Im heutigen Zeitalter der atomaren Technik mit seiner hektischen Automation überkommt uns Menschen bei der Betrachtung und Lesung von Bildern und Schriften des vergangenen Jahrhunderts eine Sehnsucht nach der einfachen „Genügsamkeit", der Romantik und des Biedermeier. Eine der interessantesten Vertreterin um die Wende des 19. Jahrhunderts war zweifellos Bettina Brentano, die den Romantiker Achim von Arnim heiratete. Bettina von Arnim, die Verfasserin von „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“, wurde am 4. April 1785 als Drittjüngstes Kind aus der Ehe des Kaufmanns Peter Anton Brentano mit der von Goethe hochverehrten Maximiliane von Laroche in Frankfurt am Main im „Goldenen Kopf“ in der Sandgasse geboren. Nach dem Tode der beiden Eltern wurde sie mit ihren drei Schwestern gegen Ende des 18. Jahrhunderts vier Jahre lang als Zögling in dem Kloster der Ursulinen zu Fritzlar erzogen, worüber sie in ihrem bekannten obengenannten Buch an Goethe schreibt:
„In den hängenden Gärten der Semiramis bin ich erzogen, ich glattes, braunes, feingegliedertes Rehchen, zahm und freudig zu jedem Liebkosenden, aber unbändig in eigentümlichen Neigungen.
-Oben im ersten und höchsten Garten stand die Klosterkirche auf einem Rasenplatz, der am felsigen Boden hinab grünte und mit einem hohen Gang von Trauben umgeben war; er führte zur Türe der Sakristei. In dieser Türwölbung saß ich manchen heißen Nachmittag, links in der Ecke des Kreuzbaues das Bienenhaus unter hohen Taxusbäumen, rechts der kleine Bienengarten, bepflanzt mit duftenden Kräutern und Nelken, aus denen die Bienen Honig saugten. In die Ferne konnte ich da sehen; die Ferne, die so wunderliche Gefühle in der Kinderseele erregt, die ewig eins und dasselbe vor uns liegt, bewegt in Licht und Schatten, und zuerst schauerliche Ahnungen einer verhüllten Zukunft in uns weckt; da saß ich und sah die Bienen von ihren Streifzügen heimkehren; ich sah, wie sie sich im Blumenstaub wälzten und wie sie weiter und weiter flogen in die ungemessene Ferne, wie sie im blauen, sonnendurchglänzten Aether verschwebten, und da ging mir mitten in diesen Anwandlungen von Melancholie auch die Ahnung von ungemessenem Glück auf. -
Von dem Kirchgarten führte eine hohe Treppe, über die das Wasser schäumend hinabstürzte, zum zweiten Garten, der rund war, mit regelmäßigen Blumenstücken ein großes Bassin umgab, in dem das.Wasser sprang; hohe Pyramiden von Taxus umgaben das Bassin, sie waren mit purpurroten Beeren übersäet, deren jede ein krystallhelles Harztröpfchen ausschwitzte; ich weiß noch alles, und dies besonders war meine Lieblingsfreude, die ersten Strahlen der Morgensonne in diesen Harzdiamanten sich spiegeln zu sehen. -
Das Wasser lief aus dem Bassin unter der Erde bis zum Ende des runden Gartens, und stürzte von da wieder eine hohe Treppe hinab in den dritten Garten, der den runden Garten ganz umzog, und grad so tief lag, daß die Wipfel seiner Bäume wie ein Meer den runden Garten umwogten. Es war so schön, wenn sie blühten, oder auch wenn die Aepfel und die Kirschen reiften und die vollen Aeste herüberstreckten.
Oft lag ich unter den Bäumen in der heißen Mittagssonne, und in der lautlosen Natur, wo sich kein Hälmchen regte, fiel die reife Frucht neben mir nieder ins hohe Gras; ich dachte: „Dich wird auch keiner finden!“ Da streckte ich die Hand aus nach dem goldenen Apfel und berührte ihn mit seinen Lippen, damit er doch nicht gar umsonst gewesen sein solle.
-Nicht wahr, die Gärten waren schön! - zauberisch! Da unten sammelte sich das Wasser in einem steinernen Brunnen, der von hohen Tannen umgeben war; dann lief es noch mehrere Terrassen hinab, immer in steinerne Becken gesammelt, wo es dann unter der Erde bis zur Mauer kam, die den tiefsten, alle anderen Gärten umgebenden einschloß, und von da sich ins Tal ergoß, denn auch dieser letzte Garten lag noch auf einer ziemlichen Höhe; da floß es in einem Bach weiter, ich weiß nicht wohin. So sah ich denn von oben hinab seinem Stürzen, seinem Sprudeln, seinem ruhigen Lauf zu; ich sah, wie es sich sammelte und kunstreich emporsprang und in feinen Strahlen umherspielte; es verbarg sich, es kam aber wieder und eilte wieder eine hohe Treppe hinab; ich eilte ihm nach, ich fand es im klaren Brunnen von dunklen Tannen umgeben, in denen die Nachtigallen hausten; da war es so traulich, da spielte ich mit den bloßen Füßen in dem kühlen Wasser.“
Ein Märchenbuch liegt über dieser poesievollen, naturfrohen Schilderung, in der Bettina, Dichtung und Wahrheit anmutig mischend, des Paradieses ihrer Kindheit gedenkt. So kann man auch verstehen wenn Goethe schreibt:
„Deine Briefe, allerliebste Bettine, sind von der Art, daß man jederzeit glaubt, der letzte sei der interessanteste. So ging's mir mit den Blättern, die Du mitgebracht hattest, und die ich am Morgen Deiner Abreise fleißig las und wieder las. Goethe“
Kein geringerer als der General-Inspektor der Fürstlichen Gärten zu Kassel und Wilhelmshöhe, Wunsdorf, hatte aus Dankbarkeit fur die Erziehung seiner zwei Töchter den von Bettina geschilderten schönen Klostergarten angelegt.
Hans Josef Heer
„Du wunderliches Kind, Bettine und Goethe“, trägt der Titel eines Buches von Alfred Kantorowicz, wo er unter anderem in einem Vorwort schreibt: „Sie muß unwiderstehlich gewesen sein, die junge Bettine; ihr Zauber ergreift uns in ihren Briefen wieder, frisch, als stünde sie vor uns in ihrem Ungestüm, ihrer Begeisterungsfähigkeit, ihrer Einfühlsamkeit, ihrem Spürsinn für das, was groß und echt und wertbeständig war in ihrer Zeit. „Die Freundin bedeutender Männer“ nannte man sie im Kreise vornehmer Dichter, Denker und Künstler des 19. Jahrhunderts.
Die bedeutendsten ihrer Zeitgenossen haben Bettines Zauber gehuldigt; Schleiermachers schönes Kompliment: „Gott müsse bei besonders guter Laune gewesen sein, als er Bettine erschaffen habe“, setzt das Maß für die heitere Wertschätzung, die die Großen der Zeit Goethes ‚Kind‘ entgegenbrachten.“
Am 8. August 1808 schreibt Bettine in einem langen Briefe an Goethe unter anderem folgende herrliche Geschichte aus der Fritzlarer zeit: „Alle Blumen habe ich geliebt, eine jede in ihrer Art, wie ich sie nacheinander kennen lernte, - ich will sie nicht nennen alle, mit denen ich so innig vertraut wurde, wie sie mir jetzt im Gedächtnis erwachen; nur eines einzigen gedenke ich, eines Myrthenbaumes. den eine junge Nonne dort pflegte. Sie hatte ihn winters und sommers in ihrer Zelle; sie richtete sich in allem nach ihm; sie gab ihm nachts wie tags die Luft, und nur so viel Wärme erhielt er im Winter, als ihm not tat. Wie fühlte sie sich belohnt, da er mit Knospen bedeckt war ! Sie zeigte mir sie, schon wie sie kaum angesetzt hatten; ich half ihn pflegen; alle Morgen füllte ich den Krug mit Wasser am Mädchenbrünnchen; die Knospen wuchsen und röteten ich, endlich brachen sie auf; am vierten Tag stand er in voller Blüte; eine weiße Zelle jede Blüte, mit tausend Strahlenpfeilen in ihrer Mitte, deren jeder auf seiner Spitze eine Perle darreicht. Er stand im offenen Fenster, die Bienen begrüßten ihn.
- Jetzt erst weiß ich, daß dieser Baum der Liebe geweiht ist; damals wußt ich's nicht; und jetzt erstehe ich ihn. Sag: kann die Liebe süßer gepflegt werden als dieser Baum? und kann eine zärtliche Pflege süßer belohnt werden als durch eine volle Blüte?
- Ach, die liebe Nonne mit halb verblühten Rosen auf den Wangen, in Weiß verhüllt, und der schwarze Florschleier, der ihren raschen zierlichen Gang umschwebte; wie aus dem weiten Ärmel des schwarzen wollenen Gewands die schöne Hand hervorreichte um die Blumen zu begießen!
Einmal steckte sie ein Kleines schwarzes Böhnchen in die Erde, sie schenkte mir's und sagte, ich solle es pflegen; ich werde ein schönes Wunder daran erleben. Bad keimte es und zeigte Blätter wie der Klee; es zog sich an einem Stöckchen in die Höh wie die Wicke mit kleinen geringelten Haken; dann bracht es sparsame gelbe Blüten hervor ; aus denen wuchs so groß wie eine Haselnuß ein grünes Eichen, das sich in Reifen bräunte. Die Nonne brach es ab und zog es am Stiel auseinander, in eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwischen denen der Samen von kleinen Bohnen gereift war. Sie flocht daraus eine Krone, setzte sie ihrem elfenbeinemen Christus am Kruzifix zu Füßen und sagte mir, man nennt diese Pflanze Corona Christi.
Wir glauben an Gott und an Christus, daß er Gott war, der sich ans Kreuz schlagen ließ; wir singen ihm Litaneien und schwenken ihm den Weihrauch; wir versprechen, heilig zu werden, und beten und empfinden's nicht. Wenn wir aber sehen, wie die Natur spielt und in diesem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich ausdrückt; wenn sie auf Blumenblätter Seufzer malt, ein Oh! und Ach !, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf ihren Flügeldecken gemalt haben und diese kleine Pflanze eben, so unscheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte, künstliche Dnrnenkrone trägt ; wenn wi; Raupen und Schmetterlinge mit dem Geheimnis der Dreifaltigkeit bezeichnet sehen; dann schaudert uns, und wir fühlen, die Gottheit selber nimmt ewigen Anteil an diesen Geheimnissen; dann glaub ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja daß sie selber der sinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Tier ist. Die Schönheit erkennen in allem Geschaffenen und sich ihrer freuen, das ist Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahre sein, daß ich im Kloster war.
Voriges Jahr hab ich's im Vorüberreisen wieder besucht. Meine Nonne war Priorin geworden, sie führte mich in ihren Garten, - sie mußte an einer Krücke gehen, sie war lahm geworden, - ihr Myrtenbaum stand in voller Blüte. Sie fragte mich, ob ich ihn noch kenne; er war sehr gewachsen; umher standen Feigenbäume mit reifen Früchten und großen Nelken, sie brach ab, was blühte und reif war, und schenkte mir alles, nur der Myrte schonte sie; das wußte ich auch schon im voraus. Den Strauß befestigte ich im Reisewagen; ich war wieder einmal so glücklich, ich betete, wie ich im Kloster gebetet hatte; ja selig sein macht beten!"
- In den Brief vom 30. Aug. 1808 schreibt sie an Goethe:
„Du erfreust Dich an der Geschichte des Myrtenbaums meiner Fritzlarer Nonne; er ist wohl die Geschiche eines jeden feurig liebenden Herzens. Glück ist nicht immer das, was die Liebe nährt, und ich hab mich schon oft gewundert, daß man ihm jedes Opfer bringt und nicht der Liebe selbst, wodurch allein sie blühen könnte wie jener Myrtenbaum. Es ist besser, daß man Verzicht auf alles tue, aber die Myrte , die einmal eingepflanzt ist, die soll man nicht entwurzeln - man soll sie pflegen bis ans Ende.“
- Bettine lebte nach der Fritzlarer Klosterzeit von 1801 an meistens bei ihrer Großmutter, die Schriftstellerin, Sof ie von Laroche in Offenbach oder bei ihren Geschwistern in Frankfurt, später bis zu ihrer Verheiratung in der Familie ihres Schwagers von Savigny in Marburg, Landshut und Berlin. Sie kam dadurch mit geistig bedeutenden Männern in Verbindung, wie Achim von Arnim, ihrem späteren Gatten, und den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm.
- Durch diese lernte sie als junges Mädchen im Sommer 1807 in Kassel im Hause ihres Schwagers Jordis den Maler und Radierer Ludwig Emil Grimm, kennen. Über die Brüder Grimm wollen wir die Betrachtungen in der Zeit der Fritzlarer Romantik fortsetzen. Hans Josef Heer
Fritzlar und die Brüder Grimm in der Zeit der Romantik III
Die berühmten hessischen Brüder Grimm, besonders der Romantiker-Philogoge und Mitgestalter der Deutschen Sagen- und Märchenwelt Wilhelm Grimm und dessen jüngerer Bruder, der Maler und Radierer Ludwig Emil Grimm, waren mehrmals in Fritzlar.
Zu diesem Freundeskreis gehörte auch die Tochter, Marianne Karoline Friederike Christiane von Schwertzell, die seit 1821 mit dem Rittmeister Wilhelm Freiherr von Verschuer in Fritzlar verheiratet war. Dieser stand zu der Zeit, als die Briefe geschrieben wurden, bei dem Fritzlarer Kurhessischen Leibhusarenregiment. Von ihnen stammen 14 an Wilhelm Grimm gerichtete Briefe, und zwar einer aus Willingshausen, einer aus Kassel, elf aus Fritzlar, zwei aus Solz bei Bebra, dem Stammsitz der Familie von Verschuer, und umspannen den Zeitraum von 1820 bis 1829.
Der bekannte Grimmforscher Dr. Wilhelm Schoof schreibt in seiner Abhandlung in der ZHG. Band 57, 1929, „Beziehungen Wilhelm Grimms zur Familie von Schwertzell“ unter anderem folgendes: „Im Sommer 1826 besuchte Wilhelm Grimm die Familie von Verschuer in Fritzlar. Karoline schreibt darüber am 30. Juli 1826 an Wilhelm Grimm: „Aber noch eine herzliche Freude haben Sie mir dadurch gemacht, daß Sie mir sagten, es habe Ihnen gut bei uns in Fritzlar gefallen, und Sie dächten gern daran zurück. Für uns war es eine wahre Erholung und ich wünsche nur, wir könnten öfters die Freude haben.“ Auch im nächsten Jahr, im Spätsommer 1827, war Wilhelm Grimm in Fritzlar bei der Familie von Verschuer zu Besuch. Am 1. August 1826 schreibt Herr von Verschuer an Wilhelm Grimm: „Es ist nun fast ein Jahr, daß wir uns nicht gesehen haben; wir denken noch immer mit Freuden an den Tag zurück, den Sie vorigen Sommer bei uns zubrachten, und haben dabei den lebhaften Wunsch, Sie auch in diesem Sommer wieder hier bei uns zu sehen!“ Und ebenso schreibt Karoline von Verschuer am 30.7.1828 an Wilhelm Grimm: Wie angenehm wäre es für uns, wenn Sie lieber Grimm uns einmal wieder besuchten, wir möchten Sie so gern einmal wiedersehen, kommen Sie dieses Jahr denn nicht nach Möllrich? Richten Sie es doch wieder so hübsch ein, daß Sie von dort dann die größte Zeit bei uns sind, und bedenken Sie, was Sie uns für eine Freude damit machen würden.“ Wir sehen aus den Briefen, daß damals Besuche von Kassel nach Fritzlar nicht so einfach wie heute waren. Die Familie des Rittmeisters von Verschuer wohnte in ihrer Fritzlarer Zeit auf dem Rittergut des Oberst Karl von Baumbach in Obermöllrich, der uns Fritzlarer als Hof der Familie Pfennig bekannt ist und 1967 abgerissen wurde.
Außer Wilhelm Grimm läßt sich sein jüngerer Bruder, der Maler und Radierer Ludwig Emil Grimm 1825 und 1826 in Fritzlar nachweisen. Mir sind drei Bilder von ihm bis jetzt bekannt, „Fritzlar vom Mühlengraben“, ein farbiges größeres Aquarell, sowie aus seinem Skizzenbuch eine Landschaftszeichnung mit Fritzlar und Büraberg im Hintergrund, welche darauf schließen läßt, daß er wahrscheinlich ebenfalls auf dem Rittergut des Oberst von Baumbach wohnte, da die Zeichnung den Richtungsblick von dort aufweist und vom Maler folgende Beschriftung trägt: „Landschaft vor Fritzlar von ober Möllerich gez. Sonntags morgens den 21. July 25“, und die im Wochenspiegel veröffentlichte Skizze „Der Weg zur Ursulinen-Schule“.
1826 war Ludwig Emil Grimm wieder in Fritzlar, wo von ihm eine entzückende Radierung unter dem Namen „Die alte Lore von Ungedanken“ erhalten ist. Die alte Wahrsagerin muß wohl damals die Horoskopstelle unserer Zeit in Ungedanken vertreten haben. Besonders reizvoll für uns ist, daß uns durch dieses Bild die damalige schöne Mädchentracht unserer Gegend überliefert wird und man kann gleichzeitig feststellen, daß es vor 150 Jahren in Ungedanken auch schon schöne Mädchen gab, die neugierig auf ihre Zukunft waren.
In seinen Lebenserinnerungen erzählt uns Ludwig Emil Grimm viel von seiner Familie und von seinen Freunden Achim von Arnim, Clemens Brentano, Bettina von Arnim und Friedrich Karl von Savigny. Auch Goethe hat ihm mehrmals seine Anteilnahme bezeugt und förderte ihn. Der bescheidene und stille Künstler war mehr Zeichner und Radierer als Maler, und so gehören seine Feder- und Bleistiftzeichnungen und Aquarelle zu den reizvollsten Zeugnissen der deutschen Romantik.
Er schuf mehr als hundert radierte Blätter mit Landschaften, Szenen aus dem Volksleben und besonders Porträts. Unter letzteren sind die Köpfe führender Romantiker, wie Clemens Brantano, Betinna von Arnim, Savigny, Görres, seine Brüder Jacob und Wilhelm. Seine Ausbildung fand Grimm an der Kasseler Kunstakademie und in München. 1816 war er in Italien, von 1832 bis zu seinem Tod war er der Akademieprofessor der Kasseler Kunstakademie.
Auf Grund all dieser geschichtlichen Begebenheiten wäre es wohl angebracht, bei der Suche nach geeigneten neuen Straßennamen in Fritzlar auch an eine „Bettina-Straße“ oder „Brüder-Grimm-Straße“ zu denken, welche die Erinnerung an diese berühmten Deutschen in unserer Stadt wachhalten werden.
Hans Josef Heer
Eine ebenso merkwürdige wie beklagenswerte Erscheinung im ausgehenden Mittelalter ist der Glaube an Hexen und Zauberer, beklagenswert nicht nur als eine traurige Verirrung des menschlichen Verstandes, sondern auch wegen der die Menscnheit entehrenden, für das moralische und bürgerliche Leben so verderblichen Wirkungen.
Viele schlimme Wunden aber schlug der Hexenwahn. Schon früh hatte die Kirche immer und immer wieder erklärt, daG der Glaube an lasterhaften Weibern, die vom Teufel verführ*t seien, nichtig sei, und Karl der Große hat auf die Greuel, die aus solchem Hexenglauben erwuchsen, den Tod gesetzt. Abeder Glaube an Hexen ist viel älter als das Christentum in Deutschland, auf dem Abscheu vor Häßlichkeit und dem Glauben an Menschenfresserei beruhend, ließ er sich nicht unterdrücken. Schließlich haben auch die Kirchen das Vorhandensein von Hexen nicht mehr geleugnet und alles getan, sie aufzustöbern und auszurotten.
Hexen waren nach der Auffassung unserer Vorfahren menschliche Zauberinnen, die infolge eines Bundes mit dem Teufe; über außernatür-liche Kräfte verfügten und auf zauberische Weise ihren Mitmenschen scha-den konnten. Besonders den Frauen schrieb man eine größere Wesensver-wand-schaft mi: den Naturkräften zu. Sie rieben ihren Körper mit Hexensalbe ein und wurden dadurch fähig, in gewissen Nächten durch die Luft zu ihren Versammlungen zu fahren, bei denen der Teufel als Ziegenbock präsi-dierte. Besonders liebten sie den Tanz. Jede Gegend hatte ihren Hexentanz-platz. Am berühmtesten war der auf dem Brocken im Harz, andere fanden sich bei Emsdorf und Hetzbach im Kreise Kirchhain, bei Völkershain am Vogelsberge. Die Hexen haben Triefaugen, rote Haare und meist einen Kropf. Sie nehmen den Kühen die Milch und machen sie blau oder blutig. Kreuze mit Kohle des Osterbrandes gemacht, müssen darum besonders in der Wal-purgisnacht die Ställe schützen. Über dreierlei Eisen läßt man das Vieh schreiten. Die Hexen verzaubern aber auch Bäume, "beschlappern" den Menschen und verursachen Krankheiten, Gebrechen und Ungeziefe . Alle Hexen hassen das Ausspucken. Mit Vorliebe verwandeln sie sich in Katzen und Kröten. Der Teufel sitzt als schwarzer Rabe oft auf ihrem Dache.
Die ihnen zugeschriebenen unheilvollen Kräfte zeitigten neben der Furcht auch Haß im Volke. Seit dem 13. Jahrhundert galt die Hexerei als Ketzerei und wurde von der Inquisition verfolgt. Bestätigt und ausgedehnt wurde die Gewalt der Inquisition für Deutschland durch die Bulle Innocent VIII. vom 5. Dez. 1484. Zu der selben Zeit erschien der berüchtigte Hexenhammer, das allgemeine Gesetzbuch für die Hexenprozesse. Die Tortur fand reichlich Anwendung, durch sie erhielt man alle nur gewollten Eingeständnisse.
Irgendein Muttermal galt schon als Zeichen des Paktes mit dem Teufel. Fühlte die Angeklagte bei Durchstechung der Haut keinen Schmerz, so war sie schuldlos. Als Beweismittel diente auch die Wasserprobe. An Händen und Füßen gebunden, wurde die angebliche Hexe in das Wasser, meist einen Teich, geworfen.
Hexenprozesse mit ihren barbarischen Urteilen. Fortsetzung der peinlichen Indiktionalklage aus Fritzlar im Jahre 1615:
11. Wahr, daß das auch mit der Angeklagten Kurt Nodens Frau, dem Greben durch dessen Frau einen harten Taler verheißen, daß sie neben den andere Weibern nicht durfte mehr vorkommen.
12. Wahr, daß dieser Weiber etliche die Mitangeklagte schon auch heimlich "hertrige" (ins Haus) zu solcher Ausflucht bestellt haben.
13. Wahr, daß Steineß Webers Frau die Angeklagte Hans Heinen Tochter Buttermilch gegeben und darin Gift getan, woran sie beinahe gestorben wäre.
14. Wahr, daß diese Person oft für eine Zauberin gescholten und solches ungeahndet hingehen lassen.
15. Wahr, daß hieraus großen Aufruhr und anderes Unglück geschahen.
16. Wahr, daß zu gleicher Zeit bei der Mitangeklagten Hennen Strieder Frau zu Mitternacht unterschiedliche Weiber ein und ausgegangen und heimliche "gewispell" miteinander gehalten.
17. Wahr, daß die Mitangeklagte Hermen Pfaffs Frau in verschiedener Walpurgisnacht auf dem Zaubertanz und den Kranz gewonnen habe.
18. Wahr, daß jetzt gemeldete Mitangeklagte Hermen Pfaffs Frau auf jüngster Walpurgisnacht von Hermen Wageners Birnbaum Blut geholt haben soll.
19. Wahr, daß dieser Baum auf diese Stund nicht trägt sondern dürr wird.
20. Wahr, daß insonderheit Mitangeklagte Hennen Strieders Frau von zauberischen Dingen und Gebeten, Worten und Werken, nämlich von guten Hollen (Geistern), deren Handel, Leben und Wandel gut bescheid weiß.
21. Wahr, daß Mitangeklagte der mitangeklagten Hennen Strieders Frau die Eier aus dem Haus gezaubert haben soll.
22. Wahr, daß die Scheffersche wissen und von guten Hollen gehört haben will, daß mitangeklagte Hans Heinen Frau eine Ente verloren und Hans Heine dieselbe in einem gelben Kessel gekocht haben soll.
23. Wahr, das Mitangeklagtin Curt Noden Frau mit Henrich Fenneln in Unwillen gekommen und sie sich vernehmen lassen, es sollte gerochen (geräucht)
werden, ehe acht Tage vergehen sollten.
24. Wahr, daß also erfolget und Heinrich Fenneln in der Zeit ein schönes Rind, so sie bezaubert haben soll, gestorben.
25. Wahr, daß die Mitangeklagten alle zusammen zur Beibringung ihrer vermeinten Unschuld zur Wasserprobe provicieret.
26. Wahr, daß Mitangeklagte Curt Noden Frau zwei Männer an Hennen Strieders Frau, auch Mitangeklagte, geschickt und um Gotteswillen gebetet, daß sie entschuldigen und expurgieren wollte, so wollte sie sich mit ihr vertragen usw.
Der Ankläger bittet im Namen der Fürsten, man wolle erkennen und sprechen, daß Angeklagte sich selbst zu wohlverdienter Straffe und anderen zum abscheulichen Exempel als Zauberinnen und Vergifterinnen vom Leben zum Tode hinzurichten, oder sofern sie samt und sonders die Artikel verneinen oder wider ihr Gewissen verleugnen würden, sie wegen haftender redlicher Wahrzeichen, Argwohns, Verdachts und Vermutung zur peinlichen Frage zur Erkundigung der Wahrheit zu erkennen sei.
Die Fritzlarer Hexe Trina Hedding machte nach peinlicher Befragung (Tortur) vor Gericht folgende Aussagen:
1. Daß sie das Zaubern zu Fritzlar von ihrer Brotfrau nebst derselben Töchter, da sie Fastnacht gehalten und sie eben 16 Jahre alt gewesen, gelernt und also 44 Jahre das Zaubern gekonnt habe.
2. Habe sie sich ihrem Buhlen, so ein grünes Kleid, schwarzen Hut und weiße Federn getragen, ergeben und den Herrn Christum verleugnen müssen.
3. Daß ihr Buhle, so einen gespaltenen (Huf) Fuß gehabt und am anderen Glauben gewesen, ihr auf die Treue einen Goldgulden gegeben, so Pferdedreck geworden und sich mit demselben vermischt habe.
4. Habe sie verschiedenen Haustöchtern und Dienstmägden das Zaubern gelehrt.
5. Daß sie auch einer Ehefrau zu Fritzlar das Zaubern gelehrt, welche schwören müssen, Gottes Reich zu zerstören und des Teufels Reich zu mehren, denn sie hätte ihrem Buhlgeist verheißen müssen, sein Reich zu mehren; wäre vom Satan übel geschlagen, wenn sie nicht hätte Schaden tun oder Jemand lehren wollen.
6. Daß sie ihre Schwester Elisabeth,Jost Rauschenbergs Frau, zu Fritzlar bezaubert habe, daß sie gestorben.
7. Daß sie auch eine Magd zu Fritzlar, Elsa genannt, bezaubert habe und solches in einem Trank geschehen sei, hätte lange Zeit krank gelegen und wäre hernach gestorben.
8. Daß sie auch zu Fritzlar einen Müller einen Esel bezaubert hätte, daß derselbe ein Bein zerbrochen.
9. Daß sie auch eines Metzgers Hund zu Fritzlar bezaubert habe.
10. Daß sie auch allhier eine Katze bezaubert habe, hätte auch vergangenes Jahr auf Geheiß ihres Buhlgeistes ihre Schweine sollen bezaubern, so damals nicht geschehen, aber hernach hätte sie einem Schweine vor einem Jahr teuflischen Samen in den Stall geworfen, so tobend geworden.
11. Sei allezeit zu Fritzlar auf dem Zaubertanz, da sie sich zuvor mit Zaubersalbe geschmiert gehabt, zum Schornstein hinausgefahren.
12. Ihr Buhlgeist habe ihr angezeigt, daß, wenn man sie einsetzen würde, sollte sie zur Wasserprobe begehren, so würde sie keine Not haben.
13. Sei oftmals von ihrem Buhlen geschlagen worden, wenn sie keinen Schaden tun wolle,daß sie auch lange Zeit einen Arm nicht regen können.
14. Wenn sie in der Kirche gewesen, hätte sie vorm Teufel Frieden gehabt, wenn sie zum Nachtmahl gegangen, hätte sie Streichen gewärtig sein müssen.
Das waren die Aussagen, die die "Hexen", nur um einer weiteren Folterung zu entgehen, machten. Manches unglückliche Weib und Mädchen wurde in Friular eingezogen und den Schmerzen der Folter und endlich dem Scheiterhaufen überliefert. Die Raserei dieser Hexenprozesse wälzte sich wie ein Meteor über unsere unglückliche Stadt. Allein in einer Zeitspanne von 3 Jahren fielen 62 Personen in Fritzlar dem Hexenwahn zum Opfer.
Das Würzburger Archiv verwahrt noch ein Verzeichnis der 1627 - 1630 "hingerichteten und in Gefängnissen gebliebener Personen". Es sind diese: Küna Rabeshausen, Elisabett Scherers, Otilia Mitzen, Eyla Seidenstickers, Küna Mausehundt (erhängte sich in Kerker), Otilia Moni der lahme Speckmüllersche, Anna Kleinscheffers, Jakob Sauls Frau, die alte Hessenländerin, Dippel Decker und seine Frau, Mosthennen Frau, die alte Homännsche (im Kerker gestorben), Veydt Cappelens Frau, Lenhardt Ortts Frau, Adam Göbels Frau, der Hessenländerin Schwester (starb vor dem Tribunsl), Michael Axtt, Hans Bernhardts Frau, Gertrudt Eisernheuptts, Bürgermeister Geörgen Merttlichs Frau, Hans Geisen Frau, Jost Hällings Frau, Jacon Mentzlers Frau, Johann Ackermanns Wittib (starb im Kerker), Wilhelm Orts Frau, Johannes Knatzes Frau, Hans Wageners Frau, Hen Rupertts Frau, die alte Hirtsche im Lürloch, Diederich Kahlen Wittib, Hans Körber und sin Frau, Hans Drehers Frau, Michael Axt Frau, Hen Rabelshausen (starb im Kerker), die alte Ziegelersche, Henrich Wagner, Wendel Krausen Wittib, Johannes Brauns Wittib, Johannes Kausen Frau, die alte Badersche, Jakob Mitzen Frau, Merga Oppenheimb, Henrich Fossen Frau, Johannes Seylemans Frau, Engelhardt Scheffer und sin Frau, Peter Scharffen Frau, Johannes Greben Frau, Johann Klübers Wittib, die alte Lindemännsche (starb im Karzer), des Gerwigs Frau (ist ausgerissen), Emanuel Meyers Frau, Stoffel Diederichs Wittib, die Freylendörfsche, Hans Teiffers Wittib, Trin Kuchenbeckers, des Bettelvogts Frau, Martin Kaisers Frau, Johann Sandt."
Zahlreich sind aber auch die Nachrichten über Hexenverfolgungen, die sich zerstreut in den Archiven befinden. Hohe und Niedrige, Arme und Reiche konnten sich nicht vor dieser Raserei schützen. Nicht einmal Kinder waren sicher, von dem Hexenwahn verschont zu bleiben. So erging im Februar 1625 an das Stadtgericht wegen Paul Kistners Zaubereilasters halber verhaffteten Töchterleins - es war 11 Jahre alt - der Befehl des Kurfürsten: Es soll berichtet werden, was für pacta sie mit dem bösen Feind geschlossen hätte und wie hoch sie sich gebunden habe. Da das Mädchen seiner Jugend halber nicht vor Gericht gestellt werden konnte, soll es seinem Vater zurück gegeben werden und diesem aufgetragen werden, es mit notdürftigen Unterhalt zu versehen und nimmer allein zu lassen, allzeit bei Tag und bei Nacht soll jemans bei ihm sein. Auch soll er es durch die patres societ, Jesu oder die Pfarrer fleißig besuchen, kateschisieren und instruieren lassen. Sollte innerhalb 4 Wochen keine Besserung erfolgen, so hätte ihr ad poenam relegationis (zur Strafe der Ausweisung) zu schreiten.
Bloße Beschuldigung genügte zur Eröffnung des peinlichen Verfahrens. So schimpfte man am 20. Juni 1633 Heinrich Cappelen, als ihm eine Kuh gepfändet wurde, Georg Langendorf und seine Hausfrau hätten die Kuh auf Walpurgisnacht mit auf den Tanz genommen und verzaubert; alle beide wären Zauberer.
Das Vermögen der auf dem Scheiterhaufen verbrannten Hexen wurde von den Richtern eingezogen, die ungeheuer hohen Prozeßkosten hatten außerdem die Hinterbliebenen der Unglücklichen zu erstatten und es kam öfters vor, daß die Kosten doppelt erhoben wurden, weil Richter und Nachrichter die Gelder unterschlagen hatten. Es ist ein trauriges und ergreifendes Bild menschlichen Elends und unmenschlichen Leidens unschuldiger Menschen, das sich vor unseren Augen entrollt. Sie wurden herbeigeführt durch die Beschränktheit und Einfalt der Zeit auch durch die tief gesunkene Sittlichkeit und Moral durch die argen Beispiele einer rohen und verwilderten Soldateska.
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