg durch die Ederfurt und die untere Neu­stadt zum Domplatz. Sein Name weist uns in die vorchrist­liche Zeit, wo noch dem heidnischen Gotte Donar an der Domreiche, am Platze des heutigen Domes, die Ziegenopfer dargebracht wurden. Deswegen kamen auch noch in der  vorreformatorischen Zeit die Bewohner von Geismar einmal im Jahr mit einem Baum zum Dom, um hier das Baumfest zu feiern, welches an die Fällung der Domreiche durch Bonifatius erinnerte,

      Auf dieser alten Kultstätte wurde nach der Fällung der Domreiche Fritzlars erste christliche Kirche mit einem Be­nediktinerkloster erbaut. Bei der Legung der Fußbodenhei­zung im vergangenen Jahr hat die Fundamentforschung er­geben, daß diese erste steinerne Kirche schon eine große beachtliche Bauanlage gewesen sein muß. Das Benediktiner­kloster wandelte sich etwa um 1000 in ein Chorherrenstift. Um 1250 entstand der heutige Dom, der dritte an dieser Stelle, seit dieser Zeit haben wir den Dombezirk so wie er sich uns heute noch darbietet.

      In der Vergangenheit nannte man diesen Bezirk die alte „fritzlarer familia“, gemeint war damit das St. Peter-Stift, der Dom und seine 18 Kurien, die Wohnhäuser der meist adligen Stiftsherren mit ihren Hörigen.

      Gehen wir mal den vergangenen Spuren der verschiedenen Kurien nach. Da wäre zuerst die Propstei zu nennen, die Wohnung des Fritzlarer Propstes, sie stand links vom Wege - zur sogenannten heiligen Ecke und ist im vergangenen Jahr abgebrochen worden, dessen freier Platz soll in Zukunft An­lage werden.

      Die hohe Stellung, die der Propst von Fritzlar in ganz Hessen eingenommen hatte, machte die Propstei selbst für Fürsten und Grafen begehrenswert. In der langen Reihe der Fritzlarer Pröpste finden wir einen Landgrafen von Hessen, mehrere Grafen von Ziegenhain, einen Grafen von Waldeck, einen Grafen von Isenburg und Büdingen, zwei Grafen von Nassau und sogar einen Kardinal.

      Der kleine Weg zur „Heiligen Ecke“ hat seinen Namen von der Nische, in welcher eine Figur des Gründers des Domes, der heilige Bonifatius, aufgestellt ist. Neben der Propstei, ge­trennt durch das Dechaneigäßchen, steht die heutige Decha­nei, eine der ältesten Kurien mit gotischem Staffelgiebel. Hinter dem Dechaneihof lag früher noch eine kleine Kurie, genannt „der halbe Hof“ am Zuckmantel. Der eigenartige Name „Zuckmantel“ weist auf ein hohes Alter hin, im Mit­telalter nannte man Rauben „Zucken“ und den halbhohen Rundbau an der Stadtmauer „Mantel“, so daß man unter dem Namen Zuckmantel „Raubbefestigung“ zu verstehen hat. Neben der Dechanei stand die „Kurie am Friedhof mit dem Brunnen“, die vor zwei Jahren abgebrochene Küsterei. Sie war schon 1285 die Kurie des Magister Wilhelm. An ihr vor­bei geht das sogenannte Küstergäßchen, an dessen unterem Ende stand auf dem heutigen Grundstück von Dr. Hegewald die „Kurie mit der Steinsäule am Steingossentor“, erbaut um 1320. Ihr gegenüber lag die „Kurie am Steinweg“ heute Haus Gerhard Faupel. Der Steinweg hat seinen Namen von den Stein­metzen, die früher dort wohnten. Sie waren wohl von der ehemaligen Dombauhütte hier seßhaft geworden und sind die Steinmetzen von den kunstvollen Grabsteinplatten, die noch in großer Zahl erhalten sind.

      Neben der Kurie am Steinweg lag rechts die „Kurie am Has­pel“ oder auch der grüne Hof genannt. Die Haspel war ein Drehrad, das nur den Fußgängern erlaubte, den Weg zum Totenhof am Dom zu begehen.

      Die Holzgasse, heute Neustädter Straße, hatte ihren Namen von dem Weg nach dem im Jahre 1402 zerstörten Dorf Holz­heim. Es lag etwa in der Gegend, wo heute der Bauernhof Man­der am Rothhelmshäuserweg liegt.

      Den beiden zuletzt genannten Kurien gegenüber lag die „Kurie auf der Ecke zur Münstergasse“ heute Bürgerhaus. Neben dieser lag die kleine „Kurie in der Holzgasse“ an der Stelle, wo 1896 die jüdische Synagoge erbaut wurde und die man in den 40ger Jahren zerstörte, heute Haus Zahnarzt Böhm. Ihr fast gegenüber lag ebenfalls eine Kurie, an die noch der Eingangsbogen zur heutigen städtischen Bedürfnisanstalt er­innert.

      Wir gehen wieder zurück zum ehemaligen unteren Friedhof, heute Dr. Jestädtplatz. Er erhielt den Namen zu Ehren des verstorbenen Stadtdechanten „Monsignore Dr. Wilhelm Jestädt“, der sich große Verdienste um die Restaurierung des Domes, die Errichtung des Dommuseums erworben hatte und der Schriftsteller der „Festschrift zur 1200 - Jahrfeier der Stadt Fritzlar“ war.

      An der Stelle der früheren Lateinschule, heute Pfarrheim, lag die „große Kurie am Friedhof“, an der Stelle der früheren Prä­parandenanstalt, heute Gymnasium, die „kleine Kurie am Friedhof“.

      Ein Stück Mittelalter ist uns geblieben in der „Kurie in der Fischgasse“, ihr gegenüber lag die „Kurie bei der Fischgasse“, deren Reste im Hof des ehem, kath. Kindergartens stehen. Die Fischgasse hat ihren Namen von der früheren Fischbank, heute das Haus der Fleischerei Krause. Anstelle des ehem. katholischen Kindergartens war die „Kurie gegen der Luchten“ ge­legen, eine der alten städtischen Beleuchtungen. Ihr folgte die „Kurie auf dem Friedhof“ beim Rathaus, auf des­sen Platz der neue Rathausanbau steht.

      Am oberen Friedhof, 1827 Paradeplatz genannt, wegen der hessischen Husaren, die ihre Kaserne im Hochzeitshaus hatten und diesen Platz als Exerzierplatz benutzten, heute Domplatz, standen die restlichen drei anderen Kurien. Die „Kurie ob dem Friedhof“, heute Haus Marienburg Dr. H. Dietrich, an dessen Haus noch die Hankrat'schen Wappen angebracht sind. Die „Kurie beim Schulhof“ ist das Haus neben dem neuen katholischen Kindergarten mit dem großen gotischen Torbogen. Sie war schon 1247 vom Scholastiker Heinrich von Rüsteberg bewohnt, welcher im genannten Jahr Bischof von Hildesheim wurde. Als letzte der 18 Kurien ist noch das „Kapitelhaus“, heute die Waage bei dem Kumpf, am Domplatz, zu nennen. In der 800-jährigen Geschichte des Fritzlarer St. Peter-Stift lassen sich etwa 450 meist adlige Stiftsherren nachweisen. Damit wäre am Dombezirk das geistig-kirchliche Zentrum unserer Stadt in groben Zügen beschrieben, das weltlich-poli­tische Zentrum wird in der Fortsetzung besprochen.

                                                                                                        H. J. Heer

GLOSSAR:

KURIE = Päpstliche Zentralbehörde

SCHOLASTIK: Mittelalterliche Philosophie; engstirnige Schul­weisheit

SCHOLASTIKER: Lehrer der Scholastik, reiner Verstandes­mensch, spitzfin­di­ger Mensch

KAPITALHAUS : Sitzungshaus der Kurie

Wochenspiegel Nr. 14/05, vom 02. April 1971, S. 1-2 

Die Fritzlarer Gassen- und Straßennamen mit ihren historischen Gebäuden, 
ein Beitrag zur Stadtgeschichte

Erste Fortsetzung

 Das geistig-kirchliche Zentrum im mittelalterlichen Fritz­lar lag, wie im ersten Artikel beschrieben wurde, haupt­sächlich am heutigen „Dr. Jestädtplatz“. Das weltlich-po­litische Zentrum haben wir in jener Zeit am Domplatz zu suchen.

      Da wäre zuerst mal die ehemalige Kaiserpfalz zu erwähnen. Sie lag nach den Ansichten der historischen Wissenschaftler Dr. Jestädt und Dr. Demandt an der rechten Domplatzseite vom Dom aus gesehen. Erhärtet wird diese Tatsache noch durch das Vorhandensein der ehem. Johanneskirche. Sie stand auf dem Grundstück Nr. 10, dort wo heute Herr Dekan Barth wohnt; Pfalzkapellen waren im Mittelalter meistens dem hl. Johannes geweiht. Hinzu kommt noch die eigen­artige Gassenbezeichnung „Meyde-Weg“, welcher parallel zum Domplatz hinter den Häusern der rechten Seite her­läuft, Der Name „maior“ wird als Weg zur „Königsvillae“ gedeutet. Prof. Rauch hielt das Gebäude der alten Waage am Kumpf für die Reste der Kaiserpfalz, dessen Rückseite noch heute romanische und frühgotische Bauelemente auf­weisen. Möglicherweise könnten alle Recht haben, wenn man sich die Pfalzanlage ähnlich wie in Ingelheim die Bo­denforschungen ergeben haben, in einem großen Karree vorstellt. Grabungen würden wahrscheinlich Klärung brin­gen, Fest steht auf alle Fälle, daß in Fritzlar eine Kaiser­pfalz vorhanden war, auf die noch heute verschiedene Ur­kunden hinweisen. 11 deutsche Kaiser und Könige residier­ten in Fritzlar. Auch wurden mehrere Reichs- und Kirchen­tage in Fritzlar abgehalten, bei denen der Kaiser und die Großen des Reiches hier anwesend waren. Von 22 Kaiserbe­suchen lassen sich noch die Urkunden von den Kaiserbe­schlüssen, welche in Fritzlar getätigt wurden, nachweisen. Die Namen der Kaiser und Könige sind folgende:

Konrad I. König der Franken 911/18, Burgsitz in Fritzlar

König Heinrich I. 919 Königswahl in Fritzlar, erster König der gesamtdeutschen Stämme

Kaiser Otto I. 936/73. (Von Kaisern, die mehrmals in Fritzlar weilten, steht die Regierungszeit dahin­ter).

Kaiser Otto II. 973/83.

Kaiser Heinrich II. 1002/24, stiftete lo2o das Edel­steinkreuz im Domschatz.

Kaiser Konrad II. 1024/39. Kaiser Heinrich III, 1039/56.

Kaiser Heinrich IV. 1056/1106, als Canossa-­Kaiser bekannt.

Rudolf von Schwaben, Gegenkönig, zerstörte Fritzlar 1079.

Kaiser Heinrich V. 1104 und der letzte Kaiser Konrad III, 1145 in Fritzlar.

In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auch auf die große Gerichtsstätte vor dem alten Westportal des Domes hinzuweisen, Hier wurden Urteile von reichs- und weltge­schichtlicher Bedeutung gefällt. So unter anderm der Bann über Kaiser Heinrich V. am 28. 7. 1118 durch den päpstlichen Legaten Kuno von Präneste im Beisein der Großen des Reiches. Gerichtsraum war der freie Platz vor dem Dom, nur ein ein­faches Bretterdach schützte vor Regen und Sonne. Man war es von der germanischen Zeit her auch gar nicht anders gewöhnt, Gericht wurde unter freiem Himmel auf den alten Dingstät­ten gehalten. Deswegen erfolgte auch 919 die Wahl des ersten deutschen Königs, Heinrich I. nicht im Dom, sondern auf der ehem. Dingstätte vor dem Dom. Später, um 1260, wurde an dieser Stelle eine offene Gerichtshalle erbaut, wie es in alten Urkunden hieß ein „Adrium“, gemeint ist damit das heutige Paradies. Die großen Tage der Reichsversammlungen waren aber in Fritzlar vorüber. Das sächsische Kaiserhaus war mit Heinrich V. erloschen, die folgenden Hohenstaufen-Kaiser zogen den warmen Süden Italiens  dem kühlen Norden Deutschlands vor, um von dort die Ge­schicke des Reiches zu leiten, somit diente dann diese Halle kirchlichen Zwecken als Paradies.

      Das zweite historische Gebäude, was schon auf eine 900 jährige Geschichte zurückblicken kann, ist unser Rathaus, das älteste Amtsgebäude Deutschlands. In seinen romanischen Anfängen etwa um 1050, war es die Vogtei. Vögte vonFritzlar waren in jener Zeit die Landgrafen von Thüringen, die dort auch ihre Gerichtstätigkeit ausübten, Im 13. Jahrhundert wurde die Vogtei gegenstandslos, deswegen verkaufte Land­graf Konrad 1231 dieses Gebäude dem Kloster Berich, wo es dann 1266 durch zweite Hand von dem Fritzlarer Ratsmann Swineouge zum Zwecke eines Rathauses erworben wurde.

      In den folgenden 700 Jahren, wo diese alte Vogtei als Rat­haus diente, haben 167 Bürgermeister in ihm amtiert. Ro­manisch sind noch die beiden Keller und die Eingangsbögen an der Westseite des heutigen Gebäudes.

      1442 erhielt das Rathaus sein gotisches Aussehen, etwa so wie es nach der Renovierung von 1964 wiederhergestellt wurde. Im Mittelalter diente die ebenerdige große Rathaushalle an gewissen Wochentagen den Tuchwebern als Verkaufshalle, die Käufer konnten sich an der Fritzlarer-Elle, welche noch heute an der Nordseite des Domes vorhanden ist, von der Richtigkeit der Tuchlänge überzeugen.

      An der Westseite des Rathauses führt eine Straße mit dem Namen „Zwischen den Krämen“, sie erhielt diesen Namen von den Krämerläden, die dort seßhaft waren. Eines dieser alten Krämerhäuser ist uns noch in dem Haus Faupel gegen­über dem Rathaus erhalten geblieben. Es kann schon auf ein halbes Jahrtausend zurückblicken, links von der Haustür muß man sich den Verkaufsladen vorstellen, Es wurde ein­fach die große Fensterlade nach der Straße zu aufgekippt, so war gleich der Verkaufstisch vorhanden, an denen sonntags die Landbevölkerung, wenn sie vom Dom kamen, ihre Ein­käufe tätigten. Der Weg an der Ostseite des Rathauses hat den Namen „Spitzengasse“, weil es den spitzen Häuserkom­plex vom Rathaus trennt.

      Ein weiteres weltliches Gebäude am oberen Ende des Domplatzes war das kurmainzische Amtshaus, später Schule, heute evangelischer Kindergarten und Pfarrheim. Über der unteren Haus­tür ist noch heute das Mainzer Rad mit dem Kurhut erhalten, Die mainzischen Oberamtmänner und sein stellvertretender Amtmann, waren die ranghöchsten weltlichen Persönlichkei­ten in Fritzlar, Oberamtmänner waren außer dem Landgrafen von Hessen, die Grafen von Nassau, von Ysenburg-Büdingen, von Waldeck, von Ziegenhain und andere mehr. Sie weilten nur zeitweilig in Fritzlar. Festen Wohnsitz hat­ten dagegen die Amtmänner, sie stammten meistens aus dem Uradel. Die Fritzlarer Amtmänner verwalteten den mainzi­sehen Grundbesitz in Hessen bis zum Eichsfeld, gleichzeitig sind sie als Zivil- und Militär-Gouverneure zu betrachten.

      Letzter Amtmann von Fritzlar war Franz Ludwig von Weiters­hausen. Ein Epitaph mit 64 adligen Wappen dieser Familie befindet sich im Dom in der Seitenkapelle neben dem Ein­gang zum Kreuzgang, Diese Familie von Weitershausen stif­tete auch zwei der noch erhaltenen Wegekreuze, eins in der Fraumünsterstraße und das andere Ecke Hellenweg-Kasseler Straße.

      Das Stück Weg vom Amtshaus bis zum Ziegenberg ist die Rit­tergasse. Dort und am oberen Domplatz wohnten in den restlichen Häusern die ritterlichen Vasallen des Stiftes. Sie waren die Burg­männer des mainzer Erzbischof~, der ja gleichzeitig Stadtherr von Fritzlar war, der den Rittern die mainzischen Besitzungen in Hessen als Lehn überließ.

      So sieht man noch am Haus Nr. 14 das Wappen der Burgman­nen Familie von Katzmann, 22 solcher ritterlichen Vasallen zähle das Fritzlarer Stift.

      Daher kann man heute noch Wappen von den hessischen Rit­tern: von Wildungen, von Schomberg, von Linsingen, von Gilsa, von Urf, von Elben und andere mehr in Fritzlar finden. Der Roßmarkt hat seinen Namen von den Pferdestallungen, in welchen die Ritter ihre Pferde stehen hatten, Der Weg oberhalb des Amtshauses gehörte mit zu der alten „Bischofsgasse“, er führte zur erzbischöflichen Burg. Dieselbe lag zwischen dem Frauenturm und der noch heutigen Wegebezeichnung „Am Burggraben“, auf dem Gelände am „neuen Gestück“ (eine Bezeichnung für die halbhohe Bastei in der Stadtmauer), wo sich der Schulgarten der St. Wigbert- Kinderpflegerinnen­schule befindet. Die alte Burg ist 1229 von den Mannen des Landgrafen Konrad zerstört worden. Den Aufbau einer neuen Burg wußte das Fritzlarer Patriziat und die aufstrebende Bür­gerschaft mit viel Geschick zu verhindern. Zumindest wurde der spätere Burgbau keine Zwingburg zum Schaden der Fritzlarer Bürger. Damit wäre also der Dombezirk im wesentli­chen beschrieben. Man kann wohl sagen, daß im Mittelal­ter ein interessantes Völkchcn dort wohnte. Fortsetzen ich in zwangloser Folge dieses Thema mit dem Marktplatzbezirk und sein Wirtschaftsleben.

GLOSSAR

Kaiserpfalz - Kaiserlicher Palast; Hofburg für kaiserliches Hofgericht

Karree - Viereck; Gruppe von vier

Dingstätte - Germanische Volks-, Gerichts- und Heeresversammlung

Gouverneur- Statthalter

Paradies - Portalvorbau an mittelalterlichen Kirchen Epitaph - Grabschrift; Grabmal mit Inschrift

Wochenspiegel Nr. 17/05, vom 23. April 1971, S. 1-2 

Die Fritzlarer Gassen- und Straßennamen mit ihren historischen Gebäuden, 
ein Beitrag zur Stadtgeschichte. (Der Marktplatz)

Zweite Fortsetzung

Die Grundrißgestaltung der neuen Stadt Fritzlar des frühen 12. Jahrhunderts gegenüber des alten Kerns um den Dombezirk, zeigt durch die zentrale Lage des Marktplatzes und die allein dadurch bestimmte Linienführung sämtlicher Straßen unwiderleglich, daß es wirtschaftliche Gesichtspunk­te gewesen sind, die diese Art der Stadtplanung bedingten. Die Leistungen der ältesten Fritzlarer Kaufmannschaft des 12. bis 15. Jahrhunderts stellten die Führungskräfte des Fritzlarer Wirtschaftslebens. Gleichzeitig war die Einheit von Großkaufleuten und Ratsfamilien, die das Fritzlarer Patriziat bildeten, in der besonderen Gilde der Michaelsbru­derschaft vereinigt. Hinzu kam noch die beträchtliche Zahl der verschiedenen Handwerker, welche mit ihren Zünften einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor darstellten.

      Nicht die zahlreichen Liegenschaften an Äckern, Wiesen, Gärten und Weinbergen, welche die Fritzlarer Einwohner­schaft im weiten Umkreis zusammenbrachte, also eine vor­wiegende landwirtschaftliche Bestätigung, war die Grundla­ge des Reichtums der führenden Fritzlarer Familien, sondern es war vielmehr ihre Handelstätigkeit und ihr Gewerbefleiß, auf dem ihr Wohlstand beruhte und erst dieser führte dann auch zu einem weit ausgedehnten Güterbesitz.

      Fritzlar war nicht nur im Besitz von bestimmten Jahr- und Wochenmärkten, sondern besaß auch einen ständigen Markt. Zu den beiden alten großen Jahrmärkten am 1. Mai und am 10. August kam 1464 noch ein dritter Jahrmarkt im Ok­tober hinzu. Im Mittelalter erstreckte sich der Einflußbereich des Fritzlarer Marktes über ganz Niederhessen und Waldeck, denn der Gebrauch von Fritzlarer Münze und Maß, welche seine Ausdehnung am sichersten kennzeichnet, war im 15. Jahrhundert für ganz Hessen maßgebend. Seit frü­hester Zeit wurden durch die Großkaufleute auf den Fritz­larer Märkten die wertvollen Fernhandelsartikel wie kost­bare Tuche, Pelze, Seide, Gewürze, Spezereien, Südfrüch­te und Weine gehandelt. Zudem war Fritzlar ein hervorra­gender Handelsplatz für Getreide und Wolle. Die Erzeug­nisse von 25 verschiedenen Handwerks- und Gewerbezwei­gen, die nicht nur für den städtischen Bedarf gearbeitet ha­ben, von denen sich ab Mitte des 14. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts 332 Betriebe nachweisen lassen, geben uns noch heute ein anschauliches Bild über die Wirtschaftsmög­lichkeiten in unserer Stadt.

      Der Fritzlarer Marktplatz mit seinen Geschäftshäusern und Standplätzen war ein einzigartiges Großkaufhaus. Die Michaelsbruderschaft besaß außer ihrem Gildehaus mit dem Türmchen, heute Drogerie Busch, noch zwei Kaufhäuser am Markt, möglicherweise die beiden links und rechts vom Gildehaus. Die heutige Kreissparkasse war früher die Bäcker­schirne, wo die Bäcker gemeinsam ihre Waren feilboten. Die Fleischerschirne war im heutigen Zigarrenhaus Thiel und die Fischbank im Hause Metzgerei Krause. Im Lam­bert'schen Haus war die Fritzlarer Münze, die von den Goldschmieden geführt wurde. 16 Goldschmiedemeister las­sen sich für diese Zeit urkundlich in Fritzlar nachweisen. Ihre Erzeugnisse sind außer im Domschatznoch in vielen Museen in Deutschland und darüber hinaus nachweisbar. Die heutige Volksbank war ein Handelshaus der Patrizierfamilie Iwan, die zusammen mit der verschwägerten Patrizierfamilie Terkis schon damals ausgedehnte Geldgeschäfte in bankähn­licher Art tätigten. Das Haus Bäckerei Hetzler war eine der Fritzlarer Brauereien, möglicherweise in Verbindung mit dem Haus Seibel, früher der berühmte Gasthof „Zur Lilie“, erbaut um 1480 von der Patrizierfamilie Iwan. Hessische Fürsten, Landgrafen, Mainzische Räte, adlige Herren und Kaufleute gehörten zu ihren Gästen. Im 30-jährigen Kriege war der Bruder des deutschen Kaisers, Erzherzog Leopold Wilhelm und Fürst Piccolomini Gast, sowie Generalfeld­marschall Graf Tilly, die Generale Graf Goetz, Galls und Isolani weilten mehrmals dort.

      Das steinerne Haus Ille, wo heute die Hessische Allgemeine ihre Redaktion hat, war ein Handelshaus der Patrizierfamilic Terkis. Alle übrigen Häuser am Markt waren ebenfalls Ge­schäftshäuser, hinzu kam noch der Marktplatz mit den of­fenen Verkaufsständen, in dessen Mitte noch heute der Markt­brunnen mit dem Roland steht, ein Rechtswahrzeichen, Sinn­bild der städtischen Banngewalt, des Markt- und Gerichts­bannes.

      Wir ersehen aus der damaligen Wirtschaftssituation, daß Fritzlar im Mittelalter eine weit größere Bedeutung als heute hatte, war sie ja bis zur Reformation die Landeshauptstadt von Niederhessen. Diese eingehenden Erkenntnisse des Fritz­larer Wirtschaftslebens verdanken wir den Urkundenforschun­gen von Dr. K, E. Demandt aus seinen verschiedenen Ge­schichtswerken.

      Folgende Gassen laufen strahlenartig vom Markt zur Stadt­mauer: Die „Hundgasse“ weist auf uns die Hundsburg am Haddamartor hin; der Name stammt noch aus dem Germa­nischen, der Führer einer Hundertschaft war der „Hund“, Die Grebengasse gabelt sich mit der Rosengasse. „Grebengasse“ und Grebenturm haben ihren Namen von den dort wohnhaf­ten Greben, (Grebe = Gemeindevertreter). Der blumige Name „Rosengasse“ mit Rosenturm war im Mit­telalter das Eroszentrum; wo von der Stadt das Frauenhaus mit der Meisterin und dem Wirt gehalten wurde, eine Ein­richtung großstädtischer Gewohnheiten. Die „Schildergasse“ weist uns auf den für ganz Hessen einmaligen Beruf der Schil­derer hin. Unter diesem Kunsthandwerk hat man die heraldi­schen Arbeiten zu verstehen, wie den Wappenschmuck der ritterlichen Rüstungen, also insbesondere die Ausstattung der Schilde, Helmzierden, Wappenröcke, Pferdedecken und Banner, auch Bronzeguß von Wappentafeln, wie sie noch im Dom erhalten sind. Da die Erzeugnisse der Kunst der Schil­derer in Fritzlar allein nicht unterzubringen waren, müssen sie für eine auswärtige Abnehmerschaft gearbeitet haben, und als solche kommt nur der hessische Adel in Frage, des­sen enge Beziehungen zur Stadt durch das dortige Stift ge­geben waren, da dieses bis in das 14. Jahrhundert nur Herren adeliger Abkunft offenstand.

      Naturgemäß ist von diesen vergänglichen Schöpfungen nicht viel erhalten, wenn man nicht die herrlichen ältesten Toten­schilde der hessischen Landgrafen in der Elisabethkirche zu Marburg, wo ein solches Handwerk damals nicht nachweis­bar ist, als Fritzlarer Arbeiten ansprechen kann.

      Am Anfang der Schildergasse zweigt das „Lierloch“ ab (=Lauerloch), Der Name deutet auf einen ehemaligen Mauervorsprung hin. Der Rundgang hinter der Stadtmauer - auch Rondengang genannt - heißt in Fritzlarer Mundart einfach „hinger de mure“. Das Wegestück „am Hochzeitshaus“ weist auf Fritzlars ältestes Bürgerhaus hin; das Gebäude erstreckt sich über zwei Straßen und ist noch heute das größte Fach­werkhaus Hessens. In den Jahren 1580-90 wurde der stattli­che Fachwerkbau in reicher Renaissance mit kräftig gezeichneten Gesimsen und steinernem Erdgeschoß erbaut. An dem Treppenturm vor der Westseite ein fein ornamentiertes Portal von „Andreas Herber“, eine bekannte Kunsthandwerkerfamilie aus Kassel. Die Türrahmung enthält im oberen SturZ folgende Zeilen:

DAS.HAUS.STET.IN.GOTTES.HAND.DAS.HOCH­ZEIT.HAUS.IST.ES.GENAT. Es war in seinen fast 400 Jahren ein Mehrzweckhaus im wahrsten Sinn des Wortes.- als Hochzeitshaus und für Familienfeste erbaut, gefüllt mit Tischen, Stühlen und Schränken sowie Zinn und Leinen und Eßgeschirr. In den Kriegen als Lazarett benutzt und ausge­plündert, dann jahrelang als Husarenkaserne, auch zwischen­durch als behelfsmäßiges Rathaus, später die große Bürger­schule und nach dem letzten Kriege Krankenkasse und Be­helfswohnungen, heute Heimatmuseum. Die alte Bischofsgasse, heute „St, Wigbert-Straße“ erinnert an den ersten Abt des Fritzlarer Benediktinerklosters, welcher heilig gesprochen wurde und in der Domkrypta sein Hochgrab hat. Eingeschlos­sen wird der Marktplatzbezirk durch das „Geismartor“ und den „Grauen Turm“, die Kommandostelle der Fritzlarer War­ten; als solchen stellt er noch heute den größten Wehrturm Deutschlands dar.

Als Fortsetzung dieser Artikelserie beschreibe ich demnächst den Bezirk an der evangelischen Kirche.

H. J. Heer

Wochenspiegel Nr. 41/06, vom 06. Oktober 1972, S. 1-2 

UNSERE STADT, IN DER WIR LEBEN

Das Chorherrenstift St. Peter zu Fritzlar, eine Stätte des geistigen Lebens im mittelalterlichen Hessen I.

Aus der von Bonifatius gegründeten und Abt Wigbert geführ­ten bene­dik­tinischen Klosterschule des 8. Jahrhunderts entwickelte sich etwa nach 1000 eine Hochschule mit akade­mischen Studienfächern. Bei der Umwandlung des Fritzlarer Benediktinerklosters in ein adliges Chorher­ren­stift um die Jahrtausendwende, war eine der wichtigsten Einrich­tungen die Führung einer eigenen Stiftsschule.

      An ihrer Spitze stand der Scholaster (scholaster, scholadi­cus), der im Range der zweithöchste unter den 3 Prälaten des Fritzlarer Stifts war. Die Bezeichnung des Scholasters als „magister scholarum“ (schon 1190), die des Rektor: als „rector scholarum“ (1314) beweist, daß es da­mals nicht bloß eine Schule in Fritzlar gegeben hat, sondern daß außer der internen Stiftsschule auch noch eine externe Stadtschule vom Stift unterhalten wurde.

      Gelehrt wurde an der Fritzlarer Stiftsschule Sprachen, Theo­logie, Jurisprudenz und die schönen Künste wie: Musik, Dichtung, Buch­schreib- und Malerei sowie Goldschmiede­kunst.

      Es spricht für den hohen Stand der Schule, wenn sich Land­graf Hermann von Thüringen und Herr von Hessen (1190 - 1216), der Gön­ner und Freund der schönen Dichtung, aus Fritzlar einen gelehrten Schüler erbat, um sich von ihm eine Bearbeitung des Trojanerkrieges in deutschen Versen liefern zu lassen. Herbort von Fritzlar hat diesen ehrenvol­len Auftrag in 18 458 Versen gedichtet.

      Weiterhin ist urkundlich nachweisbar, daß schon 1290 die Uni­versitäten Paris und Bologna ausdrücklich als akademi­sche Fortbil­dungs­stätten der Fritzlarer Scholaren bezeichnet werden. Zum Stift und seiner Schule gehörte eine berühmte Handschriften-Bibliothek, die durch einen eignen Bibliothe­kar und Buchbinder (negociator librorum) im Stand gehalten wurde. Ein Beschluß v. J. 1387 verfügte regelmäßige jähr­liche Revisionen der Stiftsbibliothek durch gewissenhafte und er­prob­te Personen der Stiftskirche. Sorgfältig sollte von ihnen die Büche­rei nach Zustand, Wert und Zahl der darin oder an anderen Stellen frei oder angekettet befindlichen Bücher geprüft werden. Das vorhandene Handschriftenma­terial ging in die Tausende, welche kostbaren Bände das Stift früher besaß, beweisen die noch heute erhaltenen be­sonders kunstvollen 48 Bände im Schloß Pommersfelden bei Bamberg und die in der Landesbibliothek in Kassel mit über Hundert Bänden, deren Werte mehrere Millionen überstei­gen.

      Der damalige Bibliothekar und Stiftsscholaster von Speck­mann schreibt 1742: „bey einer Kurfürstlichen Commission Churfürst Lothar Franz von Schönbom, Erzbischof von Mainz, sehr schöne Manuscripte in Pergament sich ausgebeten und von dem Stift empfangen, sind aber noch 200 übrig.“ An anderer Stelle schreibt Speckmann vom gleichen Jahre: „Ist das Obergebäude der Stiftsbibliothek ober dem Kreuz­gang verfallen und durch die Bunnengefach sind zwey Wa­gen voll Bücher inbrauchbar hinweggeworfen worden.“ Den größten Verlust erlebte Fritzlar bei der Säkularisation 1803 wo das Stift aufgelöst wurde und das gesamte Vermögen an den Landgrafen von Hessen-Kassel fiel, hier­bei gingen ganze Wagenladungen von Handschriften und gedruckten Bänden in die Bibliotheken nach Kassel. Ob nun dieselben Fritzlar erhalten geblieben wären, in den Stürmen der letzten 170 Jahren, kann man nicht mit Sicher­heit sagen, wenigstens sind sie nach der Ab­setzung der hes­sischen Landgrafen in den Besitz des Landes Hessen gekom­men und stehen heute der Forschung offen. Die deutsche For­schungs­gemeinschaft stellte z. B. 1960 für Kassel 56.000,-- DM zur Verfügung um diese Handschriften zu katalogisieren, dessen erster gedruckter Band 1969 unter den Titel erschien: „Die Handschriften der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel und Landesbibliothek Band 2, MANUSCRIPTE IURIDICA“. Bearbeitet von Marita Kremer, her­aus­gegeben von Dr. Ludwig Denecke, 1969, Verlag: Otto Harrassowitz, Wiesbaden.

      Frau Kremer bedankt sich für die Mitarbeit von 14 Professoren und 16 Doktoren aus dem In- und Ausland und schreibt un­ter anderem in ihren Vorwort: „Die `Manuscripta iuridica´ nach der Einteilung des al­ten handschriftlichen Katalogs umfassen 149 Handschriften und Frag­men­te aus dem Römischen, dem Kanonischen, dem Zivil- und Völker­recht, darunter auch einiges, was man heute nicht unbedingt als juri­stisch bezeichnen wurde Den wichtigsten Teil der Sammlung bilden die Codices und Fragmente aus der Bibliothek des Domstifts St. Peter in Fritzlar, die mit 54 mittelalterlichen Stücken ein sehr aufschlußreiches Bild von dem Zustandekommen und den Gehalt einer solchen Dom­bibliothek zu geben vermögen.“

      Von den 149 Handschriften vom 9. bis zum 19. Jahrhundert, bilden die 54 Bände aus Fritzlar ca. 90 % aller wertvollen mittelalterlichen Schriften vom 9. bis zum 15. Jahrhundert, welche zum größten Teil auf Pergament und mit kostbaren Initialen (mit farbigen Bildwiedergaben aus dem Gerichtsle­ben) ausgeschmückt sind. Diese Bände hatten auch zu ihrer Entstehungszeit großen Wert, welches die Kettenhalterungen an den Büchern beweisen, die sie vor Diebstahl schützen soll­te. Es handelt sich bei den Bänden um ganze Handschriften­pakete bis zu 600 Seiten, aus denen man außer juristischem auch viel Geschichtliches und sogar berühmte Reimdichtungen des Mittelalters finden kann.

      Aus dieser Stiftsschule hervorgegangene Stiftsherren finden sich, wie ein Blick in die Register der meisten Urkundenwer­ke lehrt, weit über die Grenzen des Archidiakonatsbezirks Fritzlar hinaus als „notarii“ und „scriptores“ (Notar und Schreiber) oder hohe geistliche Würden­träger in Mainz, Aschaffenburg, Paderborn, Minden, Hildesheim, Osna­brück, Halberstadt, Erfurt, Magdeburg, ja in allen größeren Orten Nord­deutschlands wie auch als Kurialen zu Avignon und Rom.   

                                                                                                                                                                                                                                      von H. J. Heer

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 48/06, vom 24. November 1972, S. 1-2 

UNSERE STADT, IN DER WIR LEBEN

Das Chorherrenstift St. Peter, zu Fritzlar , eine Stätte des geistigen Lebens im mittelalterlichen Hessen II.

Bis zur Reformation wurden ferner viele Kanoniker von den damaligen Fürsten als Kanzler herangezogen. 1194 nennt Erzbischof Siegfried von Mainz den Kan. Hermanus von Fritzlar als Notar, 1196 - 1207 wird Ade­­leldus aus Fritzlar als solchen genannt. Eckerardus von Momberg wurde 1248 Propst und Archidiakon des St. Peterstiftes in Fritzlar, er führte im Verein mit Konrad v. Elben und Werner v. Löwen­stein im Auf­trage des Markgrafen Heinrich v. Meißen die vormundschaftliche Re­gierung für den minderjährigen Hein­rich v. Brabant, das Kind von Hes­sen der spätere Landgraf. 1246 - 47 war der Fritzlarer Propst Bur­kar­dus von Ziegen­hain Kanzler Heinrich Raspes der Schwager der Hl. Elisa­beth von Thüringen. Auch sein Nachfolger, Wilhelm von Holland´s Kanzler, war Wilhelmus de Frieslarfa.

      1279 wird Henricus de Anreff can. fritl. Kanzler des Land­grafen Hein­rich von Hessen. 1354 war Bertram v. Wolfshain can. fritl. protno­tarius des Landgrafen. 1377 ist Heiden­rikus von Fritzlar notarius von Adolphi I., Tilmann Hollauch, ein Fritzlarer Altarist, war 1413 - 58 Kanzler des Landgra­fen Ludwig I. Unter den Räten dieses Landgrafen waren Dietrich v. Uffeln can. fritl. sowie die Altaristen Joh. Torlan und Joh. Morsen sind seine Räte. 1419 ist Volpert Regis de Fridslaria Notar und Schreiber des Mainzer Stuhles. 1434 war Joh. Kirchhain, später Dekan des St. Peterstiftes, „Kammerschreiber“ des Erzbischofs. 1465 war Conrad Balke can. fritl. landgräflicher Kanzler. 1465 war Dr. Joh. Herdeyn aus Fritzlar „Heimlicher Rat“ des Landgrafen Her­mann, 1479 Dr. Joh. Menche, scolast. fritl. Notar und Rat des Landgrafen Heinrich, 1483 wurde er als prepositus fritl. Kanzler Landgraf Hermanns zu Hes-sen, Erzbischof von Köln.

      Die Fritzlarer Stiftsschule mit ihren bedeutenden Juristen war si­cher­lich der Anlaß für „das Landfriedensgericht“, ein Bündnis, wel­ches in Fritzlar gegründet und wiederholt dort tagte. Um den fortwäh­renden Räubereien, Wegelagerungen und Plünderungen, Gewalttätig­keiten usw., die zu einer wahren Landplage geworden waren, ein Ende zu machen, traten eine Anzahl Fürsten zu Bündnissen zusammen, welche den Zweck hatten, diese Ausschreitungen zu unterdrücken und vor­kommende Streitigkeiten durch Landrichter zu schlich­ten.

      So schlossen Erzbischof Gerlach und Landgraf Heinrich 1. 1254 ei­nen solchen Landfrieden. Ihre Landrichter traten z. B. 1266, den 3. Mai in Fritzlar zusammen, um Mei­nungsverschiedenheiten zu schlichten. Nachdem nochmals 1273 bei Fritzlar zwischen Erzbischof und Land­grafen neue Vereinbarungen getroffen waren, traten 1293, weil die Ver­hält­nisse inzwischen wieder unerträglich geworden wa­ren, die Städte Fritzlar, Naumburg, Hofgeismar, Wolfha­gen, Warburg, Marsberg und Höxter zu einem Landfriedens­bunde zusammen. 1361 und 1370 finden wieder Vereini­gungen zwischen den beiderseitigen Landesherren in Fritz­lar statt. Jetzt treten auch benachbarte Fürsten dem Bunde bei. Am 12. März 1385 verbünden sich Erzbischof Adolf, Herzog Otto von Braunschweig, die Grafen von Waldeck und Ziegenhain und viele Ritter und Knappen. Zur Leitung der Geschäfte sollen der Erzbischof drei, das Land Westfa­len drei, das Land Sachsen drei und die Lande zu Hessen und in der Buchenau (Fulda) drei Abgeordnete wählen, „und wann die gekorne also alle zusamen ryden wurden, daz solde gescheen gein friczlar“ (aus Braunschw. Urkb. VI p. 123). 1393 traten dem Bunde die Bischöfe von Pader­born, der Landgraf Balthasar von Thüringen und Markgraf zu Meißen, sowie Landgraf Hermann von Hes­sen bei.

      „Auch sind wir fursten überkomen, waz das wir alle jare eyns czu­sa­men komen sollen czu Friczlar mit namen uff den suntag nach mit­fa­sten, und dazu überkomen, waz nucze gut sie czu dem fride“ (Cod. dipl. Sax.). 1401 ritten die Schiedsleute noch nach Fritzlar. In der Rechnung der Stadt Hildesheim heißt es da: „de hovetman verdan do he reden was van unses herrn weghen an de lant­richtere to Fritzlar“. In der Mitte des 15. Jahrhunderts ver­lieren sich die Richtertagungen in Fritzlar.

      All diese urkundlich belegten Vorkommnisse zeigen uns die be­deutende Stellung von Fritzlar im Mittelalter. Im Jubi­läumsband der Philipps-Universität in Marburg zur Vier­hundertjahrfeier des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Band 56, 1927, von Seite 347 bis 436 be­schreibt Dr. Karl Heldmann, Professor an der Uni­ver­sität Halle-Wittenberg, „Das akademische Fritzlar im Mittelal­ter“ in einem Bei­trag zur Geschichte des geistigen Lebens in Hessen, worin er die Stiftsschule zu Fritzlar als ein Vorläu­fer der Philipps-Universität von Mar­burg sieht, als Abschlußkapitel folgendes: „Unbezweifelbar bleibt dennoch, daß das ungünstige, je­denfalls aus einem konfes­sionellen Vor­urteil geborene Ur­teil über die Fritzlarer Stiftsschule im Mittelalter in keiner Weise zu recht besteht und allein schon durch die Listen der Scholaster, Graduierten und Studierenden, die wir nun folgen lassen, bündig wiederlegt wird. In Wahrheit ist das Fritzlar jener Jahrhunderte vielmehr der eigentliche Mittel­punkt des geistigen Le­bens in Alt-Hessen gewesen, ein nicht bloß einfach kirchliches, son­dern auch ein `akade­misches ­Fritzlar´, das seine Rolle erst ausgespielt hat, als die neuen Geistesströmungen, Humanismus und Reformation, an seine Mauern heranbrandeten und im oberen Fürstentum Hessen die erste dem neuen Geist gewidmete Hochschule, Landgraf Philipps Universität zu Marburg, erstand. Ihr sei zu ihrem 400. Jubelfest diese Arbeit aus dankbarem Herzen darge­bracht!“ 

      (Es folgt dann der Nachweis bis zum Ende des 15. Jhrht. von cirka 500 Akademikern aus Fritzlar).

                                                                                                                                                                                                                                   Hans Josef Heer

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 32/07, vom 10. August 1973, S. 1 

UNSERE STADT, IN DER WIR LEBEN

Aus Fritzlar´s Geschichte - Tilly und Piccolomini

Wenn wir diese beiden Namen nennen, werden wir an die un­selige Zeit des 30jährigen Krieges erinnert, unter dem Fritz­lar auch viel zu leiden hatte. Schon im Oktober 1621 mußte Fritzlar die Schrecken des Krieges verspüren, denn da zog der Herzog Christian von Braunschweig mit seinen plündernden Truppen durch unsere Stadt.

      Doch die eigentliche Leidenszeit begann für Fritzlar 10 Jah­re später. Am 9. September 1631 erschien der Landgraf Wilhelm von Hessen mit 3600 Fußsoldaten und 1000 Reitern in aller Früh vor dem Werkeltore. Da der Torwächter schlief, konnten die Hessen unbemerkt das Tor sprengen und drangen nun in die Stadt ein. Was sich ihnen entgegenstellte, wurde niedergemacht. Es kamen bei dieser Gelegenheit 28 Perso­nen um, Nun wurde eine zweistündige Plünderung über Fritz­lar verhängt. Auch die beiden Stiftsdörfer Ungedanken und Rothhelmshausen wurden ausgeplündert. Dann ritt der Landgraf mit gezogenem Schwert durch die Stadt und machte der Plünderung ein Ende. Fritzlar mußte aber monatlich 600 Ta­ler Contribution bezahlen; alle Waffen, darunter eine Kano­ne, der große Hund genannt, die auf eine Entfernung von zwei Stunden getroffen haben soll, die Kriegsvorräte aus dem Zeughaus und die Archive fielen in die Hände der Feinde. Außerdem mußte die Stadt 2 Komp. hessischer Soldaten un­terhalten,

      Diesmal dauerte die Besatzung nicht lange, denn es rückte Tilly mit seinem Heere heran und kam am 10. Oktober 1632 in Fritzlar an. Aber schon am 12. Oktober zog er wieder wei­ter, und die Hessen besetzten die Stadt aufs neue.

      Im Jahre 1640 kam das kaiserliche Heer, geführt vom Bruder des Kaisers, Erzherzog Leopold Wilhelm und dem Fürsten Piccolomini und besetzte die Stadt am 14. August. Das Hauptquartier befand sich damals im Gasthaus Lindenhof, dem jetzigen Julius Seibel'schen Wohn­haus am Markt.

      Am 20. August rückte das schwedische Heer unter General Banner zwischen Züschen und Dorla heran, um die Kaiser­lichen aus Fritzlar zu vertreiben. Nun verschanzten sich die Kaiserlichen am Mühlen­graben oberhalb der Spitalsbrücke über Galbergerwarte, Eckerich, Hellenwarte, Kasseler- und Möllricherwarte, auch zwei Brückenköpfe an der Eder wur­den angelegt. Die Reiterei verteilte sich in den Gärten um die Stadtmauer, während die Artillerie und das Fußvolk hin­ter den Schanzen lag. Die Bayern hatten ihre Kanonen nördlich der Hellenwarte aufgestellt. In der Nähe der Kasseler­warte stand das Feldherrnzelt des Fürsten Piccolomini. Zu­nächst wurde ein schwedisches Regiment durch kaiserliche Kürassiere am Hohenberge fast vollständig aufgerieben. Dann wurden sieben schwedische Schwadronen, die einen Durch­bruch versuchten, bei Dorla zersprengt. Nun verschanzte sich General Bannert bei Wildungen. Die beiden Heere la­gen jetzt nahe beieinander, und eine große Schlacht schien unvermeidlich.

      Die Schweden versuchten, die am Mühlengraben unterhalb des Amberges gelegene Stiftsmühle zu zerstören, aber sie wurden mit Kanonen, die auf Schanzen in der Nähe des Do­mes standen, beschossen und in ihr Lager zurückgetrieben. Fürst Piccolomini erhielt trotz des Auflauerns der Schweden noch 4000 Reiter Verstärkung und fühlte sich stark genug, den Schweden acht Tage lang die Schlacht anzubieten. Als sie aber nicht angenommen wurde, zog er nach Beschießung des schwedischen Lagers über Wolfhagen und Warburg nach Höxter, Banner aber nach Münden. Nach Abzug der kaiserlichen Truppen wurde Fritzlar wieder von den Hessen besetzt. So wechselten Freund und Feind noch mehrmals ab, bis endlich im Jahre 1648 der Friede zustande kam. Fritzlar kam wieder an Mainz zurück. Von 700 Bürgern waren nach dem Kriege noch 400 übrig.

 

Stadtgeschichte:

 

Wochenspiegel Nr. 02/10, vom 09. Januar 1976, S. 1-2

Deutsche Kaiser und Könige in Fritzlar

Der Besuch gekrönter Häupter war ein Beweis für die bedeutende Stellung unserer Stadt.

      Das alte Urkundenarchiv von Fritzlar, unter dessen Bestand sich sicherlich auch mehrere Kaiserurkunden befanden, wie et­wa die bedeu­tende Schenkung Karl des Großen an die Fritzlarer Kirche 782, sind durch die zwei großen Stadt- und Kirchenzer­störungen, 1079 durch die Sachsen und besonders 1232 durch Landgraf Konrad, vernichtet wor­den. Deshalb sind wir für die frühe Geschichtszeit auf Forschungsfunde anderer Archive ange­wiesen, mit dem Erfolg, daß man 1909 erst 13 Kaiseraufenthal­te in Fritzlar nachweisen konnte, die sich aber bis heute schon auf 23 erhöht haben. Der Ausbau der königlichen Anlage in Fritzlar zur Pfalz erfolgte wahrscheinlich schon unter Karl dem Großen im Zusammenhang mit den Sachsenkriegen, denn das Vorhandensein einer Pfalz wird uns mehrmals quellenmäßig be­legt.

      Warum es im alten Deutschen Reich mal Könige und mal Kai­ser gab, hat folgende Bewandtnis: die deutschen Könige wurden von den Fürsten, seit dem 13. Jahrhundert ausschließlich von den sieben Kur­fürsten gewählt, aber nur in Rom von den Päpsten zum Römischen Kaiser gekrönt; es sind daher nicht alle Könige zu Kaisern gekrönt worden.Mit Maximilian 1. (1493 -1519) hör­te die Krönung in Rom auf, der Gewählte nannte sich nun gleich mit der deutschen Wahl Römi­scher Kaiser.

      Die Reichsinsignien, die Hoheitsabzeichen der deutschen Kö­nige und Kaiser im alten Reich, bestanden in den Hauptteilen aus Krone, Zepter, Reichsapfel (Weltkugel mit Kreuz, ursprüng­lich Sinnbild der christ­­lichen Weltherrschaft des Kaisers), sowie Schwert, Schild und hei­lige Lanze mit den dazugehörigen Kaiserornaten. Diese Isignien und Klein­odien des Heili­gen Römischen Reiches deutscher Nation befinden sich wohl noch heute in der Schatzkammer des ehemaligen „Aller­höchsten Kaiserhauses“ in Wien.

      In der Hoffnung, daß auch unsere Stadt Fritzlar mit seinem histori­schen Rathaus aus dem 11. Jahrhundert, ähnlich wie die Städte Aachen, Frankfurt oder Goslar, sich dazu entschließt, diese deutschen Kaiser und Könige in Bild und Belegen zur Dauerausstellung zu brin­gen, um damit den Einheimischen wie den Besuchern die geschicht­liche Bedeutung unserer Stadt ins Bewußtsein zu rufen.

                                                                                                                                                                                                                                                        H.J. HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 03/10, vom 16. Januar 1976, S. 1

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR

König Konrad 1. König von 911 bis 918

Die Hauptträger der karolingischen Politik in Hessen des 9. und 10. Jahrhunderts waren die Konradiner, die als karolingische Grafen nicht nur die üblichen Reichsrechte wahrnahmen, sondern auch in Fritzlar einen eigenen Verwaltungsmittelpunkt errichteten, der schon am Ende des 8. Jahrhunderts die Anfänge einer konradinischen Resi­denz erken­nen läßt.

      Damit war Fritzlar der bedeutendste Ort weit und breit gewor­den, wo das hessisch-konradinische Grafengeschlecht eine Villa besaß. Im Jahre 911 wurde der hessische Konradiner, Graf Konrad der Jüngere in Forchheim bei Bamberg zum deutschen König gewählt.

 Vor der Königswahl trug er den Titel „Konrad, Herzog von Ost­franken, Hessen, Wetterau und Fritzlar, Fürst von Thüringen. So wurde die kon­radinische Villa in Fritzlar Königsvilla, königliches Kammergut, Kö­nigspfalz. Dies wird später ausdrücklich bezeugt.

      Königspfalzen hatten in der Regel Pfalzkapellen, die dem hl. Johannes dem Täufer geweiht waren. Die alte Johanneskirche, die ehe­mals am Domplatz stand, ist wahrscheinlich als die alte Pfalzka­pelle an­zu­sehen, die uns zugleich den Platz der alten Kaiserpfalz in Fritzlar an­deu­tet. Sie stand in der Nähe des heutigen Domes, westlich gegenüber dem Rathaus an der Nordostseite des Domplatzes.

           Die Herrschaft Konrads I. sollte nur von kurzer Dauer sein. Nach­dem er den mächtigen Sachsen-Herzog Heinrich zur Anerkennung sei­ner Königswürdegezwungen hatte, kämpfte er gegen die raubsüchti­gen Feinde Deutschlands, die Ungarn, empfing aber in diesem Kriege eine schwere Wunde, an welcher er krank danieder lag. Als er nun die Nähe des Todes fühlte, berief er seinen Bruder Eberhard, der weder den Ruf der Tapferkeit, noch die Liebe und Zuneigung seines Volkes besaß, und redete ihm zu, der Regierung zu entsagen, die Reichsklein­odien dem Herzog Heinrich von Sachsen zu überbringen und dessen Wahl zum König auf alle Weise zu fördern. Zu dem Ende sagte er zu Eberhard u. a.: „Täusche dich nicht, mein Bruder, über Dinge, von denen ich dir bisher, um dich nicht zu betrüben, noch nichts sagen mochte. Das Volk wünscht dich nicht zum König zu haben. Zwar kann unser Haus Heere ins Feld stellen; wir haben Städte und Waffen und sind im Besitze der Zeichen des Reiches, sowie alles dessen, was die königliche Würde verlangt. Nur das fehlt uns: Glück und persönliches Ansehen.“

      So starb König Konrad I. nach nur achtjähriger Herrschaft am 23. Dezember 918. Der Tod dieses konradinischen Königs ist mit einer Handlung verknüpft, die seit jeher in der deutschen Geschichte als einzi-gartig gegolten hat, nämlich die Übergabe der Krone an seinen mächtigsten Gegner, Herzog Heinrich von Sachsen.

                                                                                                                                     H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 04/10, vom 23. Januar 1976, S. 1

DEUTSCHE KAISER UND KöNIGE IN FRITZLAR

HEINRICH 1. König von 919 bis 936

Das historisch bedeutendste Ereignis in der 1250jährigen Ge­schichte Fritzlars ist zweifellos die Erhebung Heinrichs 1. zum Kö­nig im Mai 919 durch die dort versammelten Franken und Sach­sen. „Von da an“, be­merkte Otto von Freising, der größte Geschichts­denker des deutschen Mittelalters, schon vor mehr als 800 Jahren in seiner Chronik „von da an rechnen manche dem Reich der Fran­ken das der Deutschen“.

      Hier in Fritzlar am Domplatz vor der Kaiserpfalz haben wir uns die weltgeschichtlichen Stätte zu denken, an der die Wahl des Sach­senherzogs Heinrich zum deutschen König erfolgte. Der sterbende König Konrad hatte nämlich hochsinnig nicht an sein Haus, sondern an das Reich gedacht und darum seinen Bruder Eberhard und die Großen, die das Lager umstanden, aufgefordert, um Spaltungen zu vermeiden, Herzog Heinrich von Sachsen, „den würdigsten und mächtigsten Für­sten", zum König zu wählen. Nach seinem Tode erfüllte Eberhard alsbald seines Bruders letzten Willen. Mit der Kro­ne und den anderen Zeichen der königlichen Würde begab er sich zu Herzog Heinrich. Er traf ihn der Sage nach in Quedlinburg am Vogelherde, erzählte dem Staunenden seines Bruders Auftrag, fiel ihm zu Füßen und bot ihm Krone und Zepter an. Als Heinrich ein­willigte, berief Eberhard mit Zu­stimmung der fränkischen und säch­sischen Großen eine Reichsver­samm­lung nach Fritzlar im Mai 919.

Dort lenkte er die Wahl auf Herzog Heinrich, welcher auch wirk­lich von den Sachsen und Franken zum König erwählt, und nach­dem er die Würde angenommen hatte, als solcher ausgerufen wurde. Doch lehnte der neue König die ihm von dem Mainzer Erz­bischof Heringer angebotene Krönung und Salbung mit der Äußerung ab: „Es genügt mir daran, höher zu stehen als meine Vor­fahren und durch Gottes Gnade und euer Vertrauen König zu heißen; Salbung und Diadem mögen Würdigere em­pfangen.“

      Herzog Eberhard, dem der Verzicht auf die Krone gewiß nicht leichtgefallen ist, und König Heinrich haben sich ebenso respek­tiert, wie das um­ge­kehrt vorher König Konrad mit Herzog Heinrich getan hatte. Auch der neue deutsche König Heinrich I. hat zweifellos das ihm gebrachte Opfer in aller Form anerkannt und den fränkisch-hessischen Raum soweit wie möglich geschont und der Herrschaft Eberhards überlassen.

      Diese einmalige Tat hatte überjahrhundertelang. deutsche Dichter u. Denker bewegt. So schrieb 1840 der Romantiker Joh. Nepomuk Vogl das bekannte Gedicht: Herr Heinrich sitzt am Vogelherd recht froh und wohlgemut; aus tausend Perlen blinkt und blitzt der Morgenröte Glut“. 1910 erschien das Schauspiel von Ernst von Wildenbruch „Der Deut­sche König“, und 1925 die „Sonnenwende“ von Heinrich Winter, die alle das einmalige Thema beinhalten.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 05/10, vom 30. Januar 1976, S. 1

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR

Kaiser Otto 1. - genannt der Große - von 936 bis 973

Nachdem König Heinrich I. am 2. Juli 936 in der Pfalz zu Memle­ben die Augen schloß, übernahm sein Sohn Kaiser Otto I., genannt der Große, die Regierungsgewalt.

      Er war der größte Herrscher des sächsischem Hauses, der sich mit der Macht des Königtums gegen die der Stammesherzogtümer durchge­setzt hatte. Durch die Unterwerfung Oberitaliens 951 und durch seine Kai­serkrönung in Rom 962 schuf er die weltgeschichtliche Verbindung Deutschlands mit Italien. Er war der Gründer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

      In Fritzlar weilte Kaiser Otto 1. am 18. Januar 943. Bei ihm sind Erz­bi­schof Friedrich von Mainz, Herzog Hermann und sein Bruder, der hl. Bruno, Erzbischof von Köln. Im Mai 953 hält er in der Kaiserpfalz zu Fritzlar einen Reichs- und Gerichtstag zum Abschlug eines in Dort­mund gegen fürstliche Empörer eingeleiteten Verfahrens. Anwesend wa­ren Herzog Heinrich, Erzbischof Friedrich von Mainz, Graf Dadi und Wilhelm. Konrad von Lothringen wird abgesetzt, die Grafen Dadi und Wilhelm gebannt, Herzog Heinrich zur Verwahrung übergeben. Auch Liudolf, der letzte hessische Graf, verliert auf diesem Reichs­tag Herzog­tum und Lehen.

   Vom 12. bis 16. Januar 958 finden wir Kaiser Otto I. abermals in Fritzlar. Auf die Fürsprache seines Bruders, des hl. Bruno von Köln, machte er eine Schenkung an das Kloster Meschede und an die Kirche zu Chur. Letztmals halten sich Kaiser Otto I. und sein Sohn Wilhelm, seit 954 Erzbischof von Mainz, für Jahre 959 in der Kaiserpfalz zu Fritzlar auf.

 Vom 12. bis 16. Januar 958 finden wir Kaiser Otto I. abermals in Fritzlar. Auf die Fürsprache seines Bruders, des hl. Bruno von Köln, machte er eine Schenkung an das Kloster Meschede und an die Kirche zu Chur. Letztmals halten sich Kaiser Otto I. und sein Sohn Wilhelm, seit 954 Erzbischof von Mainz, für Jahre 959 in der Kaiserpfalz zu Fritzlar auf.

     Dieser Kaiserbesuch hatte wohl für Hessen und Fritzlar eine Bedeu­tung von großer Tragweite. Er dürfte für Fritzlar ein Mark­stein in seiner Geschichte gewesen sein. Erzbischof Wilhelm war der Lieblingssohn des Kaiser Otto I., der ihm wiederholt Beweise seiner kaiserlichen Huld gab. Er hatte ihm das Reichs-Erzkanzleramt übertragen, das nunmehr mit dem erzbischöflichen Stuhle in Mainz verbunden blieb. Ergab ihm die weltliche Herrschaft über das Erfurter Land und auch, nachdem der letzte hessische Graf 953 abgesetzt war, die Grafschaft Hessen, die nun Mainz zunächst durch Wernerische und dann durch Gisonische Grafen verwalten ließ. Der Besuch Kaiser Otto I. und des Mainzer Erzbischofs Wilhelm in Fritzlar vom Jahre 959 sollte also wohl diesen wichtigen ge­schichtlichen Akt besiegeln.

      Nun gehörte Fritzlar nicht bloß kirchlich, sondern auch staatlich zu Mainz und blieb mit den Dörfern Ungedanken und Rothhelmshausen, gleichwie die Ämter Naumburg, Neustadt und Amöneburg, bis zum Jalrre 1803 mainzisch, während die übrigen hes­sischen Gebiete mit der Zeit an das thüringisch-hessische Fürstengeschlecht fielen.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 06/10, vom 06. Februar 1976, S. 1-2

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR

Kaiser Otto II. - 973 bis 983

Auch Kaiser Otto 1. der Große war - wie sein Vater Kaiser Heinrich I. - in der Pfalz zu Memleben am 7. Mai 973 gestorben. Sein Grabmal befin­det sich in dem von ihm gestifteten Dom zu Magdeburg.

      Sein Sohn, Kaiser Otto II. übernahm 973 die Regentschaft. Er war von gelehrter Bildung, ging über die politischen Bestre­bungen des Va­ters hinaus, indem er die auf eine vollkommene Beherrschung des Mit­tel­meers zielende Politik der römischen Imperatoren und ihre Nachfol­ger wieder aufgriff. Italien sollte als zentrale Macht Südeuropas gleich­be­rech­tigt neben Deutsch­land treten. 961 zum König gewählt, 967 als Mitkaiser gekrönt, 972 mit der griechischen Prinzessin Theophano vermählt, hat er meistens in Italien gelebt.  

Kaiser Otto II. ist wahrscheinlich urkundlich nur einmal in Fritzlar gewesen, und zwar wenige Tage nach der feierlichen Be­stattung seines Va­ters in Magdeburg, wo er von dort am 6. Juni 973 mit seinem Hof­staat aufbrach. In seiner Begleitung befand sich seine Mutter, die Kai­se­rin Adelheid, eine geborene Prinzes­sin von Burgund, und für unser Fritzlar von Bedeutung, ein ara­bischer Gesandter, von dem uns eine Schilderung über unsere Stadt vor 1000 Jahren überliefert wurde. Der Aufenthalt des Kaisers war nur kurz, die Reiseroute ging über die Pfalzen Werla, Grone und Fritzlar zu dem nach Worrns einberufenen Reichs­tag. Die in der Kanzlei des Kaisers zur Beurkundung in Fritzlar vorgenommene Schenkung wurde daher erst nach der Ankunft in Worms am 16. Juni vorgenommen.

      Der Gesandte, Araber Ibrahim ibn Achmed at-Tartuschi, war im Auftrage des Kalifen Hakam II. im mohammedanischen Spa­nien nach Deutschland an den Hof Ottos I. und Ottos II. 973 gekommen. Welcher Art seine Mission war, wissen wir nicht ge­nau. Es wird nur berichtet, daß er eine Menge kostbarer Ge­schenke für Kaiser Otto überbrachte und dieser ihm seinerseits Geschenke an seinen Herrn, den Kalifen, mit­gab.

      Tartuschi bereiste in Deutschland eine Reihe von Städten, von denen in den vorhandenen Textfragmenten noch folgen­de Namen erhalten sind: Schleschwiq (Schleswig), Itraht (Ut­recht), Madifurg (Magdeburg), Schu­schit (Soest), Magandscha (Mainz) und „Ifridislar", eine Arabi­sie­rung des Namens Fritz­lar.

      Hören wir nun, was er von seinem Besuch in Fritzlar zu be­richten weiß:

     „Ifridislar“, so beginnt Tartuschi, „ist eine feste Stadt in „Ifran­dscha“ (Frankreich), deren Häuser aus Steinen erbaut sind. Sie wurde vor mehr als zwei  Jahrhunder-      ten von einem gro­ßen christlichen Mär­tyrer (Bonifatius 724) gegrün­det. In der Stadt befindet sich auch eine Kirche, die aus großen Steinblöcken errichtet ist und ein        Kloster mit Mön­­chen. Ifridislar ist berühmt in den Frankenlande, weil hier die Infran­dschin (Franken) und die Schäschin (Sachsen) vor einem halben Jahr­hundert          ihren er­sten König gewählt haben“. (Heinrich I. 919)

      Über die Bevölkerung und ihr Leben heißt es:

     „Die Bewohner der Stadt sind alle Christen und verehren den Messias - Friede sei mit ihm! Sie gewinnen ihren Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft, Handel            und Handwerk. Sie sind fleißig und ehrlich, fromm und gläubig und besu­chen oft in großer Zahl die erwähnte Kirche, um dort ihren Gott zu verehren.“

      Er fährt dann in seinem Bericht fort:

      „Die Leute wohnen dort in Häu­sern, deren Form verschieden von der unseren ist. Die Dächer sind spitz und nicht flach wie im Orient. Die Fenster­öffnungen befinden       sich an der Außenseite, so daß jeder ins Innere blicken kann, im Gegensatz zu unseren Häusern, deren Fenster an der Innenseite liegen. Die Umge­bung von Ifridislar       ist sehr frucht­bares Land. Ich sah dort Bäume, die Äpfel, Birnen und Pfirsiche trugen.“

      Auch beschreibt er noch in sehr eigenartiger Weise das Klima und die Sauberkeit der Einwohner von Fritzlar.

                                                                                                                                                                                                                                                         H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 07/10, vom 13. Februar 1976, S. 1

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR

Kaiser Otto III. von 983 bis 1002

Kaiser Otto II. starb am 7. Dezember 983 in Rom. Sein Grabmal befin­det sich in der dortigen Peterskirche.

      Sein Sohn, Kaiser Otto III., als Nachfolger war ein hoch­strebender Jüng­ling von feiner und reicher Bildung, aber phan­tastisch, unpolitisch und unerfahren. Er nahm Rom zur Resi­denz und wollte von hier aus in Gemeinschaft mit dem Papst die Christenheit nach den Ideen des Got­tes­staats regieren. Bis 994 unter der Vormundschaft seiner Mutter, der Kaiserin Theophano, und nach deren Tod dann seiner Großmutter, der Kaiserin Adelheid. Auf dem 1. Römerfeldzug machte er seinen Vetter Bruno zum Papst (Gregor V.), der ihn 996 im Alter von 16 Jahren zum            Kaiser krönte.

      Zu einem Aufenthalt Otto III., des vierten in der Reihe der Herrscher aus ottonischem Hause, kam es in Fritzlar nicht mehr. Doch wissen wir aus den Viten der beiden Hildesheimer Bischöfe Bernward und Gode­hard von dem Plan eines Hofta­ges, zu dem Otto III. die Fürsten für den Fall seiner Rückkehr aus Italien auf den 31. Mai 1002, den Sonntag nach Pfingsten, geladen hatte. Auf einen Fürstentag zu Frankfurt im August 1001 einigten sich Erzbischof Willigis von Mainz und Thang­mar, der Vertreter Bischof Berwards von Hildesheim, den Gan­dersheimer Streit bis zu ihrem Erscheinen am 31. Mai 1002 vor dem Kaiser in Fritzlar ruhen zu lassen. Dieser Hoftag wur­de am 27. Dez. 1001 auf der Synode zu Todi (in der italieni­schen Provinz Perugia) vor Kaiser und Papst gehaltene Rede für nach „Fridislare ad palatium“" (Kaiserplatz) festgelegt.

      Jedoch der Tod Kaiser Ottos III. am 24. Jan. 1002 in der Burg Paterno in Sizilien macht den Hoftag in Fritzlar ge­genstandslos. Es war das Ende eines jugendlichen Phantasten von 22 Jahren. Sein Grabmal befindet sich im Dom zu Aachen.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 08/10, vom 20. Februar 1976, S. 1-2

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR

Kaiser Heinrich II. der Heilige von 1002 – 1024

Mit Recht kann die Wissenschaft in der Geschichtsschrei­bung nur sol­che Forschungen anerkennen, die urkund­lich belegbar sind. Leider sind über Besuche Kaiser Hein­rich II. in Fritzlar noch keine urkundli­chen Belege gefun­den worden, trotzdem sprechen überzeugende Überliefe­run­gen und besonders das kostbare Fritzlarer Kaiserkreuz im Dom­schatz für den Besuch dieses Kaisers. Für die Fritz­larer Geschichts­for­schung über diese frühe Zeit, haben sich die großen Urkundenverluste bei den Zerstörungen 1079 und 1232 als besonders bedauerlich er­wiesen. Andererseits muß man bei den urkundlichen Erwähnungen be­den­ken, daß sie über die Häufigkeit von Kaiserbesuchen in der Fritzla­rer Pfalz nur eine sehr beschränkte Aussage machen können, denn selbst­verständlich haben die Herrscher nicht jedesmal an jedem Ort, wo sie sich aufhielten, geur­kundet.     

      Die Erwähnung einer Fritzlarer Generalsynode in der „Vita Haime­radi“ wird wissenschaftlich durchaus für mög­lich gehalten. Nach der Überlieferung soll sie 1020 in Fritzlar unter dem Vorsitz des Erzbischofs Erkenbald stattgefunden haben, auf dessen Konzil Kaiser Heinrich II. der Kirche zu Fritzlar das kostbare Vortragekreuz schenkte.nnen, denn selbst­verständlich haben die Herrscher nicht jedesmal an jedem Ort, wo sie sich aufhielten, geur­kundet.

Das romanische Vortragekreuz von etwa 48 Zentimeter Höhe und 29 Zentimeter Breite ist von der Kunstwissen­schaft in das erste Drittel des II. Jahrhunderts datiert. Die Vorderseite ist mit 346 Edelsteinen in Goldfilet ge­faßt, die alle das Mittelstück, einen großen, ovalen, durch­sichtigen Bergkristall mit einem Kreuzpartikel vom „Kreuze Christi“ umrahmen. Sie setzen sich wie folgt zusammen:

7 Achate, 22 Almadin Granate, 46 Amethyste, 31 26 Chalcedone, 3 gebrannte Chalcedone, 16 Chrysopase, 3 Granate, 1 Labrador, 2 Nicolei, 1 Obsidian, 1 Onyx, 1 Plasma, 6 Saphire, 4 Wasser-Saphire, 1 Lux-Saphir, 1 Topas und 142 Perlen. 17 der Steine sind als griechische, römische und gallische Gem­men hervorzuheben. Wahrlich ein kaiserliches Geschenk.

      Dieses kostbare Kreuz schmückte bei festlichen Gelegenheiten den Altar der Krypta, der dem hl. Kreuz geweiht war. Landgraf Ludwig III. (1172 - 1182) berichtet uns in einer Urkunde, daß dieses Kreuz in der Fritzlarer Krypta ihn und seine Gemahlin zu Tränen gerührt und ihn bestimmt habe, für diesen Altar eine Stiftung zu machen. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß Landgraf Ludwig III. eine solche Stiftung vorge­nommen hätte, wenn ihm nicht bekannt gewesen wäre, daß dieses Kreuz eine Schenkung des 1146 heiliggesprochenen Kaiser Heinrich II. war.

      Als weiterer Beweis, das Kaiser Heinrich II. in Fritzlar gewesen sein kann, muß die Tatsache gewertet werden, daß er fünf Mal das Kloster Kaufungen besuchte, eine Stiftung seiner Gattin Kunigunde, das letzte Mal am 22. Mai 1020, da es ja nicht weit von Fritzlar liegt.

      Kaiser Heinrich II., der letzte der Sächsischen Herrscher, starb am 13. Juli 1024 ohne Leibeserben, sein Grabmal befindet sich im Dom zu Bamberg.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 09/10, vom 27. Februar 1976, S. 1 

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
Kaiser Konrad II. von 1024 bis 1039

Kaiser Konrad II., der erste Salier auf dem deut­schen Thron, war ein kraftvoller Herrscher. Er brachte Bayern, Schwaben und Kärnten an sein Stammhaus, sowie 1031 beide Lausitzen und 1034 Burgund an das Reich.

      1027 wurde er zum Kaisergekrönt und war mit der Tochter Gisela des Herzogs Hermann II. von Schwaben vermählt.

      Zum ersten Mal weilte Kaiser Konrad II. am 15. Juni 1028 in der Pfalz zu Fritzlar. Damals trat der kaiserliche Kapellan Hageno einige Gü­terstücke an Erzbischof Aribo von Mainz ab.

      Es ist wahrscheinlich, daß der Kaiser bei seinem Reisezug von Aachen über Dortmund und Pa­derborn nach Magdeburg im Juni 1028 den Weg über Fritzlar einschlug.

      Am 18. Januar 1032 weilte Kaiser Konrad II. auf seiner Fahrt von Paderborn nach Straßburg ebenfalls in der Pfalz zu Fritzlar. Im Gefolge des Kaisers befanden sich seine Gemahlin Kaiserin Gisela, sein Sohn, König Heinrich III. sowie die Bischöfe Meinwerk von Paderborn und Egilbert von Freising. Bei dieser Gelegenheit wurde in Fritzlar ein Diplom für das Bistum Paderborn ausgestellt.

     Kaiser Konrad IIL verstarb am 4. Juni 1039 in Utrecht, er wurde in dem von ihm gestifteten Dom zu Speyer beigesetzt.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 10/10, vom 05. März 1976, S. 1 

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR

Kaiser Heinrich III. von 1039 bis 1056

Kaiser Heinrich III., Sohn Konrads II., war einer der bedeutend­sten und von höchsten Idealen getragener Herrscher. Unter sei­ner Herr­schafts­führung hatte das Deutsche Reich seine größte Ausdehnung er­hal­ten. Er brachte Ungarn in seine Abhängigkeit und schob die Grenzen des Rei­ches bis zur Leitha vor.

      Er beseitigte 1046 das Schisma (die Kirchenspaltung; durch die Synoden von Sutri und Rom und brachte 4 deutsche Bischöfe auf den päpstlichen Thron (Klemens II., Damasus II., Leo IX. und Viktor II.). 1027 war er Herzog von Bayern, 1028 wurde er zum König und 1046 zum Kaiser gekrönt. Seine erste Gemah­lin war Gunhild, Tochter Knuts des Großen, dänischer König, zugleich König von England und Norwe­gen, seine zweite Gemahlin Agnes von Poitou. 

      Heinrich III. war erstmalig als junger König mit seinen kaiserli­chen Eltern am 18. Januar 1032 in der Pfalz in Fritzlar. Im Lau­fe seiner mehr als 17jähri-gen Regierungszeit ist Kaiser Heinrich III. noch dreimal in Fritzlar nachzuweisen: im Juli 1040, als sich der Hof auf dem Wege von der Pfalz Trebur nach Goslar befand. 

     Bei diesem Besuch in Fritzlar wurde in Anwesenheit des Kö­nigs, der Bischöfe von Speyer, Paderborn und Como sowie vier ge­nann­ter Grafen ein Streit geschlichtet wegen der strittigen Zehnten zwi­schen Erzbischof Bardo von Mainz und der Äbtissin Hildegard über das von der hl. Kaiserin Kunigunde gegründete Frauen­kloster Kaufungen bei Kas­sel.

      Vertreten wurde das Kloster durch den Bischof Theoderich von Metz, dem Bruder der hl. Kaiserin Kunigunde. Der sogenannte Hes­sen­zehnte des Klosters Kaufungen wird als zu Recht bestehend anerkannt, und zur Ablösung desselben werden einige Kaufun­ger Güter an Mainz abgetreten, und zwar Holzheim, Udenborn, Dorla, Nassen­erfurth und das Gut Gensungen. Am 7. Dezember 1046 schenkt Kaiser Heinrich III. in Fritzlar auf Fürsprache seiner Gemahlin dem Erzbischof Balduin in Salzburg ein Gut Liut­oldesdorf. Am 2. August 1047 macht Kaiser Heinrich III. in Fritzlar dem hessischen Frauenkloster Hilmars­hau­sen an der Weser unter der Abtissin Swanehild seinen Grundbesitz in der benachbarten Villa Scheden zum Geschenk.

      Kaiser Heinrich III. starb am 5. Oktober 1056 in der Pfalz zu Bod­feld im Harz, sein Grabmal befindet sich im Kaiserdom zu Speyer.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 11/10, vom 12. März 1976, S. 1-2 

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
Kaiser Heinrich IV. von 1056 bis 1106

Heinrichs III. Sohn war Kaiser Heinrich IV., der von allen deutschen Herrschern sich am häufigsten in Fritzlar aufge­halten hat. Deutscher       König seit 1056, römischer Kaiser seit 1084.   

      Erstmals treffen wir den noch nicht sechzehnjährigen jungen König in Fritzlar Mitte Mai 1066. Da wurde er schwer krank. Die Ärzte gaben ihn auf, die Fürsten berieten bereits über die Reichsnachfolge. Am Kran­­kenlager weilten der Landesherr von Fritzlar, Erzbischof Siegfried 1. von Mainz, sein Weih­bischof, der Propst von Fritzlar, und Graf Ekbert. Die jugend­lich kräftige Natur Heinrichs siegte über seine schwe­re Krank­heit. Geheilt verließ er Fritzlar, um in Tribur Hochzeit mit Bertha von Turin (Savoyen). zu feiern.

      Acht Jahre später, am 22. März 1074, erschien Heinrich IV. abermals in Fritzlar, wo er dem Markgrafen Ernst auf seine Bitte inner­halb seiner Mark Ostreich 40 Hufen im Walde Raabs schenkte.

     Der große Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum war ent­brannt, der sogenannte Investiturstreit. Schon die Vorgänger Heinrichs IV. hatten selbständig und ohne Zutun der Kirche kirchliche Stellen, be­son­ders Bischofs- und Abtssitze, besetzt. Solange sie dazu tüchtige Männer wählten, hatte Rom geschwie­gen, umsomehr, da es ein gewis­ses Mitwirkungsrecht der Krone bei der Besetzung dieser Stellen desh­alb anerkennen mußte, weil Bischöfe und Äbte damals vielfach zugleich Landesherren waren. Als aber Heinrich der IV. soweit ging, daß er eine Geld- und Günstlingswirtschaft einführte, konnte die Kirche nicht länger schweigen. Kaiser Heinrich IV., damals 24 Jahre alt, kümmerte sich nicht darum, besetzte nach wie vor die erledigten Bi­schofs­­sitze und ließ sogar am 24. Januar 1076 auf der Synode von Worms den Papst für abgesetzt erklären. Der. Papst erwiderte mit dem Bann des Kaisers, der deshalb verhängnisvoll für diesen war, weil er damit nach damals geltendem Rechte seinen Thron verlo­ren hatte. Durch diesen Bann wurde Kaiser Heinrich IV. in der Geschichte als Canossa-Kaiser bekannt.

      Papst Gregor VII. suchte durch Friedensverhandlungen die heillose Spal­tung zu beseitigen, und diese Friedensverhand­lungen zwischen Papst und Kaiser einerseits und zwischen dem 1077 zum Gegenkönig gewählten Rudolf von Schwaben ande­rerseits sollten zum Teil in Fritzlar stattfinden. Jetzt wurde noch mehr als bisher in Fritzlar die Weltge­schichte zur Orts­ge­schichte. Papst Gregor VII. hatte einen Legaten nach Deutsch­land zwecks Friedensherstellung gesandt. Diese Versammlung wurde nach Fritz­lar berufen und trat hier 1078 zusammen. Außer dem päpstlichen Le­ga­ten waren die sächsischen Großen und vertraute Ratgeber des Kaisers erschienen, an ihrer Spitze Erzbischof Udo von Trier, des Kaisers Wort­führer und Unter­händler. Die sächsischen Großen, Feinde Kaiser Heinrich IV., waren sehr ungehalten darüber, daß kein Reichsfürst sich einge­fun­den hatte, so wurde nur eine vor­läufige Einigung, ein Burg­friede, erzielt.

      Heinrich IV. hegte noch immer die Hoffnung, sich selber ohne Ver­mittlung mit seinen Gegnern auf friedlichem Wege aus­einandersetzen zu können. Und wirklich kam es in der Fasten­zeit 1079 zu einer erneuten Friedensversammlung in Fritzlar. Abgesandte von beiden Par­teien waren erschienen. Die Gesand­ten des Königs baten die Sachsen, sie möchten sich fügen und unterwerfen, der König würde dann alles vergessen und ihnen ge­wogen sein. Die Sachsen bestanden darauf, der König solle zuerst den Willen zum Frieden zeigen und dem Papst Gehorsam leisten. Als die Vertreter des Königs darauf erklärten, ihr Herr und auch sie kümmerten sich wenig um Frieden und Papst, löste sich die Versammlung wieder auf. (Danach entbrannte über Fritzlar ein schreckliches Geschehen, der Gegen­könig greift in die Ge­schich­te ein.)

      Der deutsche Gegenkönig Rudolf von Schwaben war 1080 ge­fallen und Papst Gregor VII. war 1085 gestorben. In demselben Jahre erschien Hein­rich IV. wieder in Fritzlar, wo ihn sein Freund, Bischof Udo von Hildes­heim, aufs neue seiner Treue und Unterwürfigkeit versicherte.

      Zu Beginn des 12. Jahrhunderts finden wir Heinrich IV. zum letzten Mal in unserer Stadt. Mit einer Heeresmacht war er an­fangs Dezember 1104 vom Rhein gekommen, um sich am Grafen Dietrich von Sachsen zu rächen. In seiner Begleitung befand sich sein Sohn, der bereits 1098 zum König gewählte spätere Heinrich V. Hier in Fritzlar, wo Heinrich IV. vor 38 Jahren als Schwerkranker mit dem Tode gerungen, hier sollte das an Bitternissen so reiche Leben dieses unglücklichen Kaisers den Höhepunkt der Tragik e­rei­chen. Hier in der Kaiserpfalz zu Fritzlar erfolgten die Flucht, der Abfall und die Empörung Heinrichs V. gegen seinen Vater.

      Am 7. August 1106 starb Kaiser Heinrich I V. in Lüttich, sein Grab­mal befindet sich im Kaiserdom zu Speyer.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 12/10, vom 19. März 1976, S. 1

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
 Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden 
Herzog von Schwaben von 1077 bis 1080

Rudolf von Schwaben wurde zum deutschen Gegenkönig in Forchheim am 15. März 1077 gewählt, er hat nur drei Jahre regiert und starb nach seiner siegrei­chen Schlacht über Kaiser Heinrich IV. bei Hohenmölsen 1080, sein Grabmal mit kunstvoller Bronzeplatte befindet sich im Dom zu Merseburg.

      Die gescheiterten Friedensverhandlungen und der Bann über Kaiser Heinrich IV. brachten den Gegenkönig Rudolf von Schwaben an die Regierungsmacht. Der Gegen­könig Rudolf von Schwaben hatte gegen Ende Januar 1079 eine ansehnliche Truppen­macht in Sachsen gegen den Kaiser zusammengezogen. Als die Fastensynode zu Fritzlar ergeb­nis­los verlaufen war, brach der Sturm los. Rudolfs Heer suchte zu­nächst Westfalen, das mehr zu Heinrich neigte, schwer heim, dann zog es südwärts durch das Hessenland und erschien vor Fritzlar. Denn Hein­rich war nach der Fastensynode selber nach Fritzlar gekommen. Der Chronist Gerstenberg erzählt: „Der Keyßer floch und enthilt sich zu Fritzlar. Da das der Herzog Rudolf vernahm, da tzoch er vor Fritzlar unde verbrannte die stad mit sente Bonifacius monster allerdinge, unde geschach auch große schade dem lande zu Heßen an fruchten. Da floch der Keyßer vorters an den Ryn.“

      Das Frühjahr 1079 brachte also wahre Schreckenstage über Fritzlar. Kirche, Stift und Stadt wurden von Rudolf und dem sächsi­schen Heere den Flammen preisgegeben. Sie müssen damals fürchter­lich hier gehaust haben, denn der Mainzer Erzbischof Wezilo, der sechs Jahre später das Trümmerfeld von Fritzlar besuchte, schrieb im Jahre 1085: „Als ich an den Ort kam, der Fritzlar heißt, fand ich das Münster von den Sachsen verbrannt, das Kloster völlig zerstört vor. Überall Trüm­mer und Leichen.“

      Die Verwüstung in Fritzlar hielt den Gang der Verhandlungen nicht auf. Schon im Sommer des Jahres 1079 beriefen die päpstlichen Lega­ten zur dritten Friedensver­handlung in Fritzlar ein. Der Kaiser und der Gegenkönig waren geladen, dazu Welf sowie die sächsischen und schwä­bi­schen Fürsten. Der Gegenkönig Rudolf und die sächsischen Fürsten erschienen, die anderen Geladenen, so hieß es, seien von Hein­rich von der Tagung abgehalten worden.

      Wohl aber war sein Vertreter zur Stelle, der Patriarch Heinrich von Aquileja. Dieser, sowohl wie auch die päpstlichen Legaten, Kardinal­erzbischof Petrus und Bischof Udalrich, wurden von dem gleichfalls anwesenden geistlichen Landesfürsten Siegfried I. von Mainz festlich em­pfangen.

      Der Gegenkönig Rudolf von Schwaben, der mit den sächsischen Für­sten zu Papst Gregor VII. hielt, sah den Zweck der Tagung darin, die Ursache der Zwistigkeiten sachlich und gerecht zu untersuchen und bestand darauf, Heinrich müsse nunmehr sichere Garantien geben, daß er sich den Festsetzungen des Fritzlarer Tages fügen werde. Man endigte die Tagung, als die Vertreter Heinrichs die befriedigende Erklä­rung abgaben, daß sie, wenn nötig, Heinrich zwingen würden, die aufge­stellten Forderungen zu erfüllen.

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 13/10, vom 26. März 1976, S. 1-2

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
Kaiser Heinrich V. von 1106 bis 1125

Der letzte Salier war kühn und energisch, aber verschlagen - Realpoli­ti­ker. Deutscher König 1106 - 1111, römischer Kaiser 1111 - 1125, vermählt mit Mathilde, der Tochter Heinrichs I. von England, ge­storben am 23. Mai 1125 in Utrecht, Grabmal im Kaiserdom zu Speyer. Heinrich V. war kinderlos und hatte seinen Neffen, den Staufer Fried­rich II. von Schwaben, zum Nachfolger ersehen.

      Heinrich V., Heinrich IV. Sohn! Ein weltgeschichtliches Drama mit Schuld und Sühne. Fritzlar sollte die Bühne dieses Dramas sein. Es war in der Nacht des 12. Dezember 1104, da verließ Heinrich V. heim­lich mit seinem Freunde Hermann von Wingenburg und anderen Ver­trauten die Kaiserpfalz in Fritzlar und begab sich nach Bayern in das Lager der Feinde seines Vaters, um mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.

      Die Flucht und der Verrat seines Sohnes, das war wohl der größte Schmerz und die bitterste Enttäuschung im Leben Heinrichs IV. Tief erschüttert gab er am nächsten Tag sofort sein Unternehmen ge­gen die Sachsen auf. Schon sein erster Sohn Konrad hatte sich gegen ihn erhoben, die erste Ehe mit Berta war unglücklich gewesen, seine zweite Gemahling Praxedis hatte ihn verlassen, und nun erhob sich auch sein zweiter Sohn Heinrich gegen ihn. Das brach ihm das Herz. Am 7. August 1106 stand es zu Lüttich still. Ein unglückliches Leben hatte geendet.

      14 Jahre später. Nach seiner Thronbesteigung zeigte Heinrich V. sich als Sohn seines Vaters. Innerlich der Kirche fremd, kümmerte er sich nicht um das Investiturverbot und vergab wie sein Vater Bistümer und Abteien. Wie sein Vater erschien er auch in Rom, ließ Papst und Kardinäle gefangen nehmen und zwang den Papst, ihm für die Be­setzung von Bistümern und Abteien Zugeständnisse zu machen. Allein das Blatt wandte sich bald. 1115 war er von den Sachsen geschlagen worden, die seine Feinde geblieben waren, wie sie es seinem Vater gewe­sen. Vor Allerheiligen 1115 waren sie dann unter dem Vorsitze des Kar­dinals Dietrich in Fritzlar zusammengekommen, um selbständig ohne das Reichsoberhaupt über Reichsangelegenheiten zu beraten.

      Für den 28. Juli 1118 hatte der päpstliche Legat Kuno von Präneste abermals eine Synode nach Fritzlar ausgeschrieben. Sie war glänzend besucht. U. a. waren zugegen: Erzbischof Adalbert von Mainz und Erzbischof Friedrich von Köln, ferner die Bischöfe Godebald von Utrecht und Bruno von Speyer, außerdem aus Sachsen vier Bischöfe: Dietrich von Mün­ster, Gottschalk von Osna­brück, Arnold von Merseburg und Diet­rich von Naumburg.

      Die erste Handlung dieser glänzenden Versammlung war der Baunn über Kaiser Heinrich V., über den von ihm aufgestellten Gegenpapst und alle ihre Anhänger. In Fritzlar hatte er sich gegen seinen Vater vor 14 Jahren empört, in Fritzlar traf ihn auch der Bann. Geschichte und Gericht!

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 14/10, vom 02. April 1976, S. 1

DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
König Konrad III. von 1138 bis 1152

Der erste Hohenstaufe als König 1138 auf deutschem Thron, Neffe Kai­ser Heinrich V., war ein fröhlicher umgänglicher Mann und ein tüchti­ger Territorialpolitiker. Als König vermehrte er die fränkischen Besitzun­gen der Familie im Nürnberger Gebiet durch die Ehe mit Gertrud von Sulzbach, kam 1149 vom zwei­ten Kreuzzug krank zurück und starb am 15. Februar 1152, sein Grabmal befindet sich im Dom zu Bamberg.

      Die Menge der Reichs- und Kirchenversammlungen in Fritzlar, die unter den sächsischen Kaisern Heinrich IV. und Heinrich V. ihren Höhepunkt erreicht hatten, ebbten allmählich ab.

 Ende August des Jahres 1145 traf König Konrad III., anläßlich der Weihe des Augustiner-Chorherrenstiftes Weißenstein bei Kassel mit Erz­bischof Heinrich von Mainz in Fritzlar zusammen. Das Kloster Weißenstein war eine Gründung des Fritzlarer Kanonikers Bubo von Fritzlar, 1143 Magister beim Chorherren­stift.

      Dann schließt die Reihe der Fritzlarer Tagungen mit drei großen Kirchenversammlungen. Eine Provinzialsynode hielt hier Erz­bischof Sieg­fried III. von Mainz am 30. Mai 1243, in der der Bann über Kaiser Friedrich II. verhängt und Statuten über Aus­spendung der Sakramente und die Kirchenzucht erlassen wurden.

      

      Zwei weitere Synoden fanden in den Jahren 1246 und 1259 in Fritzlar statt, die sich mit kirchlichen Aufgaben befaßten.

      11 Könige und Kaiser haben vom 10. bis 12. Jahrhundert die Geschicke des großen römischen Reiches deutscher Nation zum Teil bei 23 urkundlich nachweisbaren Aufenthalten in der Pfalz in Fritzlar ge­lenkt. Sicherlich sind die Herrscher noch weit öfter in Fritzlar gewesen, denn die Urkundenverluste aus der frühen deutschen Geschichte sind groß und nicht jeder Besuch wurde beur­kundet. 

      Darum möchte ich die Herrscherbesuche mit dem Abschlußsatz aus dem Festvortrag „Königs­stadt Fritzlar“ von Oberstaats­archivrat Dr. K. E. Demandt aus Marburg beschließen, der da lautet: „Wenden wir den Blick noch einmal Ab­schied nehmend unserer aus dem Morgenlicht der deutschen Ge­schichte herüber grüßenden Königsstadt Fritzlar zu und schließen mit den Worten der Dichtung: `Erinnerung und Hoffnung: Was vergangen, kehrt nicht wieder, aber ging es leuchtend nieder, leuchtet's lange noch zurück.´" 

                                                                                                            H.J.HEER

Stadtgeschichte:

 

Wochenspiegel Nr. 15/10, vom 9. April 1976, S. 1-2
 

DER ROTE HALS“ - NORDEINGANG AM DOM ZU FRITZLAR

Ein Beitrag zur Klärung des seltsamen Namens

An der Nordwand des Fritzlarer Domes, gegenüber des Treppenauf­ganges zum Rathaus, befindet sich in Gestalt eines Windfanges ein wie­terer Zugang zum Dominneren mit dem eigenartigen Namen „Der rote Hals“. Mit der Deutung dieses seltsamen Namens haben sich in den letzten hundert Jahren viele Forscher befaßt.

      Die erste baugeschichtliche Beschreibung des Domes, von Heinrich von Dehn-Rotfelser, Kassel 1864, in Sonderdruck „Die Stifts­kirche St. Petri zu Fritzlar“. Bei seiner Beschreibung der Nordwand des Seiten­schiffes schreibt Dehn-Rotfelser auf Seite 19 fol­gendes:   

      „An der Stelle des fünften Fensters befindet sich jetzt eine im Rund­bogen überwölbte, rechtwinklig eingeschnittene Tür, vor welcher ein Vor­bau in Renaissance-Form angebaut ist, über dessen Eingang sich unter dem erzbischöflichen Wappen die Jahres­zahl 1735 eingehauen findet.

      Dieser Vorbau führt den sonderbaren Namen ,Der rothe Hals´. Er ist mit einem rippenlosen Kreuzgewölbe überdeckt und enthält eine Trep­pe, welche von dem sehr erhöhten äußeren Boden in die Kirche ´hinabführt“. 22 Zeilen weiter unten schreibt er:

      „Ob westlich vom rothen Hals Lisenen und Bogenfries an der Seitenschiffmauer vorhanden waren, erscheint zweifelhaft, da zwischen dem rothen Hals und dem sechsten Fenster keine Spur von einer etwa abgearbeiteten Lisene zu finden ist und noch weniger am Anschluß der alten Seitenschiffmauer an den Thurm eine Spur sich zeigt. Wahr­scheinlich rührt dieser Theil der Seitenschiffmauer aus der frühesten Zeit des Baues her, in welcher eine Ausstattung des Seitenschiffes mit Lisenen und Bogenfries noch nicht beabsichtigt war“.

C. Alhard von Drach schreibt in seinen „Bau- und Kunstdenk­mäler im Reg. Bezirk Kassel, Band II Kreis Fritzlar, 1909“ folgendes: S. 56 - 57:

   „Vor dieser Nordwand befindet sich heute noch 'der rote Hals' als Windfang für den darin befindlichen Eingang in die Kirche; es ist ein 1735 in antikisierenden Barockformen errichteter quadratischer Vorbau mit je einem Fenster auf beiden Seiten­wänden und einem oben mit dem Stiftswappen und der Jahres­zahl versehenen Portal auf der Nordseite.

 

 Das Innere ist mit einem rippenlosen Kreuzgewölbe überdeckt, letzteres war bis zu der vorher erwähnten Veränderung der Nordwand des Seitenschiffs auch an dieser weitergeführt.

      (An vielen Quaderstücken des heutigen Baues findet sich ein altes Steinmetzzeichen in Gestalt eines römischen A.)

     Es erübrigt noch, den seltsamen Namen, der von einem früher hier befindlichen Anhängsel der Stiftskirche sich auf den neueren Bauteil übertragen hat, zu erklären. In der „Fabrik­rechnung des Jahres 1548“ kommen Anstreicherarbeiten „am rothen halse“ vor, es werden ver­rechnet 7 1/2 alb. und 3 hlr., „wofür am rothen halse die thuer geschwartzt und das maurnwerg weis und roith angestrichen“. Ein Beweis für das Vorhandensein eines so genannten Baues schon zu je­ner Zeit; klar wird die Sache jedoch erst dadurch, daß in der „Fabrica de annis 1659/60“ zu lesen ist: „Im rothen hals St. Johannis haupt ahn­zumachen dem steinmetz geben 42 Schillinge“. Es war also in dem alten Durchgang eine Skulptur oder Gemälde von dem Haupt Johannis des Täufers mit der blutig rot gemalten Schnittfläche des Halses als Schlußsteinverzierung oder an der Wand zu befestigen.

Christian Rauch, schreibt in seinen Kunstgeschichtlichen Führer „Fritzlar“, 1926, S. 34 folgendes:

      „Der Vorbau vor dem Nebenschiff, der als Windfang dient, im Volksmunde der rote Hals genannt, hat klassizistische Barockformen und ist durch eine Inschrift über der Tür auf 1735 datiert. Seinen Namen soll dieser Bauteil von einem nicht mehr vorhandenen Bilde des blutigen Hauptes Johannes des Täufers bekommen haben, aber viel­leicht gibt der Sprachge­brauch des Volkes, das einen Vorbau als Hals bezeichnet „Kellerhals“ und die vorwiegende Verwendung roten Sand­steins eine näherliegende Erklärung.“

Volker Katzmann schreibt 1974 in „Fritzlar, die alte Dom­- und Kaiser­stadt und ihre Kunstschätze“ auf Seite 10 folgendes:

      „Der kleinere Zugangsbau vor dem Nordeingang, der ,Rote Hals´, hat klassizistische beruhigte Barockformen, er ist über der Tür 1735 datiert. Der Name dieses Vorbaus wird auf eine Darstellung vom blu­tenden Haupt des Täufers Johannes zurück­geführt, die sich früher hier befunden haben soll, vielleicht erinnert er auch daran, daß die Hingerichteten dereinst an die­ser Stelle des alten Friedhofs begraben worden sind.“

      Diese verschiedenen Deutungen waren bis heute eine mögliche Erklärung zu den Namen „Der rote Hals“, jedoch hat der Forschungs­bericht von den archäologischen Ausgrabungen über die Pfalz auf der Nordseite des Paderborner Domes in den Jah­ren von 1964 bis 1970, ein ganz neues Licht zu diesem Thema geliefert. Prof. W. Winkelmann schreibt in seinem Bericht „Die Frühgeschichte im Paderborner Land“ (Die Pfalz Pader­born) in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Band 20, Paderborner Hochfläche - Paderborn - Büren - Salz­kotten. Unveränderter Nachdruck 1975, S. 99 bis 121.

      Bei den Ausgrabungsarbeiten sind die Fundamente von den Pfalzbauten sowie der alte Rechtsplatz mit einem Thronunter­bau zu Tage getreten. Winkelmann schreibt in seinem For­schungsbericht auf Seite 105 - 6:

      „Das Ganze stellt den steinernen Unterbau für einen Thron­sitz dar, der hier in der mittleren Achse der alten Anlage in zentraler Lage vor der Mitte der Ostwand des Pfalzhofes er­richtet war. In die Mauerschlitze konnten, wenn dieser Platz in Funktion war, hölzerne Pfosten eingestellt werden, die einen Baldachin Überbau trugen, wie ihn mittelalterliche Miniaturen wiederholt darstellen.

     Mit diesem steinernen Monument erhält die Pfalz in dieser histo­rischen Stätte ein Herrschaftszeichen besonderer Bedeu­tunn: denn hiermit ist das solium wiedergefunden, das zweimal auch im Text des Epos zu 799 erwähnt wird: „Rex pius interea sulium conscendit“ - und „Ipse sedet solio Karolus rex iustus in alto danns leges patriis, et regni foedera firmat“.

      Der Thronunterbau ist heute durch eine schmale Treppe an der Ostseite des großen Treppenpodestes vor dem Nordportal (Rote Pforte) des Domes zugänglich.

      Auf eine ungebrochene Tradition dieses alten Rechtsplatzes weist das 2,5 m höher direkt über dem karlischen solium im frühen 13. Jahrhundert errichtete Nordportal des Domes, die Rote Pforte, es ist noch im 14. und 15. Jahrhundert als Rechtsplatz bezeugt. Unter dem Namen Rote Pforte oder Rote Tür sind auch unter anderem an den Domen zu Frank­furt, Magdeburg und Erfurt alte Rechtsplätze über­lie­fert.

                                                                                                                                                                                                                                (wird fortgesetzt)

Wochenspiegel Nr. 18/10, vom 30. April 1976, S. 1-2
 

„DER ROTE HALS“ - NORDEINGANG AM DOM ZU FRITZLAR 

Ein Beitrag zur Klärung des seltsamen Namens

Dieses Forschungsergebnis stellt auch für Fritzlar die berech­tigte Frage, ob es sich bei dem „roten Hals“ am Nordausgang des Domes nicht ebenfalls um eine Gerichtspforte handelt. Prüft man in dieser Hin­sicht die geschichtlichen Überlieferun­gen, so ergibt sich für das Gelän­de an der Nord- und Westseite am Fritzlarer Dom fast die gleiche rechts­ge­schichtliche Situ­ation wie in Paderborn.

C.B.N. Falckenheiner beschreibt uns 1841 in seinem Werk „Geschichte Fritzlar's“, Seite 426 - 28 im Zweitdruck 1925 folgendes:

      „Die höchste Instanz bildete der Erzbischof, von welchem auch ,Gebot und Verbot´ ausging. Anfangs, als der Erzbischof regelmäßig seine Umreisen hielt, nahm er in eigener Person den, sonst dem Vice­dom überlassenen Vorsitz in den Gerichts­versammlungen ein. Diese wurden überall an einem fest be­stimmten Platz (mallum) gehalten, und hatten, als aus lauter Freien bestehend, auch nur über Freie zu richten; über Unfreie richtete der Vogt, als dessen Gerichtsplatz in Fritzlar schon 1109 das Vogteihaus (praetorium) genannt wird.

      Das älteste mallum in Fritzlar lag da, wo wir es in den bei weitem meisten alten Orten finden, nämlich neben der Kirche. Es war hier der Friedhof (bei der Stiftskirche) da­zu bestimmt worden und zu diesem Behufe, um den Richtern und der versammelten Menge Schutz gegen Regen, Schnee und Son­nenbrand zu gewähren, mit einem Bretterdach (testudo) überdeckt, nach den Seiten aber wahrscheinlich, wie alle ähnlichen Plätze, von bedeckten Gängen umgeben. Er hieß daher die Halle (atrium); auf ihm sprudelte ein Quell. Hier in der Halle sehen wir daher 1287 den Erzbischof Heinrich den Vorsitz einnehmen und den Vertrag mit Fritzlar wegen der Erbauung der Burg genehmigen.

      Hier auf dem Kirchhofe tritt 1244 ein gemisch­tes Gericht aus Geistlichen und Rittern zu­sammen und entscheidet über eine Hufe Landes in Wabern; hier auf demselben ,Kirch­hofe´, („acta sunt hec fritslar in Cimiterio Ecclesie Fritslariensis“) wird am 24. April 1315 der Verkauf Meiseburg'scher Güter in Lützelmaden an den Cantor Hermann von Grune durch die beiden Bürgermeister Stadt, deren Schöffen und den Notar (also die Gerichtsperson) beglaubigt. Hier, auf demselben Platze, sehen wir 1389 den Erz­bischof Adolph von Mainz als Lehnsherren im Lehnsgericht dem Landgrafen Hermann die Lehen reichen. Selbst der den Hallen nie fehlende Quell oder Brunnen auf dem Fritzlar'schen Kirchhofe, welcher erst im vorigen Jahrhundert zugeworfen wur­de, läßt sich urkundlich nachweisen. - Daß meine Ansicht von der Lage des alten Gerichtsplatzes und die hier gegebene Be­schreibung desselben auf festem geschichtlichen Boden steht, und mehr als schwankende Muthmaßung ist, geht auch aus den unzweideutigen Worten einer ungr. Urk. d.d. 31. März 1463 her­vor. Dort heißt es nämlich von dem kurz zuvor verstorbenen Fritzlarer Decan Johannes Kirchain:

      „incendebat Remedium salutare quandam Capellam renouare et in eadem altare novum consttruere - ante foras ecclesie supradicte (S.Petri). ubi itur ad atrum Dictum Frithoff sub testudine Dicta sancte Elizabeth werg a parte dextra“ etc. - Von hier wurde der Gerichtsplatz erst nach 1400 (Denn noch 1440 Dienst. nach U.L.F. Tag assumpt. tritt auf dem Kirch­hofe an der S. Peterskirche ein Compromißgericht zusammen, um über eingezogene Lehen in dem Dorfe Geismar zu entschei­den) auf den Marktplatz verlegt, (siehe meinen Aufsatz „Der Rolandsbrunnen, ein Rechtswahrzeichen aus Fritzlarer Vergan­genheit“ Wochenspiegel vom 11.6.1971, 5. Jahrgang Nr. 24), und als endlich das öffentliche deut­sche Recht wie allenthalben so auch in Fritzlar, von dem römi­schen nun ganz und gar ver­drängt wurde, auf die engen Rathhaus­stuben mit ihren Acten­-Reposituren beschränkt. 

     Wir sehen also, daß in Fritzlar fast dieselben Anlagebedingungen wie in Paderborn vorliegen, und der Name „roter Hals" als Ge­richts­pforte vom Dom zum Rechtsplatz hinweist. Von Ent­scheidung für das Alter der Deutung des Namens „roter Hals" sind zwei Dinge, erstens die Tatsache, daß die Mauerteile an der Stelle der Nordseite des Domes wo sich der rote Hals befindet zu den Ältesten am Bauwerk gehören und die Tatsache von dem Vorhandensein des alten Rechtsplatzes, der wahr­scheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit als Thingstätte diente.        Der seltsame Name „Roter Hals“ oder „Rote Pforte“ bezeichnet nichts anderes als den Zugang zum „rode land“ der alten nieder­sächsischen Bezeichnung der Blutgerichtsstätte. Eine archäologische Gesamtgra­bung würde wohl Klärung des geschichtsträchtigen Gelände am heuti­gen Jestädt- und Domplatz ergeben, denn kleinere Grabungen erbrach­ten schon verschiedene Hinweise. So unter anderen von W. Stock, „Gesammelte Be­merkungen über die Lage der Konradinischen Burg zu Fritzlar“, mit drei Skizzen, ein handschriftlicher Aufsatz vom Jahre 1909, K. Becker, „Ausgrabungen im Dom in Fritzlar“, Zeitschrift die Denkmalpflege, 21. Jhrg. 1919, mit einer Geländezeichnung, sowie von F. Osswald, „Die bauliche Entwicklung des Fritzlarer Domes nach den Untersuchungen von 1969“, mit der Beilagekarte Nr. 3, in der Fest­schrift zur 1250-Jahrfeier „Fritzlar im Mittelalter“. Die letzte Grabung ergab ebenfalls Hinweise vom ältesten Steinbau am roten Hals, wo auch die bis jetzt älteste Fritzlarer Münze aus der Zeit Kö­nig Otto 1. 936-62 am 4.6.1970 gefunden wurde.

      Es wäre somit denkbar, bei der großen geschichtlichen Vergangen­heit Fritzlars, daß auf diesem alten Rechtsplatz, 919 die Wahl König Heinrich 1. durch die versammelten Franken und Sachsen stattge­fun­den hat, aber auch die Reichsversammlungen wo hier 1118 über Kaiser Heinrich V. und 1243 über Kaiser Friedrich II. der Bann ver­hängt wurde, wo 11 deutsche Könige und Kaiser tagten und zahlreiche Kir­chensynoden ihre Tagungen hatten. An der Grenze zwischen dem fränkischen und sächsischen Reich, war Fritzlar mit seiner Pfalz und seiner alten Rechtsstätte, wo sich 23 König- und Kaiserbesuche 300 Jahre lang nachweisen lassen, ein Ort großer deutscher Vergangenheit.

 

Fritzlar, den 28. Jan. 1976                                                                                                                                                                                         Hans Josef Heer

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 25/10, vom 18. Juni 1976, S. 1-2
 

DER „GRAUE TURM“ ZU FRITZLAR, DEUTSCHLANDS GRÖSSTER WEHRTURM
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Eine geschichtliche und baugeschichtliche Betrachtung.

Der „Graue Turm“ zu Fritzlar war nicht nur der größte unter den 19 Wehrtürmen der mittelalterlichen Stadt-Be­festigungsanlage, sondern ge­­hört er auch zu den mächtig­sten Wehrtürmen Deutschlands, welcher noch unsere Zeit überdauert hat. Seinen Namen „Grauer Turm“ (grae turn) oder auch „Großer Turm“ (turis magna) hat er wohl durch den noch an vielen Stellen vorhandenen graugelben Bewurf und seiner Größe erhalten.

      Er wird zuerst 1274 erwähnt, der hufeisenförmige Unter­bau, dessen gerade Seite 10,5 m mißt, ist jedoch älter, in diesem befindet sich ein 7,2 m hohes Verließ in Kuppel­form mit Angstloch, welches als Stadt­gefängnis diente. Laut Inschrift wurde im Jahre 1541 durch die Stadt­mauer eine Seitentür in dies Verließ gebrochen, der eisenbeschlagene Flü­gel mit Schiebeschloß und Eisenring ist noch heu­te vorhanden.

      Zu dem ersten Stockwerk gelangt man von dem in ganzer Breite hinter dem Turm auf der Stadtmauer herlaufenden Wehrgang durch eine oben mit Traufgesims abgedeckte Eichentür.

      Der Turm erhebt sich zu 35 m Höhe im Steinbau, zunächst waren dem mit der Stadtmauer gleichhohen Unter­bau nur drei Stockwerke, jedes von etwa 4 m Höhe, auf­gesetzt worden. Der obere Abschluß dieses Baues läßt sich sehr leicht auf der geraden Stadtseite des Turmes an einem schrägen Mauerabsatz, sowie an dem Beginn eines anderen Stein­formats erkennen. In diesen drei Geschossen sind überall die gleich einfachen Schießschlitze mit Falzen an der Schartenenge fit Prellhölzer der Nacken­büchsen, im untersten Stockwerk ist auf der südlichen Seite auch auf Konsolen ein vorgekragter steinerner Abtritt, was darauf schließen läßt, daß der Turm einer ständigen Besatzung zum Aufenthalt diente, also gewissermaßen ein Wohnturm war.

 

 

      Er bildete nämlich die Signalstation für die sieben auf der Grenze des Fritzlarer Stadtgebietes stehenden Warten und wurde wohl hauptsäch­lich wegen dieses Gebrauches im 16. Jahrhundert nochmals bedeutend aufgestockt. Von den beiden damals aufgesetzten Geschossen hat der untere nach außen zu sechs große Rechteckfenster in großer Stich­bogenblenden und drei ebensolche auf der Stadtseite. Oberhalb der letzteren ist eine Türöffnung und darunter stehen noch vier Kragsteine aus der Mauer hervor, die wahrscheinlich bestimmt waren, einen höl­zernen Aufbau mit Aufzug zu tragen

      Die Veranlassung zum Baue dieses mächtigen Turmes hat fol­gende geschichtliche Ursache: Das Schicksal der ältesten nach­weisbaren Fritz­­larer Stadtbefestigung wurde im September 1232 besiegelt, als Land­graf Konrad von Thüringen im Verlau­fe seiner Auseinandersetzung mit Erzbischof Siegfried III. von Mainz die hartnäckig verteidigte Stadt erstürmte.

      Er ließ Mauern und Türme niederbrechen, wie nicht nur chro­ni­kalisch überliefert, sondern auch aus dem baulichen Befund der nörd­lichen Stadtmauer ersichtlich ist.

      Vor allem aber besitzen wir auch verschiedene urkundliche Nach­richten über die Neuerrichtung der Befestigung, die sofort wieder in Angriff genommen worden ist, denn bereits 1233/34 einigten sich Stadt und Petersstift über den Betrag von 30 Pfund Geldes zum Baue der Mauern. Nach fünf Jahren angestrengter Bautätigkeit war der Neubau der Stadtbefesti­gung im wesentlichen abgeschlossen, wie aus zwei Urkun­den des Jahres 1237 hervorgeht.

      Mit der Neuerrichtung der Stadtmauer wurden die Mauertür­me der Nord- und Ostseite als die gefährdetste Stelle des Verteidigungsringes als erste ausgebaut. Der Jordansturm, der Greben- und Rosenturm, von welchen die beiden letzteren schon dem 12. Jahrhundert angehö­ren. Vollendet aber war der Schutz der gefährdeten Nordseite der Stadt erst nach der Errichtung des „Grauen Turmes“ an der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer.

      Staatsarchivrat Dr. Demandt schreibt darüber 1974 in einem Aufsatz „Die mittelalterliche Befestigung Fritzlars“ im Jubi­läumsband der Festschrift zur 1250-Jahrfeier folgendes: „Die­ser offensichtlich in einem Zuge erbaute, etwa halbkreisförmi­ge Turm, dessen gerade Seite 10,5 m mißt, erhebt sich zu einer Höhe von 35 m im Steinbau und stellt einen der mächtigsten deutschen Stadtbefestigungstürme überhaupt dar. Auch er ist noch im 13. Jahrhundert aufgeführt worden.

      Eine urkundliche Nachricht vom Jahre 1274, nach der das Stift 20 Pfund Geld zum Bau eines Turmes beigetragen hatte, ist wohl nur auf den großen Turm beziehbar. Die Summe ist im Ver­gleich zu dem 40 Jahre vorher zum gesamten Mauerbau beige­steuerten Betrag von 30 Pfund für einen einzelnen Turm so unverhältnismäßig hoch, daß es sich hier um ein außerordent­liches Werk gehandelt haben muß.

      Als solches kommt für diese Zeit aber allein der Graue Turm in Betracht.“

Fortsetzung folgt.                                                                                                                                                                                                     Hans Josef Heer

Wochenspiegel Nr. 26/10, vom 25. Juni 1976, S. 1-2 

DER „GRAUE TURM“ ZU FRITZLAR, DEUTSCHLANDS GRÖSSTER WEHRTURM --------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 

1. Fortsetzung

Nachdem im 15. Jahrhundert das Wartensystem um Fritzlar ver­voll­ständigt wurde, hatte man noch im Anfang des 16. Jahr­hun­derts den „Grauen Turm“ um zwei Stockwerke erhöht, damit wurde er zur Signalstation für die Warten und der gesamten Festungsanlage herge­richtet, und unter dauernde Besetzung mit Wachmannschaften gehalten. In den vielen Fehden zwischen Hessen und Mainz, aber auch noch im 30jährigen Krieg hatte Fritzlar, dank seiner vorzüglichen Wehranlage lan­ge nicht so viel zu leiden gehabt wie fast alle anderen Städte in Hessen. Fritzlar trug in damaliger Zeit mit Recht den zusätzlichen Na­men „urbs turritica“, die turmreiche Stadt, denn sie hatte außer ihren 10 Kirch­türmen, 23 Stadttürme und sieben Wart­türmen, zusammen also ein Stadt­bild mit 40 Türmen.

      Grunddessen zählte Fritzlar auch zu den schwer einnehmbaren Städten wie etwa: Nürnberg, Bamberg, Augsburg oder Rothen­burg ob der Tauber. Jedoch wurde seine Wehranlage nach dem 30jährigen Kriege ver­nachlässigt und konnte den immer stärker werdenden Feuerwaffen im 7jährigen Kriege nicht mehr stand­halten. So liest man bei Falckenheiners „Geschichte Fritzlars“ 1841 wie folgt: „Bis in den Juni 1762 blieben die Franzosen im Besitz Fritzlars und räumten dann die Stadt freiwillig, nach­dem sie in ihr noch ein trauriges, bis auf unsere Zeiten sichtba­res Denkmal sich - durch Zerstörungen gegründet hatten. Der Graf von Ro­chem­beau erhielt mit seiner Brigade den Be­fehl, die Festungswerke Fritzlars zu schleifen. Der Befehl wur­de nur zu gut vollführt. Die Brust­wehren der starken Mauern, die noch vor einem Jahre den deutschen Kugeln getrotzt und die Franzosen geschützt hatten, wurden niederge­brochen, die alten bemoosten Türme, an denen so manches Jahrhundert vorübergegangen war, deren Zahl unserem Fritzlar ein so statt­liches Ansehen gab, und deren Höhe und Stärke von seiner ehe­maligen Kraft und seinem Reichtum Zeugnis gab, sie sanken größtenteils unter der zer­störenden Hand der Fremdlinge. Sogar der unschuldige trockene Graben über dem Haddamartor wurde verschüttet.

      Es war, als ob die durch den Krieg ausgesogene, bettelarm ge­machte Stadt nicht einmal mehr einer sichtbaren Erinnerung an bessere Zeiten sich sollte erfreuen dürfen.“

      Fritzlar hat im siebenjährigen Kriege, der am 15. Febr. 1763 durch den Frieden von Hubertusburg beendet wurde, schreck­lich gelitten. Die Zahl der Bürger war von 550 auf 190 zurück­gegangen.

      Doch seine Lebenslinie stieg wieder aufwärts. 1829 zählte die Stadt schon wieder 436 Bürger mit 2.632 Einwohnern.

      Aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind uns noch zwei schöne Bilder des Grauen Turmes erhalten geblieben, dessen Künstler zum Kreis der „Romantischen Maler“ von Hessen zäh­len. Fin Ölgemälde des Malers J. Ickler vom Jahre 1839 und eine Pinselzeichnung vom Maler August von Wille, beides Bilder im Besitz der Staatlichen Kunstsammlung Kassel. Abbildung und Besprechung erfolgt in der letzten Fortsetzung.

      Im Sommer 1874 besuchten Ihre königlichen Hoheiten, der Kron­prinz Wilhelm mit seinem Bruder Prinz Heinrich unsere Stadt. Kronprinz Wilhelm äußerte dem sie begleitenden und führenden Bürgermeister Kraiger den lebhaften Wunsch, daß der Graue Turm wieder in seiner früheren Gestalt hergestellt werden sollte. Jedoch sollten noch 15 Jahre vergehen, ehe dieses Vor­haben in die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Die Ereignisse wer­den uns in einem köstlichen Amtsdeutsch wie folgt überliefert: „1888 am 9. März schied aus Seinem glorreichen Leben Kaiser Wilhelm 1. ihm folgte sein ritterlicher Sohn Friedrich auf den Thron. Infolge eines schweren Leidens (Kehlkopfkrebs) schied die königliche Eiche am 15. Juni 1888 aus diesem Leben. Nach dem Tode Kaiser Friedrichs III. trat sein Sohn als Kaiser Wilhelm II, die Regierung an. 1889, auf Veranlassung des Herrn Ministers der geistlichen Angele­genheiten wurde der „Graue Turm“ wieder hergestellt und mit einem neuen Dache versehen. Das alte Dach war im Jahre 1859, weil reparaturbe­dürftig, einfach abgenommen worden. Die Kosten der Wie­der­­her­stellung betrugen 4.630 Goldmark.“

      Damals erhielt der Graue Turm in vier Etagen gedielte Balken­böden, die dann mit Leitern zu besteigen waren.

      1882 erfolgte der Abbruch der alten Stadtmauer von etwa 10 m Höhe und 30 m Breite am Grauen Turm, um vom Marktplatz am Hochzeits­haus vorbei durch den Burggraben direkt zum Zimmerplatz zu gelangen.

1925, anläßlich der 1200-Jahrfeier der Stadt Fritzlar, trat erst­malig die Planung auf, den Grauen Turm mit seinen vielen Eta­gen als altes Wahrzeichen aus Fritzlars Glanzzeit für eine Jugend­herberge auszu­bauen. Der damalige Stadtbaumeister Reuter ent­warf die Baupläne, je­doch an der schwierigen Wirtschaftslage unserer Stadt, nach dem verlorenen 1. Weltkrieg, konnte dieses Projekt nicht verwirklicht werden.

Schluß folgt.                                                                                                                                                                                                              Hans Josef Heer

Wochenspiegel Nr. 27/10, vom 2. Juli 1976, S. 1-2
 

DER „GRAUE TURM“ ZU FRITZLAR, DEUTSCHLANDS GRÖSSTER WEHRTURM --------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 

2. Fortsetzung

Seine größte Feuerprobe erlebte der schon fast 700 Jahre alte Recke im 20. Jahrhun­dert, vom 30. März bis 1. April 1945 bei der Einnahme unserer Stadt durch die Soldaten der Neuen Welt. Die amerikanischen Einhei­ten beschossen ihn mit schweren Panzer-Gra­naten, in dem Glau­ben, daß die bedachten Türme unserer Stadt den deutschen Soldaten als Beobachtungsposten dienten. Außer dem Grauen Turm wurde der Bleichenturm, der Steingossenturm, der Regilturm und der Frauenturm beschossen. Wenn auch die Letz­teren in der Hauptsache ihre alten Dächer verloren, so hatte der Graue Turm doch meh­rere schwere Mauereinschläge erhalten, so daß sein Bestand für die Zukunft gefähr­det war. Auch erstürmten, nach der Einnahme Fritzlars, amerikanische Soldaten den Grau­en Turm. Sie erbrachen den unteren Eingang und gelangten über die Leitern in die ein­zelnen Stockwerke. Sie hielten ihn längere Zeit besetzt und haben sich noch heute sicht­bar durch Ein­schnitzen ihrer Namen und Wohnorte des amerikanischen Kontinents verewigt.

      Nachdem nun 1954 durch die großzügige Stiftung zweier Fritzlarer Söhne, die Brüder Karl und Franz Seibel, Fabrikanten in Er­witte, ge­mein­sam mit der Stadt den Bestand des Grauen Turmes mit einem Kostenauf­wand von ca. 14.000 DM durch Ausbesse­rungen der Ein­schlag­stellen und des Daches sowie durch Zementspritzungen erhalten hatten, trat erstmalig der Plan auf, diesen großen und hohen Turm für friedliche Zwec­ke nutzbar zu machen.

      Der Verkehrs- und Verschönerungs-Verein Fritzlar hatte diesbe­züglich wiederholte An­träge an die verschiedenen Stellen wie Stadt, Kreis und Fremdenverkehrsverband Kurhes­sen und Waldeck gestellt, welche auch Erfolg hatten. Die Stadt Fritzlar stellte durch ihren Stadt­baumeister Eckert die benötigten Bau­pläne sowie Baumaterial und Ba­saltsteine ko­stenlos, der Kreis bewilligte die Pläne und überwies zu­sätzlich eine Summe von 500 ­DM, der Fremdenverkehrs-verband vermit­tel­te über das Land liessen aus Lottomitteln die Summe von 2000,- DM.

      1958 kam es dann zum ersten größeren Bauabschnitt. Die 10 Meter hohe Stadtmau­er bis zum oberen Eingang des Grauen Tur­mes wurde von außen durch eine Basaltstein­treppe mit 42 Stufen erschlossen. Die schöne Außentreppe hatte damals die Baufirma K. Balke, trotz der vorhandenen geringen Bar­mittel für ihre Heimatstadt erstellt. Das schmiedeeiserne Treppengeländer ist eine Arbeit der Schlosserei O. Anders.

      1962 gab das Stadtparlament seine Zustim­mung zum Gesamt­ausbau des Grauen Tur­mes mit einem Kostenaufwand von über 30.000,- DM. In zweijähriger Bauzeit wur­den alle Etagenböden in Ei­sen­beton gegossen und mit 90 Betonstufen ersteigbar gemacht, die ebenfalls mit schmiedeeisernen Gelän­dern versehen wurden, damit es jedem noch halbwegs rüstigen Einwohner oder Besucher unserer Stadt möglich ist, den Turm über 131 Stufen zu ersteigen. Im obersten Aus­sichtsturm, von etwa 6 Meter Höhe, sind 18 große Fernsichtfenster vorhanden, wobei die neun oberen Fenster durch eine eingebaute Zwerggalerie erreichbar sind.

      Zwischen den Fenstern an der Innenmauer wurden vom Ver­kehrs- und Verschönerungsverein eine Geschichtstafel des Tur­mes und Wap­pen des Landes Hessen, des Kreises Fritzlar-Ilom­berg und seinen Städten -im Raume verteilt- angebracht.

      Zur 1250-Jahrfeier unserer Stadt und zum 700jährigen Be­stehen des „Grauen Turmes“ wurde 1974 das Gelände um den Turm in würdigem Zustand hergerichtet. Die große Gartenstein­fläche vor der Stadt­mauer, die noch einen zusätzlichen Aus­gang durch die Stadt­mauer erhielt, war damals der Zeltplatz für die vielen kulturellen Fes­tveranstaltungen. Im Grauen Turm selbst war in den unteren Räumen erstmalig eine Kunst­ausstellung von Gemälden und Graphiken im Stil unserer Zeit.

      Deutschlands größter Wehrturm hat nun seine volle Festig­keit wiedererlangt. Wenn nicht neue Kriegseinwirkungen oder gar Erdbeben seinen Bestand gefährden, kann er in Zukunft als Aussichtsturm und zum Zwecke kultureller Belange genutzt werden, um nochmals weitere 700 Jahre -etwa im Jahre 2700- ­kund zu tun von der großen Ver­gangenheit unserer Stadt Fritzlar.

      Mögen darum die Einwohner und Besucher unserer Stadt wenigstens einmal im Jahr die Gelegenheit nutzen, diesen Aus­sichtsturm zu ersteigen, um sich mit ihren Kindern an der Schönheit unseres Hessenlandes zu erfreuen.

                                                                                                   Hans Josef Heer

 

 

 

 

 

 

Stadtgeschichte:

Wochenspiegel Nr. 33/10 vom 13. August 1976, S. 1-2
 

Fritzlar in der Zeit der Romantik I

Im heutigen Zeitalter der atomaren Technik mit seiner hek­tischen Automation überkommt uns Menschen bei der Betrach­tung und Lesung von Bildern und Schriften des vergangenen Jahrhunderts eine Sehn­sucht nach der einfachen „Genügsam­keit", der Romantik und des Bie­der­meier. Eine der inter­essantesten Vertreterin um die Wende des 19. Jahrhun­derts war zwei­fellos Bettina Brentano, die den Romanti­ker Achim von Arnim heira­tete. Bettina von Arnim, die Verfasserin von „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“, wur­de am 4. April 1785 als Dritt­jüngstes Kind aus der Ehe des Kauf­manns Peter Anton Bren­ta­no mit der von Goethe hochverehrten Maximiliane von Laroche in Frank­furt am Main im „Goldenen Kopf“ in der Sandgasse ge­boren. Nach dem Tode der beiden Eltern wurde sie mit ihren drei Schwestern gegen Ende des 18. Jahrhunderts vier Jahre lang als Zögling in dem Kloster der Ursulinen zu Fritzlar erzogen, worüber sie in ihrem bekannten oben­genannten Buch an Goethe schreibt:

      „In den hängenden Gärten der Semiramis bin ich erzo­gen, ich glattes, braunes, feingegliedertes Rehchen, zahm und freudig zu jedem Liebkosenden, aber unbändig in eigentümlichen Neigungen. 

-Oben im ersten und höchsten Garten stand die Kloster­kirche auf einem Rasenplatz, der am felsigen Boden