Wie bereits hinreichend bekannt, hat sich bei der Belagerung der Stadt Fritzlar im Jahre 1232 durch den Landgrafen Konrad von Thüringen einiges getan. Wie uns dazu der alte Merian wörtlich in 1646 in seiner Städtebeschreibung über Fritzlar mitteilt, „seyen etliche lose Weiber auff die Stadtmauern gelauffen, haben den Hindersten entblöset, solchen über die Zinnen herausgereket und dem Landgrafen nachgeruffen, wann er nirgends hinzufliehen wüste, wollten sie ihm hiermit die Herberge gewiesen haben.“
Dieser Vorfall geistert durch viele alte Geschichtschroniken, aber solche Dinge haben sich auch andernorts in Deutschland abgespielt, wie der Curator Dr. Heinz-Eugen Schramm von der „Götz-von-Berlichingen-Academie“ in Tübingen, Verfasser des wissenschaftlich ominösen Buches „L.m.i.A.“, nachweist,
So war z. B. auch 1379 die schwäbische Reichsstadt Crailsheim belagert. Als nun die Lebensmittel knapp wurden, bestieg die korpulente Frau Bürgermeisterin die Stadtmauern, hob ihre Röcke und zeigte zwischen den Zinnen hindurch dem Feind ihre nackten Hinterbacken. Dies beeindruckte die Belagerer so, daß ihnen die Lust verging und sie ihr Vorhaben, die Stadt auszuhungern, aufgaben und abzogen.
Dr. Schramm weist nach, daß dieses Verhalten in alter Zeit mit Abwehrzauber zu tun hatte. Leider -hat dieser Zauber bei unserer Stadt versagt, die rauhen Mannen konnten einfach der herzhaften Einladung nicht widerstehen und so wurde unsere Stadt im Sturm genommen. Wie menschlich war doch früher die Kriegführung, schon ein solches Hintergesicht konnte den Frieden bringen.
Zur Ehrenrettung unserer weiblichen Vorfahren muß gesagt werden, daß ja nicht sie es waren, die unsere Stadt ins Unglück stürzten, sondern einwandfrei die gemeinen Weiber der damaligen Besatzungsmacht, die „Rheingauer“, die auch noch ausgerechnet der Erzbischof von Mainz und der Bischof von Worms mit sich herumschleppten, da konnte ja auch der Abwehrzauber nicht wirken.
Diese Niederlage hat nun wiederum unsere Vorfahren mächtig gewurmt, denn sie bauten an einer undichten Stelle ihrer sonst so erstklassigen Befestigungsanlage, zwischen dem Münstertor und dem Werkeltor, einer Strecke von kaum 100 Metern noch zusätzlich einen mächtigen Wehrturm, dem sie den drastischen Namen „callars“ (Kahlarsch) gaben. Ob sie denselben noch mit gewissen Abwehr-Emblemen ausschmückten, wie es bei mehreren Türmen heute noch in Deutschland zu sehen ist, kann leider nicht mehr festgestellt werden, denn es blieb nur noch der Stumpf des Turmes erhalten.
Der Germanist Prof. Theodor Haas, ein verstorbener Sohn unserer Stadt, befaßte sich 1925 in den Fuldaer Geschichtsblättern in seinem Aufsatz „Die Namen der Tore, Türme und Basteien der alten Stadt Fritzlar“ mit dem Turmnamen „Callars“ und weist in diesem Zusammenhang auch auf eine Flurbezeichnung „nassars“ (Naßarsch) hin. Man muß sich schon wundern, mit was für schwierigen Problemen sich unsere Wissenschaftler auseinandersetzen müssen.
Da nun Herr Dr. Schramm in seinem Werk diesen sonderbaren Abwehrzauber in ganz Deutschland und darüber hinaus an Türen und Toren, Häusern und Kirchen nachweisen konnte, richtete ich diesbezüglich mein Augenmerk auch auf unsere geschichts- und kunstreiche Stadt. Dabei mußte ich feststellen, daß auch Fritzlar von den eigenartigen Emblemen des Abwehrzaubers nicht verschont geblieben ist.
Betrachtet man die alte Marienkapelle gegenüber dem Rathaus, so sieht man am äußeren Eingang in der rechten oberen Ecke ein altes, bärtiges Männlein. Es streckt sein Hinterteil dem Rathaus zu, als wollte es sagen, die Bürgermeister und Ratsherren können mich mal, denn um 1350 - aus dieser Zeit stammt die Kapelle - hatten wir in Fritzlar immer zwei Bürgermeister und den dazugehörigen Stab an Beamten. Diese waren gleichzeitig Vollstrecker vom Finanzamt, Richter und Gefängnishalter, so daß es einem alten Steinmetz schon mal in den Fingern jucken konnte. Trotzdem läßt sich darüber noch streiten, ob wir es hier mit einem echten Abwehrzauber zu tun haben. Anders liegt der Fall im Kreuzgang des Domes, der ebenfalls aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammt. Dort befindet sich ein Konsolen-Abschlußfigürchen - das dritte an der linken Seite vom Eingang der heiligen Ecke, welches einwandfrei als Abwehrzauber angesehen werden muß, besonders da diese sitzende Figur auch noch mit der linken Hand dem Beschauer die blanken Hinterbacken anbietet.
Wir sehen also, daß auch bei uns in Fritzlar diese sonderbaren Sitten, die später unter dem Sammelbegriff „Götz-Zitat“ oder „Schwäbischer Gruß“ in der Literatur Eingang gefunden haben, zu Hause sind. Dennoch finde ich es reichlich übertrieben, wenn man in Schwaben Vereine gründet zur Erhaltung des Schwäbischen Grußes. In Hessen sehe ich diesbezüglich keine Gefahr, denn dieses Unmutsventil findet sogar noch in klerikalen Kreisen seine Anwendung, wie mir ein alter Fritzlarer Pfarrer glaubwürdig bestätigte.
So hatte vor etlichen Jahren sein Amtsbruder eine hitzige Auseinandersetzung in Bauangelegenheiten mit dem zuständigen Domkapitular. Da keine Einigung erzielt wurde, warf der Pfarrer dem Domkapitular das Götz-Zitat an den Kopf, worüber sich der Domkapitular bitter bei seinem Bischof beschwerte. Der Bischof konnte ihn nur beruhigen mit den Worten: „Aber dazu sind Sie ja nicht verpflichtet.“
Die wissenschaftliche Forschung des Herrn Dr. Schramm hat erwiesen, daß das Götzzitat in der ganzen,Welt gebraucht wird. Deswegen sei unserer begeisterungsfähigen Jugend noch mitgeteilt, falls sie jemals mit den Jüngern „Mao' s“ zusammentreffen sollten und diese sie mit den blumenreichen Worten China' s begrüßen die da lauten: „Küß mich im Tal der lauen Winde“ so ist dies keineswegs sehr freundlich, sondern es handelt sich abermals um den vermaledeiten Abwehrzauber bzw. um das deutsche „Götz-Zitat“.
H. J. Heer
Nachdem bereits im Jahre 1969 von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen wurde, den ehemaligen Brunnen am Dom wieder in seinen alten Zustand zu versetzen, und die entsprechenden Mittel im diesjährigen Haushalt vorgesehen sind, wurden in diesen Tagen die Arbeiten in Angriff genommen.
Von Herrn Bäckermeister Heer, Fritzlar, wurde uns ireundlicherweise eine Broschüre überlassen, die auch über den „Kumb“ berichtet.
Im Mittelalter gehörte der Brunnen zu der „Wasserkunst“, durch welche die Altstadt Fritzlar hauptsächlich mit Flußwasser versorgt wurde. Diese „Wasserkunst“ reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück. Der Brunnen diente gewissermaßen als Wasserbehälter oder Wasserspeicher. Nach Angaben des Herrn Heer war der Brunnen noch zu dessen Kindheit ca. 20 m tief. Er wurde wegen der bestehenden Gefahr dann durch die Stadt aufgefüllt.
1609 legte der Stadtrat die „Wasserkunst“ unter das St. Catherinenkloster (heute Ursulinenkloster) und erlangte von dem Stift die Erlaubnis, das Wasser der Steingosse hierzu verwenden zu dürfen. Später wurde sie auch in der städtischen Mönct,emühle angebracht. „Dieses Kunstwerk treibt das Wasser in eisernen Röhren den Mühlberg und Amberg hinauf. Hier theilt sich ihr Gang ehemals in zwei Arme, deren einer über den oberen Friedhof an der Johanniskirche hin in die Küche des Hochzeitshauses lief, der andere aber durch die Krämen in das obere Brauhaus führte, dieses, so wie das Wasserbecken auf dem Markte (Rolandsbrunnen) versorgte, dann weiter durch die Werkelgasse in das untere Brauhaus (an der Stelle, an der heute das Café Heer steht), und hier, wo er endete, am Klobesplatze (heute steht hier das Postamt. - Klobes = Klaus = Nikolaus, daher Nikolausstraße) das ihm auf dem weiten Wege noch gebliebene Wasser zu jedermanns freiem Gebrauch, ausgoß. Der erstgenannte Arm ist längst abgeschnitten, der Lauf des letzteren gehet seit 1799 nicht mehr durch die Krämen, sondern über den unteren Friedhof durch die Fischgasse hin.“
Weiterhin ist über die "Wasserkunst" folgendes zu lesen:
1698 ist zu der hiesigen Wasserkunst ein eiserner Grummeling zu Orb in der Grafschaft Waldeck gegossen worden. 1703, 27. Septembris ist das Kunst Rath samt einem neuen Bäder außer dem Haus gelegt, Undt so wohl eingerichtet, daß mit viel leichterem Trieb noch so viel Wasser herauß in die Statt gebracht worden. 1704, seyndt die Waßer Röhren von der abladung auffm freydhoff ahn biß zum Hochzeitshauß auffgehoben, Von Neuem ausgebrent Undt zu geringerer Circumferentz Unter den Krähmen her angelegt worden. 1725 sind die 2 Stiefeln durch Meister Constantin Ulrich aus Hersfeld umgegossen, die Ventile reparirt und das Geleide samt den Gabeln länger gemacht.
(Der Meister bekam 100 Taler und für jedes Pfund über das alte Gewicht 1/2 Gulden).“
Aufnahme: E. Meiers
Als neulich bei der Suche nach alten Kirchengrundmauern am „Roten Hals“ Gebeine zum Vorschein traten, kam mir zum Bewußtsein, daß an dieser Stelle der Nordseite des Domes, die Hingerichteten sowie die Erschlagenen oder sonst verunglückten Fremden hier ihre Begräbnisstätte fanden. Wegen der Hingerichteten gab der Volksmund dem Nordeingang des Domes den grausigen Namen „Der rote Hals“. Bei dieser Ausgrabung kam auch ein vollständiger Schädel zum Vorschein, bei dessen Anblick mir folgende geschichtliche Tatsache, aufgezeichnet im Fritzlarer Memorialbuch, in Erinnerung kam.
Der Fritzlarer Bürger und Ehemann Christian Andres war 1662 so unvorsichtig, sich eine Freundin zuzulegen. Sein Eheweib war keineswegs damit einverstanden und erhob Klage beim peinlichen Gericht der Stadt Fritzlar.
Dadurch setzte sie eine, für unsere heutigen Begriffe, grausige Gerichtsmaschinerie in Gang. Der Schultheiß und die Bürgermeister mit den Schöffen hatten nun das erste Recht des „Angriffs“ (Arretierung). Diese nun wiederum setzten ihre städt. „Handhabenmeister“ in Trab, die dann den armen Sünder festnahmen und in die Bürgergewahrsam im Rathaus einsperrten. Gleichzeitig wurde auch die Zuhälterin gefaßt und in den Steingossenturm (auch Hexenturm) gesteckt. Christian Andres wurde wegen Ehebruch vom peinlichen Gerichte zu Fritzlar nach Anhörung des „Fiscals“ (Mainzer Obergericht) zum Tode verurteilt.
Als das Urteil auf dem Rathaus verlesen wurde, war das Gericht in gewohnter „positur“, Schultheiß, Bürgermeister und die zwei Blutschöffen, denen der Zöllner den Gerichtsstab vorantrug, zum Siechenrasen gegangen. Der arme Sünder aber wurde gesondert von den gewappneten Bürgern in Begleitung der beiden Stadtpfarrer und viel Volk zur Richtstätte gebracht. Dieselbe befand sich neben dem Siechenhaus vor dem Weidenbaum auf der linken Seite des Fahrweges, wo ein großer Kreis geschlagen war. (Wahrscheinlich da, wo heute der Kreuzgarten ist). In diesem Kreis war das Gericht versammelt. Nachdem der Richter ihm nochmals sein Urteil vorgelesen hatte und den Gerichtsstab zerbrach, erfolgte durch den Scharfrichter die Enthauptung des armen Sünders, der Tags zuvor „ufm rathuse“ das hl. Abendmahl empfangen hatte. Damit war diese Familientragödie noch keineswegs zu Ende.
Der Sohn des Hingerichteten fühlte sich irgendwie verpflichtet, entweder aus Familientradition oder weil es sich bei der Freundin seines Vaters um eine reizende Hexe handelte, einzugreifen.
Er befreite dieselbe aus dem Steingossenturm und ging buchstäblich mit ihr türmen. Sie wurden aber nach einiger Zeit von den eifrigen Handhabenmeistern wieder aufgegriffen. Der Sohn wurde zu einem halben Jahr Schanzarbeit an der Fritzlarer Stadtbefestigung verurteilt, die Ehebrecherin aber an den Rathauspranger gestellt, mit Ruten bestrichen und des Landes verwiesen.
Der Stadtschreiber verzeichnete geradezu hohnvoll in dein Fritzlarer Memorialbuch, daß die Frau des Ehebrechers die ganzen Gerichtskosten, die damals wie heute: recht hoch waren, zu zahlen hatte.
Hätten wir heute noch so harte Sitten, stände der neue Friedhof noch viel dringlicher auf dem städtischen Etat.
Hans Josef Heer
Die Gassen- und Straßennamen der deutschen Städte sind Denksteine der Stadtentwicklung und Stadtgeschichte. Was die Adern für den menschlichen Körper bedeuten. das sind die Gassen und Straßen für eine Stadt, In ihnen pulsiert das Leben, das einer Stadt Sinn und Zweck verleiht, ihr das Gepräge gibt. Aus ihnen kann man die Geschichte eine Stadt in der Mannigfaltigkeit ihrer Lebensäußerungen ablesen,
Wer liebevoll den alten Gassennamen nachspürt. der lernt aus ihnen Schlüsse zu ziehen auf Sprache, Denken und Fühlen der Siedler, die vor Jahrhunderten auf diesem Grund und Boden weilten und die jetzige Kulturlandschaft mit ihren Wegen und Stegen, ihren Wällen und Gräben, kurzum mit ihrem reizvollen Stadtbild geschaffen haben, Deshalb haben diese Namen etwas von vergilbten Urkunden an sich, die uns aus alten Zeiten berichten.
Es besteht jedoch ein gewaltiger Unterschied zwischen den alten und neueren Straßennamen. Diese sind durch Beschluß der städtischen Körperschaften am grünen Tisch entstanden. Sie gedenken oft berühmter Persönlichkeiten, die zu der Stadt in keinerlei Beziehung gestanden haben, die dieser Ehrung gar nicht bedurft hätten, weil ihr Ruhm auch ohnedies gesichert ist. Wesentlich anderer Art sind die alten Gassennamen einer Stadt, denn alle diese Namen haben eine Geschichte. Sie standen nicht auf einem Straßenschild, und doch haben sie die Jahrhunderte überdauert. Auch sollte man in der alten Bezeichnung „Gasse“ nicht etwas Minderwertiges sehen, denn Gasse ist die mittelalterliche Benennung für Straße und zeugt immer für ein hohes Alter einer Stadt. Die berühmteste Geschäftsstraße in Salzburg ist heute noch die alte Getreidegasse, aus der auch Mozart stammte und viele solcher alten Gassennamen werden heute noch in unseren deutschen Städten geführt.
Kommen wir jetzt zur Stadt Fritzlar. Um dieses Thema einigermaßen übersehen zu können, teile ich den Grundriß unserer Stadt innerhalb der alten Stadtmauer in vier Bezirke, den Dombezirk, den Marktplatzbezirk, den Bezirk an der evangelischen Stadtkirche und den Bezirk um das alte Deutsch-Ordenshaus an der Fraumünsterstraße, wie die früheren Stadtbezeichnungen lauteten- Stadtteile A, B, C und D.
Beginnen wir mit dem ältesten Teil unserer Stadt, dem Dombezirk. Dort liegt am oberen Ende des Domplatzes wohl die älteste Gasse, der Ziegenberg. Eine Wegeverbindung vom Büraberg durch die Ederfurt und die untere Neustadt zum Domplatz. Sein Name weist uns in die vorchristliche Zeit, wo noch dem heidnischen Gotte Donar an der Domreiche, am Platze des heutigen Domes, die Ziegenopfer dargebracht wurden. Deswegen kamen auch noch in der vorreformatorischen Zeit die Bewohner von Geismar einmal im Jahr mit einem Baum zum Dom, um hier das Baumfest zu feiern, welches an die Fällung der Domreiche durch Bonifatius erinnerte,
Auf dieser alten Kultstätte wurde nach der Fällung der Domreiche Fritzlars erste christliche Kirche mit einem Benediktinerkloster erbaut. Bei der Legung der Fußbodenheizung im vergangenen Jahr hat die Fundamentforschung ergeben, daß diese erste steinerne Kirche schon eine große beachtliche Bauanlage gewesen sein muß. Das Benediktinerkloster wandelte sich etwa um 1000 in ein Chorherrenstift. Um 1250 entstand der heutige Dom, der dritte an dieser Stelle, seit dieser Zeit haben wir den Dombezirk so wie er sich uns heute noch darbietet.
In der Vergangenheit nannte man diesen Bezirk die alte „fritzlarer familia“, gemeint war damit das St. Peter-Stift, der Dom und seine 18 Kurien, die Wohnhäuser der meist adligen Stiftsherren mit ihren Hörigen.
Gehen wir mal den vergangenen Spuren der verschiedenen Kurien nach. Da wäre zuerst die Propstei zu nennen, die Wohnung des Fritzlarer Propstes, sie stand links vom Wege - zur sogenannten heiligen Ecke und ist im vergangenen Jahr abgebrochen worden, dessen freier Platz soll in Zukunft Anlage werden.
Die hohe Stellung, die der Propst von Fritzlar in ganz Hessen eingenommen hatte, machte die Propstei selbst für Fürsten und Grafen begehrenswert. In der langen Reihe der Fritzlarer Pröpste finden wir einen Landgrafen von Hessen, mehrere Grafen von Ziegenhain, einen Grafen von Waldeck, einen Grafen von Isenburg und Büdingen, zwei Grafen von Nassau und sogar einen Kardinal.
Der kleine Weg zur „Heiligen Ecke“ hat seinen Namen von der Nische, in welcher eine Figur des Gründers des Domes, der heilige Bonifatius, aufgestellt ist. Neben der Propstei, getrennt durch das Dechaneigäßchen, steht die heutige Dechanei, eine der ältesten Kurien mit gotischem Staffelgiebel. Hinter dem Dechaneihof lag früher noch eine kleine Kurie, genannt „der halbe Hof“ am Zuckmantel. Der eigenartige Name „Zuckmantel“ weist auf ein hohes Alter hin, im Mittelalter nannte man Rauben „Zucken“ und den halbhohen Rundbau an der Stadtmauer „Mantel“, so daß man unter dem Namen Zuckmantel „Raubbefestigung“ zu verstehen hat. Neben der Dechanei stand die „Kurie am Friedhof mit dem Brunnen“, die vor zwei Jahren abgebrochene Küsterei. Sie war schon 1285 die Kurie des Magister Wilhelm. An ihr vorbei geht das sogenannte Küstergäßchen, an dessen unterem Ende stand auf dem heutigen Grundstück von Dr. Hegewald die „Kurie mit der Steinsäule am Steingossentor“, erbaut um 1320. Ihr gegenüber lag die „Kurie am Steinweg“ heute Haus Gerhard Faupel. Der Steinweg hat seinen Namen von den Steinmetzen, die früher dort wohnten. Sie waren wohl von der ehemaligen Dombauhütte hier seßhaft geworden und sind die Steinmetzen von den kunstvollen Grabsteinplatten, die noch in großer Zahl erhalten sind.
Neben der Kurie am Steinweg lag rechts die „Kurie am Haspel“ oder auch der grüne Hof genannt. Die Haspel war ein Drehrad, das nur den Fußgängern erlaubte, den Weg zum Totenhof am Dom zu begehen.
Die Holzgasse, heute Neustädter Straße, hatte ihren Namen von dem Weg nach dem im Jahre 1402 zerstörten Dorf Holzheim. Es lag etwa in der Gegend, wo heute der Bauernhof Mander am Rothhelmshäuserweg liegt.
Den beiden zuletzt genannten Kurien gegenüber lag die „Kurie auf der Ecke zur Münstergasse“ heute Bürgerhaus. Neben dieser lag die kleine „Kurie in der Holzgasse“ an der Stelle, wo 1896 die jüdische Synagoge erbaut wurde und die man in den 40ger Jahren zerstörte, heute Haus Zahnarzt Böhm. Ihr fast gegenüber lag ebenfalls eine Kurie, an die noch der Eingangsbogen zur heutigen städtischen Bedürfnisanstalt erinnert.
Wir gehen wieder zurück zum ehemaligen unteren Friedhof, heute Dr. Jestädtplatz. Er erhielt den Namen zu Ehren des verstorbenen Stadtdechanten „Monsignore Dr. Wilhelm Jestädt“, der sich große Verdienste um die Restaurierung des Domes, die Errichtung des Dommuseums erworben hatte und der Schriftsteller der „Festschrift zur 1200 - Jahrfeier der Stadt Fritzlar“ war.
An der Stelle der früheren Lateinschule, heute Pfarrheim, lag die „große Kurie am Friedhof“, an der Stelle der früheren Präparandenanstalt, heute Gymnasium, die „kleine Kurie am Friedhof“.
Ein Stück Mittelalter ist uns geblieben in der „Kurie in der Fischgasse“, ihr gegenüber lag die „Kurie bei der Fischgasse“, deren Reste im Hof des ehem, kath. Kindergartens stehen. Die Fischgasse hat ihren Namen von der früheren Fischbank, heute das Haus der Fleischerei Krause. Anstelle des ehem. katholischen Kindergartens war die „Kurie gegen der Luchten“ gelegen, eine der alten städtischen Beleuchtungen. Ihr folgte die „Kurie auf dem Friedhof“ beim Rathaus, auf dessen Platz der neue Rathausanbau steht.
Am oberen Friedhof, 1827 Paradeplatz genannt, wegen der hessischen Husaren, die ihre Kaserne im Hochzeitshaus hatten und diesen Platz als Exerzierplatz benutzten, heute Domplatz, standen die restlichen drei anderen Kurien. Die „Kurie ob dem Friedhof“, heute Haus Marienburg Dr. H. Dietrich, an dessen Haus noch die Hankrat'schen Wappen angebracht sind. Die „Kurie beim Schulhof“ ist das Haus neben dem neuen katholischen Kindergarten mit dem großen gotischen Torbogen. Sie war schon 1247 vom Scholastiker Heinrich von Rüsteberg bewohnt, welcher im genannten Jahr Bischof von Hildesheim wurde. Als letzte der 18 Kurien ist noch das „Kapitelhaus“, heute die Waage bei dem Kumpf, am Domplatz, zu nennen. In der 800-jährigen Geschichte des Fritzlarer St. Peter-Stift lassen sich etwa 450 meist adlige Stiftsherren nachweisen. Damit wäre am Dombezirk das geistig-kirchliche Zentrum unserer Stadt in groben Zügen beschrieben, das weltlich-politische Zentrum wird in der Fortsetzung besprochen.
H. J. Heer
GLOSSAR:
KURIE = Päpstliche Zentralbehörde
SCHOLASTIK: Mittelalterliche Philosophie; engstirnige Schulweisheit
SCHOLASTIKER: Lehrer der Scholastik, reiner Verstandesmensch, spitzfindiger Mensch
KAPITALHAUS : Sitzungshaus der Kurie
Erste Fortsetzung
Das geistig-kirchliche Zentrum im mittelalterlichen Fritzlar lag, wie im ersten Artikel beschrieben wurde, hauptsächlich am heutigen „Dr. Jestädtplatz“. Das weltlich-politische Zentrum haben wir in jener Zeit am Domplatz zu suchen.
Da wäre zuerst mal die ehemalige Kaiserpfalz zu erwähnen. Sie lag nach den Ansichten der historischen Wissenschaftler Dr. Jestädt und Dr. Demandt an der rechten Domplatzseite vom Dom aus gesehen. Erhärtet wird diese Tatsache noch durch das Vorhandensein der ehem. Johanneskirche. Sie stand auf dem Grundstück Nr. 10, dort wo heute Herr Dekan Barth wohnt; Pfalzkapellen waren im Mittelalter meistens dem hl. Johannes geweiht. Hinzu kommt noch die eigenartige Gassenbezeichnung „Meyde-Weg“, welcher parallel zum Domplatz hinter den Häusern der rechten Seite herläuft, Der Name „maior“ wird als Weg zur „Königsvillae“ gedeutet. Prof. Rauch hielt das Gebäude der alten Waage am Kumpf für die Reste der Kaiserpfalz, dessen Rückseite noch heute romanische und frühgotische Bauelemente aufweisen. Möglicherweise könnten alle Recht haben, wenn man sich die Pfalzanlage ähnlich wie in Ingelheim die Bodenforschungen ergeben haben, in einem großen Karree vorstellt. Grabungen würden wahrscheinlich Klärung bringen, Fest steht auf alle Fälle, daß in Fritzlar eine Kaiserpfalz vorhanden war, auf die noch heute verschiedene Urkunden hinweisen. 11 deutsche Kaiser und Könige residierten in Fritzlar. Auch wurden mehrere Reichs- und Kirchentage in Fritzlar abgehalten, bei denen der Kaiser und die Großen des Reiches hier anwesend waren. Von 22 Kaiserbesuchen lassen sich noch die Urkunden von den Kaiserbeschlüssen, welche in Fritzlar getätigt wurden, nachweisen. Die Namen der Kaiser und Könige sind folgende:
Konrad I. König der Franken 911/18, Burgsitz in Fritzlar
König Heinrich I. 919 Königswahl in Fritzlar, erster König der gesamtdeutschen Stämme
Kaiser Otto I. 936/73. (Von Kaisern, die mehrmals in Fritzlar weilten, steht die Regierungszeit dahinter).
Kaiser Otto II. 973/83.
Kaiser Heinrich II. 1002/24, stiftete lo2o das Edelsteinkreuz im Domschatz.
Kaiser Konrad II. 1024/39. Kaiser Heinrich III, 1039/56.
Kaiser Heinrich IV. 1056/1106, als Canossa-Kaiser bekannt.
Rudolf von Schwaben, Gegenkönig, zerstörte Fritzlar 1079.
Kaiser Heinrich V. 1104 und der letzte Kaiser Konrad III, 1145 in Fritzlar.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auch auf die große Gerichtsstätte vor dem alten Westportal des Domes hinzuweisen, Hier wurden Urteile von reichs- und weltgeschichtlicher Bedeutung gefällt. So unter anderm der Bann über Kaiser Heinrich V. am 28. 7. 1118 durch den päpstlichen Legaten Kuno von Präneste im Beisein der Großen des Reiches. Gerichtsraum war der freie Platz vor dem Dom, nur ein einfaches Bretterdach schützte vor Regen und Sonne. Man war es von der germanischen Zeit her auch gar nicht anders gewöhnt, Gericht wurde unter freiem Himmel auf den alten Dingstätten gehalten. Deswegen erfolgte auch 919 die Wahl des ersten deutschen Königs, Heinrich I. nicht im Dom, sondern auf der ehem. Dingstätte vor dem Dom. Später, um 1260, wurde an dieser Stelle eine offene Gerichtshalle erbaut, wie es in alten Urkunden hieß ein „Adrium“, gemeint ist damit das heutige Paradies. Die großen Tage der Reichsversammlungen waren aber in Fritzlar vorüber. Das sächsische Kaiserhaus war mit Heinrich V. erloschen, die folgenden Hohenstaufen-Kaiser zogen den warmen Süden Italiens dem kühlen Norden Deutschlands vor, um von dort die Geschicke des Reiches zu leiten, somit diente dann diese Halle kirchlichen Zwecken als Paradies.
Das zweite historische Gebäude, was schon auf eine 900 jährige Geschichte zurückblicken kann, ist unser Rathaus, das älteste Amtsgebäude Deutschlands. In seinen romanischen Anfängen etwa um 1050, war es die Vogtei. Vögte vonFritzlar waren in jener Zeit die Landgrafen von Thüringen, die dort auch ihre Gerichtstätigkeit ausübten, Im 13. Jahrhundert wurde die Vogtei gegenstandslos, deswegen verkaufte Landgraf Konrad 1231 dieses Gebäude dem Kloster Berich, wo es dann 1266 durch zweite Hand von dem Fritzlarer Ratsmann Swineouge zum Zwecke eines Rathauses erworben wurde.
In den folgenden 700 Jahren, wo diese alte Vogtei als Rathaus diente, haben 167 Bürgermeister in ihm amtiert. Romanisch sind noch die beiden Keller und die Eingangsbögen an der Westseite des heutigen Gebäudes.
1442 erhielt das Rathaus sein gotisches Aussehen, etwa so wie es nach der Renovierung von 1964 wiederhergestellt wurde. Im Mittelalter diente die ebenerdige große Rathaushalle an gewissen Wochentagen den Tuchwebern als Verkaufshalle, die Käufer konnten sich an der Fritzlarer-Elle, welche noch heute an der Nordseite des Domes vorhanden ist, von der Richtigkeit der Tuchlänge überzeugen.
An der Westseite des Rathauses führt eine Straße mit dem Namen „Zwischen den Krämen“, sie erhielt diesen Namen von den Krämerläden, die dort seßhaft waren. Eines dieser alten Krämerhäuser ist uns noch in dem Haus Faupel gegenüber dem Rathaus erhalten geblieben. Es kann schon auf ein halbes Jahrtausend zurückblicken, links von der Haustür muß man sich den Verkaufsladen vorstellen, Es wurde einfach die große Fensterlade nach der Straße zu aufgekippt, so war gleich der Verkaufstisch vorhanden, an denen sonntags die Landbevölkerung, wenn sie vom Dom kamen, ihre Einkäufe tätigten. Der Weg an der Ostseite des Rathauses hat den Namen „Spitzengasse“, weil es den spitzen Häuserkomplex vom Rathaus trennt.
Ein weiteres weltliches Gebäude am oberen Ende des Domplatzes war das kurmainzische Amtshaus, später Schule, heute evangelischer Kindergarten und Pfarrheim. Über der unteren Haustür ist noch heute das Mainzer Rad mit dem Kurhut erhalten, Die mainzischen Oberamtmänner und sein stellvertretender Amtmann, waren die ranghöchsten weltlichen Persönlichkeiten in Fritzlar, Oberamtmänner waren außer dem Landgrafen von Hessen, die Grafen von Nassau, von Ysenburg-Büdingen, von Waldeck, von Ziegenhain und andere mehr. Sie weilten nur zeitweilig in Fritzlar. Festen Wohnsitz hatten dagegen die Amtmänner, sie stammten meistens aus dem Uradel. Die Fritzlarer Amtmänner verwalteten den mainzisehen Grundbesitz in Hessen bis zum Eichsfeld, gleichzeitig sind sie als Zivil- und Militär-Gouverneure zu betrachten.
Letzter Amtmann von Fritzlar war Franz Ludwig von Weitershausen. Ein Epitaph mit 64 adligen Wappen dieser Familie befindet sich im Dom in der Seitenkapelle neben dem Eingang zum Kreuzgang, Diese Familie von Weitershausen stiftete auch zwei der noch erhaltenen Wegekreuze, eins in der Fraumünsterstraße und das andere Ecke Hellenweg-Kasseler Straße.
Das Stück Weg vom Amtshaus bis zum Ziegenberg ist die Rittergasse. Dort und am oberen Domplatz wohnten in den restlichen Häusern die ritterlichen Vasallen des Stiftes. Sie waren die Burgmänner des mainzer Erzbischof~, der ja gleichzeitig Stadtherr von Fritzlar war, der den Rittern die mainzischen Besitzungen in Hessen als Lehn überließ.
So sieht man noch am Haus Nr. 14 das Wappen der Burgmannen Familie von Katzmann, 22 solcher ritterlichen Vasallen zähle das Fritzlarer Stift.
Daher kann man heute noch Wappen von den hessischen Rittern: von Wildungen, von Schomberg, von Linsingen, von Gilsa, von Urf, von Elben und andere mehr in Fritzlar finden. Der Roßmarkt hat seinen Namen von den Pferdestallungen, in welchen die Ritter ihre Pferde stehen hatten, Der Weg oberhalb des Amtshauses gehörte mit zu der alten „Bischofsgasse“, er führte zur erzbischöflichen Burg. Dieselbe lag zwischen dem Frauenturm und der noch heutigen Wegebezeichnung „Am Burggraben“, auf dem Gelände am „neuen Gestück“ (eine Bezeichnung für die halbhohe Bastei in der Stadtmauer), wo sich der Schulgarten der St. Wigbert- Kinderpflegerinnenschule befindet. Die alte Burg ist 1229 von den Mannen des Landgrafen Konrad zerstört worden. Den Aufbau einer neuen Burg wußte das Fritzlarer Patriziat und die aufstrebende Bürgerschaft mit viel Geschick zu verhindern. Zumindest wurde der spätere Burgbau keine Zwingburg zum Schaden der Fritzlarer Bürger. Damit wäre also der Dombezirk im wesentlichen beschrieben. Man kann wohl sagen, daß im Mittelalter ein interessantes Völkchcn dort wohnte. Fortsetzen ich in zwangloser Folge dieses Thema mit dem Marktplatzbezirk und sein Wirtschaftsleben.
GLOSSAR
Kaiserpfalz - Kaiserlicher Palast; Hofburg für kaiserliches Hofgericht
Karree - Viereck; Gruppe von vier
Dingstätte - Germanische Volks-, Gerichts- und Heeresversammlung
Gouverneur- Statthalter
Paradies - Portalvorbau an mittelalterlichen Kirchen Epitaph - Grabschrift; Grabmal mit Inschrift
Zweite Fortsetzung
Die Grundrißgestaltung der neuen Stadt Fritzlar des frühen 12. Jahrhunderts gegenüber des alten Kerns um den Dombezirk, zeigt durch die zentrale Lage des Marktplatzes und die allein dadurch bestimmte Linienführung sämtlicher Straßen unwiderleglich, daß es wirtschaftliche Gesichtspunkte gewesen sind, die diese Art der Stadtplanung bedingten. Die Leistungen der ältesten Fritzlarer Kaufmannschaft des 12. bis 15. Jahrhunderts stellten die Führungskräfte des Fritzlarer Wirtschaftslebens. Gleichzeitig war die Einheit von Großkaufleuten und Ratsfamilien, die das Fritzlarer Patriziat bildeten, in der besonderen Gilde der Michaelsbruderschaft vereinigt. Hinzu kam noch die beträchtliche Zahl der verschiedenen Handwerker, welche mit ihren Zünften einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor darstellten.
Nicht die zahlreichen Liegenschaften an Äckern, Wiesen, Gärten und Weinbergen, welche die Fritzlarer Einwohnerschaft im weiten Umkreis zusammenbrachte, also eine vorwiegende landwirtschaftliche Bestätigung, war die Grundlage des Reichtums der führenden Fritzlarer Familien, sondern es war vielmehr ihre Handelstätigkeit und ihr Gewerbefleiß, auf dem ihr Wohlstand beruhte und erst dieser führte dann auch zu einem weit ausgedehnten Güterbesitz.
Fritzlar war nicht nur im Besitz von bestimmten Jahr- und Wochenmärkten, sondern besaß auch einen ständigen Markt. Zu den beiden alten großen Jahrmärkten am 1. Mai und am 10. August kam 1464 noch ein dritter Jahrmarkt im Oktober hinzu. Im Mittelalter erstreckte sich der Einflußbereich des Fritzlarer Marktes über ganz Niederhessen und Waldeck, denn der Gebrauch von Fritzlarer Münze und Maß, welche seine Ausdehnung am sichersten kennzeichnet, war im 15. Jahrhundert für ganz Hessen maßgebend. Seit frühester Zeit wurden durch die Großkaufleute auf den Fritzlarer Märkten die wertvollen Fernhandelsartikel wie kostbare Tuche, Pelze, Seide, Gewürze, Spezereien, Südfrüchte und Weine gehandelt. Zudem war Fritzlar ein hervorragender Handelsplatz für Getreide und Wolle. Die Erzeugnisse von 25 verschiedenen Handwerks- und Gewerbezweigen, die nicht nur für den städtischen Bedarf gearbeitet haben, von denen sich ab Mitte des 14. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts 332 Betriebe nachweisen lassen, geben uns noch heute ein anschauliches Bild über die Wirtschaftsmöglichkeiten in unserer Stadt.
Der Fritzlarer Marktplatz mit seinen Geschäftshäusern und Standplätzen war ein einzigartiges Großkaufhaus. Die Michaelsbruderschaft besaß außer ihrem Gildehaus mit dem Türmchen, heute Drogerie Busch, noch zwei Kaufhäuser am Markt, möglicherweise die beiden links und rechts vom Gildehaus. Die heutige Kreissparkasse war früher die Bäckerschirne, wo die Bäcker gemeinsam ihre Waren feilboten. Die Fleischerschirne war im heutigen Zigarrenhaus Thiel und die Fischbank im Hause Metzgerei Krause. Im Lambert'schen Haus war die Fritzlarer Münze, die von den Goldschmieden geführt wurde. 16 Goldschmiedemeister lassen sich für diese Zeit urkundlich in Fritzlar nachweisen. Ihre Erzeugnisse sind außer im Domschatznoch in vielen Museen in Deutschland und darüber hinaus nachweisbar. Die heutige Volksbank war ein Handelshaus der Patrizierfamilie Iwan, die zusammen mit der verschwägerten Patrizierfamilie Terkis schon damals ausgedehnte Geldgeschäfte in bankähnlicher Art tätigten. Das Haus Bäckerei Hetzler war eine der Fritzlarer Brauereien, möglicherweise in Verbindung mit dem Haus Seibel, früher der berühmte Gasthof „Zur Lilie“, erbaut um 1480 von der Patrizierfamilie Iwan. Hessische Fürsten, Landgrafen, Mainzische Räte, adlige Herren und Kaufleute gehörten zu ihren Gästen. Im 30-jährigen Kriege war der Bruder des deutschen Kaisers, Erzherzog Leopold Wilhelm und Fürst Piccolomini Gast, sowie Generalfeldmarschall Graf Tilly, die Generale Graf Goetz, Galls und Isolani weilten mehrmals dort.
Das steinerne Haus Ille, wo heute die Hessische Allgemeine ihre Redaktion hat, war ein Handelshaus der Patrizierfamilic Terkis. Alle übrigen Häuser am Markt waren ebenfalls Geschäftshäuser, hinzu kam noch der Marktplatz mit den offenen Verkaufsständen, in dessen Mitte noch heute der Marktbrunnen mit dem Roland steht, ein Rechtswahrzeichen, Sinnbild der städtischen Banngewalt, des Markt- und Gerichtsbannes.
Wir ersehen aus der damaligen Wirtschaftssituation, daß Fritzlar im Mittelalter eine weit größere Bedeutung als heute hatte, war sie ja bis zur Reformation die Landeshauptstadt von Niederhessen. Diese eingehenden Erkenntnisse des Fritzlarer Wirtschaftslebens verdanken wir den Urkundenforschungen von Dr. K, E. Demandt aus seinen verschiedenen Geschichtswerken.
Folgende Gassen laufen strahlenartig vom Markt zur Stadtmauer: Die „Hundgasse“ weist auf uns die Hundsburg am Haddamartor hin; der Name stammt noch aus dem Germanischen, der Führer einer Hundertschaft war der „Hund“, Die Grebengasse gabelt sich mit der Rosengasse. „Grebengasse“ und Grebenturm haben ihren Namen von den dort wohnhaften Greben, (Grebe = Gemeindevertreter). Der blumige Name „Rosengasse“ mit Rosenturm war im Mittelalter das Eroszentrum; wo von der Stadt das Frauenhaus mit der Meisterin und dem Wirt gehalten wurde, eine Einrichtung großstädtischer Gewohnheiten. Die „Schildergasse“ weist uns auf den für ganz Hessen einmaligen Beruf der Schilderer hin. Unter diesem Kunsthandwerk hat man die heraldischen Arbeiten zu verstehen, wie den Wappenschmuck der ritterlichen Rüstungen, also insbesondere die Ausstattung der Schilde, Helmzierden, Wappenröcke, Pferdedecken und Banner, auch Bronzeguß von Wappentafeln, wie sie noch im Dom erhalten sind. Da die Erzeugnisse der Kunst der Schilderer in Fritzlar allein nicht unterzubringen waren, müssen sie für eine auswärtige Abnehmerschaft gearbeitet haben, und als solche kommt nur der hessische Adel in Frage, dessen enge Beziehungen zur Stadt durch das dortige Stift gegeben waren, da dieses bis in das 14. Jahrhundert nur Herren adeliger Abkunft offenstand.
Naturgemäß ist von diesen vergänglichen Schöpfungen nicht viel erhalten, wenn man nicht die herrlichen ältesten Totenschilde der hessischen Landgrafen in der Elisabethkirche zu Marburg, wo ein solches Handwerk damals nicht nachweisbar ist, als Fritzlarer Arbeiten ansprechen kann.
Am Anfang der Schildergasse zweigt das „Lierloch“ ab (=Lauerloch), Der Name deutet auf einen ehemaligen Mauervorsprung hin. Der Rundgang hinter der Stadtmauer - auch Rondengang genannt - heißt in Fritzlarer Mundart einfach „hinger de mure“. Das Wegestück „am Hochzeitshaus“ weist auf Fritzlars ältestes Bürgerhaus hin; das Gebäude erstreckt sich über zwei Straßen und ist noch heute das größte Fachwerkhaus Hessens. In den Jahren 1580-90 wurde der stattliche Fachwerkbau in reicher Renaissance mit kräftig gezeichneten Gesimsen und steinernem Erdgeschoß erbaut. An dem Treppenturm vor der Westseite ein fein ornamentiertes Portal von „Andreas Herber“, eine bekannte Kunsthandwerkerfamilie aus Kassel. Die Türrahmung enthält im oberen SturZ folgende Zeilen:
DAS.HAUS.STET.IN.GOTTES.HAND.DAS.HOCHZEIT.HAUS.IST.ES.GENAT. Es war in seinen fast 400 Jahren ein Mehrzweckhaus im wahrsten Sinn des Wortes.- als Hochzeitshaus und für Familienfeste erbaut, gefüllt mit Tischen, Stühlen und Schränken sowie Zinn und Leinen und Eßgeschirr. In den Kriegen als Lazarett benutzt und ausgeplündert, dann jahrelang als Husarenkaserne, auch zwischendurch als behelfsmäßiges Rathaus, später die große Bürgerschule und nach dem letzten Kriege Krankenkasse und Behelfswohnungen, heute Heimatmuseum. Die alte Bischofsgasse, heute „St, Wigbert-Straße“ erinnert an den ersten Abt des Fritzlarer Benediktinerklosters, welcher heilig gesprochen wurde und in der Domkrypta sein Hochgrab hat. Eingeschlossen wird der Marktplatzbezirk durch das „Geismartor“ und den „Grauen Turm“, die Kommandostelle der Fritzlarer Warten; als solchen stellt er noch heute den größten Wehrturm Deutschlands dar.
Als Fortsetzung dieser Artikelserie beschreibe ich demnächst den Bezirk an der evangelischen Kirche.
H. J. Heer
UNSERE STADT, IN DER WIR LEBEN
Das Chorherrenstift St. Peter zu Fritzlar, eine Stätte des geistigen Lebens im mittelalterlichen Hessen I.
Aus der von Bonifatius gegründeten und Abt Wigbert geführten benediktinischen Klosterschule des 8. Jahrhunderts entwickelte sich etwa nach 1000 eine Hochschule mit akademischen Studienfächern. Bei der Umwandlung des Fritzlarer Benediktinerklosters in ein adliges Chorherrenstift um die Jahrtausendwende, war eine der wichtigsten Einrichtungen die Führung einer eigenen Stiftsschule.
An ihrer Spitze stand der Scholaster (scholaster, scholadicus), der im Range der zweithöchste unter den 3 Prälaten des Fritzlarer Stifts war. Die Bezeichnung des Scholasters als „magister scholarum“ (schon 1190), die des Rektor: als „rector scholarum“ (1314) beweist, daß es damals nicht bloß eine Schule in Fritzlar gegeben hat, sondern daß außer der internen Stiftsschule auch noch eine externe Stadtschule vom Stift unterhalten wurde.
Gelehrt wurde an der Fritzlarer Stiftsschule Sprachen, Theologie, Jurisprudenz und die schönen Künste wie: Musik, Dichtung, Buchschreib- und Malerei sowie Goldschmiedekunst.
Es spricht für den hohen Stand der Schule, wenn sich Landgraf Hermann von Thüringen und Herr von Hessen (1190 - 1216), der Gönner und Freund der schönen Dichtung, aus Fritzlar einen gelehrten Schüler erbat, um sich von ihm eine Bearbeitung des Trojanerkrieges in deutschen Versen liefern zu lassen. Herbort von Fritzlar hat diesen ehrenvollen Auftrag in 18 458 Versen gedichtet.
Weiterhin ist urkundlich nachweisbar, daß schon 1290 die Universitäten Paris und Bologna ausdrücklich als akademische Fortbildungsstätten der Fritzlarer Scholaren bezeichnet werden. Zum Stift und seiner Schule gehörte eine berühmte Handschriften-Bibliothek, die durch einen eignen Bibliothekar und Buchbinder (negociator librorum) im Stand gehalten wurde. Ein Beschluß v. J. 1387 verfügte regelmäßige jährliche Revisionen der Stiftsbibliothek durch gewissenhafte und erprobte Personen der Stiftskirche. Sorgfältig sollte von ihnen die Bücherei nach Zustand, Wert und Zahl der darin oder an anderen Stellen frei oder angekettet befindlichen Bücher geprüft werden. Das vorhandene Handschriftenmaterial ging in die Tausende, welche kostbaren Bände das Stift früher besaß, beweisen die noch heute erhaltenen besonders kunstvollen 48 Bände im Schloß Pommersfelden bei Bamberg und die in der Landesbibliothek in Kassel mit über Hundert Bänden, deren Werte mehrere Millionen übersteigen.
Der damalige Bibliothekar und Stiftsscholaster von Speckmann schreibt 1742: „bey einer Kurfürstlichen Commission Churfürst Lothar Franz von Schönbom, Erzbischof von Mainz, sehr schöne Manuscripte in Pergament sich ausgebeten und von dem Stift empfangen, sind aber noch 200 übrig.“ An anderer Stelle schreibt Speckmann vom gleichen Jahre: „Ist das Obergebäude der Stiftsbibliothek ober dem Kreuzgang verfallen und durch die Bunnengefach sind zwey Wagen voll Bücher inbrauchbar hinweggeworfen worden.“ Den größten Verlust erlebte Fritzlar bei der Säkularisation 1803 wo das Stift aufgelöst wurde und das gesamte Vermögen an den Landgrafen von Hessen-Kassel fiel, hierbei gingen ganze Wagenladungen von Handschriften und gedruckten Bänden in die Bibliotheken nach Kassel. Ob nun dieselben Fritzlar erhalten geblieben wären, in den Stürmen der letzten 170 Jahren, kann man nicht mit Sicherheit sagen, wenigstens sind sie nach der Absetzung der hessischen Landgrafen in den Besitz des Landes Hessen gekommen und stehen heute der Forschung offen. Die deutsche Forschungsgemeinschaft stellte z. B. 1960 für Kassel 56.000,-- DM zur Verfügung um diese Handschriften zu katalogisieren, dessen erster gedruckter Band 1969 unter den Titel erschien: „Die Handschriften der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel und Landesbibliothek Band 2, MANUSCRIPTE IURIDICA“. Bearbeitet von Marita Kremer, herausgegeben von Dr. Ludwig Denecke, 1969, Verlag: Otto Harrassowitz, Wiesbaden.
Frau Kremer bedankt sich für die Mitarbeit von 14 Professoren und 16 Doktoren aus dem In- und Ausland und schreibt unter anderem in ihren Vorwort: „Die `Manuscripta iuridica´ nach der Einteilung des alten handschriftlichen Katalogs umfassen 149 Handschriften und Fragmente aus dem Römischen, dem Kanonischen, dem Zivil- und Völkerrecht, darunter auch einiges, was man heute nicht unbedingt als juristisch bezeichnen wurde Den wichtigsten Teil der Sammlung bilden die Codices und Fragmente aus der Bibliothek des Domstifts St. Peter in Fritzlar, die mit 54 mittelalterlichen Stücken ein sehr aufschlußreiches Bild von dem Zustandekommen und den Gehalt einer solchen Dombibliothek zu geben vermögen.“
Von den 149 Handschriften vom 9. bis zum 19. Jahrhundert, bilden die 54 Bände aus Fritzlar ca. 90 % aller wertvollen mittelalterlichen Schriften vom 9. bis zum 15. Jahrhundert, welche zum größten Teil auf Pergament und mit kostbaren Initialen (mit farbigen Bildwiedergaben aus dem Gerichtsleben) ausgeschmückt sind. Diese Bände hatten auch zu ihrer Entstehungszeit großen Wert, welches die Kettenhalterungen an den Büchern beweisen, die sie vor Diebstahl schützen sollte. Es handelt sich bei den Bänden um ganze Handschriftenpakete bis zu 600 Seiten, aus denen man außer juristischem auch viel Geschichtliches und sogar berühmte Reimdichtungen des Mittelalters finden kann.
Aus dieser Stiftsschule hervorgegangene Stiftsherren finden sich, wie ein Blick in die Register der meisten Urkundenwerke lehrt, weit über die Grenzen des Archidiakonatsbezirks Fritzlar hinaus als „notarii“ und „scriptores“ (Notar und Schreiber) oder hohe geistliche Würdenträger in Mainz, Aschaffenburg, Paderborn, Minden, Hildesheim, Osnabrück, Halberstadt, Erfurt, Magdeburg, ja in allen größeren Orten Norddeutschlands wie auch als Kurialen zu Avignon und Rom.
von H. J. Heer
UNSERE STADT, IN DER WIR LEBEN
Das Chorherrenstift St. Peter, zu Fritzlar , eine Stätte des geistigen Lebens im mittelalterlichen Hessen II.
Bis zur Reformation wurden ferner viele Kanoniker von den damaligen Fürsten als Kanzler herangezogen. 1194 nennt Erzbischof Siegfried von Mainz den Kan. Hermanus von Fritzlar als Notar, 1196 - 1207 wird Adeleldus aus Fritzlar als solchen genannt. Eckerardus von Momberg wurde 1248 Propst und Archidiakon des St. Peterstiftes in Fritzlar, er führte im Verein mit Konrad v. Elben und Werner v. Löwenstein im Auftrage des Markgrafen Heinrich v. Meißen die vormundschaftliche Regierung für den minderjährigen Heinrich v. Brabant, das Kind von Hessen der spätere Landgraf. 1246 - 47 war der Fritzlarer Propst Burkardus von Ziegenhain Kanzler Heinrich Raspes der Schwager der Hl. Elisabeth von Thüringen. Auch sein Nachfolger, Wilhelm von Holland´s Kanzler, war Wilhelmus de Frieslarfa.
1279 wird Henricus de Anreff can. fritl. Kanzler des Landgrafen Heinrich von Hessen. 1354 war Bertram v. Wolfshain can. fritl. protnotarius des Landgrafen. 1377 ist Heidenrikus von Fritzlar notarius von Adolphi I., Tilmann Hollauch, ein Fritzlarer Altarist, war 1413 - 58 Kanzler des Landgrafen Ludwig I. Unter den Räten dieses Landgrafen waren Dietrich v. Uffeln can. fritl. sowie die Altaristen Joh. Torlan und Joh. Morsen sind seine Räte. 1419 ist Volpert Regis de Fridslaria Notar und Schreiber des Mainzer Stuhles. 1434 war Joh. Kirchhain, später Dekan des St. Peterstiftes, „Kammerschreiber“ des Erzbischofs. 1465 war Conrad Balke can. fritl. landgräflicher Kanzler. 1465 war Dr. Joh. Herdeyn aus Fritzlar „Heimlicher Rat“ des Landgrafen Hermann, 1479 Dr. Joh. Menche, scolast. fritl. Notar und Rat des Landgrafen Heinrich, 1483 wurde er als prepositus fritl. Kanzler Landgraf Hermanns zu Hes-sen, Erzbischof von Köln.
Die Fritzlarer Stiftsschule mit ihren bedeutenden Juristen war sicherlich der Anlaß für „das Landfriedensgericht“, ein Bündnis, welches in Fritzlar gegründet und wiederholt dort tagte. Um den fortwährenden Räubereien, Wegelagerungen und Plünderungen, Gewalttätigkeiten usw., die zu einer wahren Landplage geworden waren, ein Ende zu machen, traten eine Anzahl Fürsten zu Bündnissen zusammen, welche den Zweck hatten, diese Ausschreitungen zu unterdrücken und vorkommende Streitigkeiten durch Landrichter zu schlichten.
So schlossen Erzbischof Gerlach und Landgraf Heinrich 1. 1254 einen solchen Landfrieden. Ihre Landrichter traten z. B. 1266, den 3. Mai in Fritzlar zusammen, um Meinungsverschiedenheiten zu schlichten. Nachdem nochmals 1273 bei Fritzlar zwischen Erzbischof und Landgrafen neue Vereinbarungen getroffen waren, traten 1293, weil die Verhältnisse inzwischen wieder unerträglich geworden waren, die Städte Fritzlar, Naumburg, Hofgeismar, Wolfhagen, Warburg, Marsberg und Höxter zu einem Landfriedensbunde zusammen. 1361 und 1370 finden wieder Vereinigungen zwischen den beiderseitigen Landesherren in Fritzlar statt. Jetzt treten auch benachbarte Fürsten dem Bunde bei. Am 12. März 1385 verbünden sich Erzbischof Adolf, Herzog Otto von Braunschweig, die Grafen von Waldeck und Ziegenhain und viele Ritter und Knappen. Zur Leitung der Geschäfte sollen der Erzbischof drei, das Land Westfalen drei, das Land Sachsen drei und die Lande zu Hessen und in der Buchenau (Fulda) drei Abgeordnete wählen, „und wann die gekorne also alle zusamen ryden wurden, daz solde gescheen gein friczlar“ (aus Braunschw. Urkb. VI p. 123). 1393 traten dem Bunde die Bischöfe von Paderborn, der Landgraf Balthasar von Thüringen und Markgraf zu Meißen, sowie Landgraf Hermann von Hessen bei.
„Auch sind wir fursten überkomen, waz das wir alle jare eyns czusamen komen sollen czu Friczlar mit namen uff den suntag nach mitfasten, und dazu überkomen, waz nucze gut sie czu dem fride“ (Cod. dipl. Sax.). 1401 ritten die Schiedsleute noch nach Fritzlar. In der Rechnung der Stadt Hildesheim heißt es da: „de hovetman verdan do he reden was van unses herrn weghen an de lantrichtere to Fritzlar“. In der Mitte des 15. Jahrhunderts verlieren sich die Richtertagungen in Fritzlar.
All diese urkundlich belegten Vorkommnisse zeigen uns die bedeutende Stellung von Fritzlar im Mittelalter. Im Jubiläumsband der Philipps-Universität in Marburg zur Vierhundertjahrfeier des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Band 56, 1927, von Seite 347 bis 436 beschreibt Dr. Karl Heldmann, Professor an der Universität Halle-Wittenberg, „Das akademische Fritzlar im Mittelalter“ in einem Beitrag zur Geschichte des geistigen Lebens in Hessen, worin er die Stiftsschule zu Fritzlar als ein Vorläufer der Philipps-Universität von Marburg sieht, als Abschlußkapitel folgendes: „Unbezweifelbar bleibt dennoch, daß das ungünstige, jedenfalls aus einem konfessionellen Vorurteil geborene Urteil über die Fritzlarer Stiftsschule im Mittelalter in keiner Weise zu recht besteht und allein schon durch die Listen der Scholaster, Graduierten und Studierenden, die wir nun folgen lassen, bündig wiederlegt wird. In Wahrheit ist das Fritzlar jener Jahrhunderte vielmehr der eigentliche Mittelpunkt des geistigen Lebens in Alt-Hessen gewesen, ein nicht bloß einfach kirchliches, sondern auch ein `akademisches Fritzlar´, das seine Rolle erst ausgespielt hat, als die neuen Geistesströmungen, Humanismus und Reformation, an seine Mauern heranbrandeten und im oberen Fürstentum Hessen die erste dem neuen Geist gewidmete Hochschule, Landgraf Philipps Universität zu Marburg, erstand. Ihr sei zu ihrem 400. Jubelfest diese Arbeit aus dankbarem Herzen dargebracht!“
(Es folgt dann der Nachweis bis zum Ende des 15. Jhrht. von cirka 500 Akademikern aus Fritzlar).
Hans Josef Heer
Wenn wir diese beiden Namen nennen, werden wir an die unselige Zeit des 30jährigen Krieges erinnert, unter dem Fritzlar auch viel zu leiden hatte. Schon im Oktober 1621 mußte Fritzlar die Schrecken des Krieges verspüren, denn da zog der Herzog Christian von Braunschweig mit seinen plündernden Truppen durch unsere Stadt.
Doch die eigentliche Leidenszeit begann für Fritzlar 10 Jahre später. Am 9. September 1631 erschien der Landgraf Wilhelm von Hessen mit 3600 Fußsoldaten und 1000 Reitern in aller Früh vor dem Werkeltore. Da der Torwächter schlief, konnten die Hessen unbemerkt das Tor sprengen und drangen nun in die Stadt ein. Was sich ihnen entgegenstellte, wurde niedergemacht. Es kamen bei dieser Gelegenheit 28 Personen um, Nun wurde eine zweistündige Plünderung über Fritzlar verhängt. Auch die beiden Stiftsdörfer Ungedanken und Rothhelmshausen wurden ausgeplündert. Dann ritt der Landgraf mit gezogenem Schwert durch die Stadt und machte der Plünderung ein Ende. Fritzlar mußte aber monatlich 600 Taler Contribution bezahlen; alle Waffen, darunter eine Kanone, der große Hund genannt, die auf eine Entfernung von zwei Stunden getroffen haben soll, die Kriegsvorräte aus dem Zeughaus und die Archive fielen in die Hände der Feinde. Außerdem mußte die Stadt 2 Komp. hessischer Soldaten unterhalten,
Diesmal dauerte die Besatzung nicht lange, denn es rückte Tilly mit seinem Heere heran und kam am 10. Oktober 1632 in Fritzlar an. Aber schon am 12. Oktober zog er wieder weiter, und die Hessen besetzten die Stadt aufs neue.
Im Jahre 1640 kam das kaiserliche Heer, geführt vom Bruder des Kaisers, Erzherzog Leopold Wilhelm und dem Fürsten Piccolomini und besetzte die Stadt am 14. August. Das Hauptquartier befand sich damals im Gasthaus Lindenhof, dem jetzigen Julius Seibel'schen Wohnhaus am Markt.
Am 20. August rückte das schwedische Heer unter General Banner zwischen Züschen und Dorla heran, um die Kaiserlichen aus Fritzlar zu vertreiben. Nun verschanzten sich die Kaiserlichen am Mühlengraben oberhalb der Spitalsbrücke über Galbergerwarte, Eckerich, Hellenwarte, Kasseler- und Möllricherwarte, auch zwei Brückenköpfe an der Eder wurden angelegt. Die Reiterei verteilte sich in den Gärten um die Stadtmauer, während die Artillerie und das Fußvolk hinter den Schanzen lag. Die Bayern hatten ihre Kanonen nördlich der Hellenwarte aufgestellt. In der Nähe der Kasselerwarte stand das Feldherrnzelt des Fürsten Piccolomini. Zunächst wurde ein schwedisches Regiment durch kaiserliche Kürassiere am Hohenberge fast vollständig aufgerieben. Dann wurden sieben schwedische Schwadronen, die einen Durchbruch versuchten, bei Dorla zersprengt. Nun verschanzte sich General Bannert bei Wildungen. Die beiden Heere lagen jetzt nahe beieinander, und eine große Schlacht schien unvermeidlich.
Die Schweden versuchten, die am Mühlengraben unterhalb des Amberges gelegene Stiftsmühle zu zerstören, aber sie wurden mit Kanonen, die auf Schanzen in der Nähe des Domes standen, beschossen und in ihr Lager zurückgetrieben. Fürst Piccolomini erhielt trotz des Auflauerns der Schweden noch 4000 Reiter Verstärkung und fühlte sich stark genug, den Schweden acht Tage lang die Schlacht anzubieten. Als sie aber nicht angenommen wurde, zog er nach Beschießung des schwedischen Lagers über Wolfhagen und Warburg nach Höxter, Banner aber nach Münden. Nach Abzug der kaiserlichen Truppen wurde Fritzlar wieder von den Hessen besetzt. So wechselten Freund und Feind noch mehrmals ab, bis endlich im Jahre 1648 der Friede zustande kam. Fritzlar kam wieder an Mainz zurück. Von 700 Bürgern waren nach dem Kriege noch 400 übrig.
Deutsche Kaiser und Könige in Fritzlar
Der Besuch gekrönter Häupter war ein Beweis für die bedeutende Stellung unserer Stadt.
Das alte Urkundenarchiv von Fritzlar, unter dessen Bestand sich sicherlich auch mehrere Kaiserurkunden befanden, wie etwa die bedeutende Schenkung Karl des Großen an die Fritzlarer Kirche 782, sind durch die zwei großen Stadt- und Kirchenzerstörungen, 1079 durch die Sachsen und besonders 1232 durch Landgraf Konrad, vernichtet worden. Deshalb sind wir für die frühe Geschichtszeit auf Forschungsfunde anderer Archive angewiesen, mit dem Erfolg, daß man 1909 erst 13 Kaiseraufenthalte in Fritzlar nachweisen konnte, die sich aber bis heute schon auf 23 erhöht haben. Der Ausbau der königlichen Anlage in Fritzlar zur Pfalz erfolgte wahrscheinlich schon unter Karl dem Großen im Zusammenhang mit den Sachsenkriegen, denn das Vorhandensein einer Pfalz wird uns mehrmals quellenmäßig belegt.
Warum es im alten Deutschen Reich mal Könige und mal Kaiser gab, hat folgende Bewandtnis: die deutschen Könige wurden von den Fürsten, seit dem 13. Jahrhundert ausschließlich von den sieben Kurfürsten gewählt, aber nur in Rom von den Päpsten zum Römischen Kaiser gekrönt; es sind daher nicht alle Könige zu Kaisern gekrönt worden.Mit Maximilian 1. (1493 -1519) hörte die Krönung in Rom auf, der Gewählte nannte sich nun gleich mit der deutschen Wahl Römischer Kaiser.
Die Reichsinsignien, die Hoheitsabzeichen der deutschen Könige und Kaiser im alten Reich, bestanden in den Hauptteilen aus Krone, Zepter, Reichsapfel (Weltkugel mit Kreuz, ursprünglich Sinnbild der christlichen Weltherrschaft des Kaisers), sowie Schwert, Schild und heilige Lanze mit den dazugehörigen Kaiserornaten. Diese Isignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation befinden sich wohl noch heute in der Schatzkammer des ehemaligen „Allerhöchsten Kaiserhauses“ in Wien.
In der Hoffnung, daß auch unsere Stadt Fritzlar mit seinem historischen Rathaus aus dem 11. Jahrhundert, ähnlich wie die Städte Aachen, Frankfurt oder Goslar, sich dazu entschließt, diese deutschen Kaiser und Könige in Bild und Belegen zur Dauerausstellung zu bringen, um damit den Einheimischen wie den Besuchern die geschichtliche Bedeutung unserer Stadt ins Bewußtsein zu rufen.
H.J. HEER
DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
König Konrad 1. König von 911 bis 918
Die Hauptträger der karolingischen Politik in Hessen des 9. und 10. Jahrhunderts waren die Konradiner, die als karolingische Grafen nicht nur die üblichen Reichsrechte wahrnahmen, sondern auch in Fritzlar einen eigenen Verwaltungsmittelpunkt errichteten, der schon am Ende des 8. Jahrhunderts die Anfänge einer konradinischen Residenz erkennen läßt.
Damit war Fritzlar der bedeutendste Ort weit und breit geworden, wo das hessisch-konradinische Grafengeschlecht eine Villa besaß. Im Jahre 911 wurde der hessische Konradiner, Graf Konrad der Jüngere in Forchheim bei Bamberg zum deutschen König gewählt.
Vor der Königswahl trug er den Titel „Konrad, Herzog von Ostfranken, Hessen, Wetterau und Fritzlar, Fürst von Thüringen. So wurde die konradinische Villa in Fritzlar Königsvilla, königliches Kammergut, Königspfalz. Dies wird später ausdrücklich bezeugt.
Königspfalzen hatten in der Regel Pfalzkapellen, die dem hl. Johannes dem Täufer geweiht waren. Die alte Johanneskirche, die ehemals am Domplatz stand, ist wahrscheinlich als die alte Pfalzkapelle anzusehen, die uns zugleich den Platz der alten Kaiserpfalz in Fritzlar andeutet. Sie stand in der Nähe des heutigen Domes, westlich gegenüber dem Rathaus an der Nordostseite des Domplatzes.
Die Herrschaft Konrads I. sollte nur von kurzer Dauer sein. Nachdem er den mächtigen Sachsen-Herzog Heinrich zur Anerkennung seiner Königswürdegezwungen hatte, kämpfte er gegen die raubsüchtigen Feinde Deutschlands, die Ungarn, empfing aber in diesem Kriege eine schwere Wunde, an welcher er krank danieder lag. Als er nun die Nähe des Todes fühlte, berief er seinen Bruder Eberhard, der weder den Ruf der Tapferkeit, noch die Liebe und Zuneigung seines Volkes besaß, und redete ihm zu, der Regierung zu entsagen, die Reichskleinodien dem Herzog Heinrich von Sachsen zu überbringen und dessen Wahl zum König auf alle Weise zu fördern. Zu dem Ende sagte er zu Eberhard u. a.: „Täusche dich nicht, mein Bruder, über Dinge, von denen ich dir bisher, um dich nicht zu betrüben, noch nichts sagen mochte. Das Volk wünscht dich nicht zum König zu haben. Zwar kann unser Haus Heere ins Feld stellen; wir haben Städte und Waffen und sind im Besitze der Zeichen des Reiches, sowie alles dessen, was die königliche Würde verlangt. Nur das fehlt uns: Glück und persönliches Ansehen.“
So starb König Konrad I. nach nur achtjähriger Herrschaft am 23. Dezember 918. Der Tod dieses konradinischen Königs ist mit einer Handlung verknüpft, die seit jeher in der deutschen Geschichte als einzi-gartig gegolten hat, nämlich die Übergabe der Krone an seinen mächtigsten Gegner, Herzog Heinrich von Sachsen.
H.J.HEER
DEUTSCHE KAISER UND KöNIGE IN FRITZLAR
HEINRICH 1. König von 919 bis 936
Das historisch bedeutendste Ereignis in der 1250jährigen Geschichte Fritzlars ist zweifellos die Erhebung Heinrichs 1. zum König im Mai 919 durch die dort versammelten Franken und Sachsen. „Von da an“, bemerkte Otto von Freising, der größte Geschichtsdenker des deutschen Mittelalters, schon vor mehr als 800 Jahren in seiner Chronik „von da an rechnen manche dem Reich der Franken das der Deutschen“.
Hier in Fritzlar am Domplatz vor der Kaiserpfalz haben wir uns die weltgeschichtlichen Stätte zu denken, an der die Wahl des Sachsenherzogs Heinrich zum deutschen König erfolgte. Der sterbende König Konrad hatte nämlich hochsinnig nicht an sein Haus, sondern an das Reich gedacht und darum seinen Bruder Eberhard und die Großen, die das Lager umstanden, aufgefordert, um Spaltungen zu vermeiden, Herzog Heinrich von Sachsen, „den würdigsten und mächtigsten Fürsten", zum König zu wählen. Nach seinem Tode erfüllte Eberhard alsbald seines Bruders letzten Willen. Mit der Krone und den anderen Zeichen der königlichen Würde begab er sich zu Herzog Heinrich. Er traf ihn der Sage nach in Quedlinburg am Vogelherde, erzählte dem Staunenden seines Bruders Auftrag, fiel ihm zu Füßen und bot ihm Krone und Zepter an. Als Heinrich einwilligte, berief Eberhard mit Zustimmung der fränkischen und sächsischen Großen eine Reichsversammlung nach Fritzlar im Mai 919.
Dort lenkte er die Wahl auf Herzog Heinrich, welcher auch wirklich von den Sachsen und Franken zum König erwählt, und nachdem er die Würde angenommen hatte, als solcher ausgerufen wurde. Doch lehnte der neue König die ihm von dem Mainzer Erzbischof Heringer angebotene Krönung und Salbung mit der Äußerung ab: „Es genügt mir daran, höher zu stehen als meine Vorfahren und durch Gottes Gnade und euer Vertrauen König zu heißen; Salbung und Diadem mögen Würdigere empfangen.“
Herzog Eberhard, dem der Verzicht auf die Krone gewiß nicht leichtgefallen ist, und König Heinrich haben sich ebenso respektiert, wie das umgekehrt vorher König Konrad mit Herzog Heinrich getan hatte. Auch der neue deutsche König Heinrich I. hat zweifellos das ihm gebrachte Opfer in aller Form anerkannt und den fränkisch-hessischen Raum soweit wie möglich geschont und der Herrschaft Eberhards überlassen.
Diese einmalige Tat hatte überjahrhundertelang. deutsche Dichter u. Denker bewegt. So schrieb 1840 der Romantiker Joh. Nepomuk Vogl das bekannte Gedicht: Herr Heinrich sitzt am Vogelherd recht froh und wohlgemut; aus tausend Perlen blinkt und blitzt der Morgenröte Glut“. 1910 erschien das Schauspiel von Ernst von Wildenbruch „Der Deutsche König“, und 1925 die „Sonnenwende“ von Heinrich Winter, die alle das einmalige Thema beinhalten.
H.J.HEER
DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
Kaiser Otto 1. - genannt der Große - von 936 bis 973
Nachdem König Heinrich I. am 2. Juli 936 in der Pfalz zu Memleben die Augen schloß, übernahm sein Sohn Kaiser Otto I., genannt der Große, die Regierungsgewalt.
Er war der größte Herrscher des sächsischem Hauses, der sich mit der Macht des Königtums gegen die der Stammesherzogtümer durchgesetzt hatte. Durch die Unterwerfung Oberitaliens 951 und durch seine Kaiserkrönung in Rom 962 schuf er die weltgeschichtliche Verbindung Deutschlands mit Italien. Er war der Gründer des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
In Fritzlar weilte Kaiser Otto 1. am 18. Januar 943. Bei ihm sind Erzbischof Friedrich von Mainz, Herzog Hermann und sein Bruder, der hl. Bruno, Erzbischof von Köln. Im Mai 953 hält er in der Kaiserpfalz zu Fritzlar einen Reichs- und Gerichtstag zum Abschlug eines in Dortmund gegen fürstliche Empörer eingeleiteten Verfahrens. Anwesend waren Herzog Heinrich, Erzbischof Friedrich von Mainz, Graf Dadi und Wilhelm. Konrad von Lothringen wird abgesetzt, die Grafen Dadi und Wilhelm gebannt, Herzog Heinrich zur Verwahrung übergeben. Auch Liudolf, der letzte hessische Graf, verliert auf diesem Reichstag Herzogtum und Lehen.
Vom 12. bis 16. Januar 958 finden wir Kaiser Otto I. abermals in Fritzlar. Auf die Fürsprache seines Bruders, des hl. Bruno von Köln, machte er eine Schenkung an das Kloster Meschede und an die Kirche zu Chur. Letztmals halten sich Kaiser Otto I. und sein Sohn Wilhelm, seit 954 Erzbischof von Mainz, für Jahre 959 in der Kaiserpfalz zu Fritzlar auf.
Vom 12. bis 16. Januar 958 finden wir Kaiser Otto I. abermals in Fritzlar. Auf die Fürsprache seines Bruders, des hl. Bruno von Köln, machte er eine Schenkung an das Kloster Meschede und an die Kirche zu Chur. Letztmals halten sich Kaiser Otto I. und sein Sohn Wilhelm, seit 954 Erzbischof von Mainz, für Jahre 959 in der Kaiserpfalz zu Fritzlar auf.
Dieser Kaiserbesuch hatte wohl für Hessen und Fritzlar eine Bedeutung von großer Tragweite. Er dürfte für Fritzlar ein Markstein in seiner Geschichte gewesen sein. Erzbischof Wilhelm war der Lieblingssohn des Kaiser Otto I., der ihm wiederholt Beweise seiner kaiserlichen Huld gab. Er hatte ihm das Reichs-Erzkanzleramt übertragen, das nunmehr mit dem erzbischöflichen Stuhle in Mainz verbunden blieb. Ergab ihm die weltliche Herrschaft über das Erfurter Land und auch, nachdem der letzte hessische Graf 953 abgesetzt war, die Grafschaft Hessen, die nun Mainz zunächst durch Wernerische und dann durch Gisonische Grafen verwalten ließ. Der Besuch Kaiser Otto I. und des Mainzer Erzbischofs Wilhelm in Fritzlar vom Jahre 959 sollte also wohl diesen wichtigen geschichtlichen Akt besiegeln.
Nun gehörte Fritzlar nicht bloß kirchlich, sondern auch staatlich zu Mainz und blieb mit den Dörfern Ungedanken und Rothhelmshausen, gleichwie die Ämter Naumburg, Neustadt und Amöneburg, bis zum Jalrre 1803 mainzisch, während die übrigen hessischen Gebiete mit der Zeit an das thüringisch-hessische Fürstengeschlecht fielen.
H.J.HEER
Auch Kaiser Otto 1. der Große war - wie sein Vater Kaiser Heinrich I. - in der Pfalz zu Memleben am 7. Mai 973 gestorben. Sein Grabmal befindet sich in dem von ihm gestifteten Dom zu Magdeburg.
Sein Sohn, Kaiser Otto II. übernahm 973 die Regentschaft. Er war von gelehrter Bildung, ging über die politischen Bestrebungen des Vaters hinaus, indem er die auf eine vollkommene Beherrschung des Mittelmeers zielende Politik der römischen Imperatoren und ihre Nachfolger wieder aufgriff. Italien sollte als zentrale Macht Südeuropas gleichberechtigt neben Deutschland treten. 961 zum König gewählt, 967 als Mitkaiser gekrönt, 972 mit der griechischen Prinzessin Theophano vermählt, hat er meistens in Italien gelebt.
Kaiser Otto II. ist wahrscheinlich urkundlich nur einmal in Fritzlar gewesen, und zwar wenige Tage nach der feierlichen Bestattung seines Vaters in Magdeburg, wo er von dort am 6. Juni 973 mit seinem Hofstaat aufbrach. In seiner Begleitung befand sich seine Mutter, die Kaiserin Adelheid, eine geborene Prinzessin von Burgund, und für unser Fritzlar von Bedeutung, ein arabischer Gesandter, von dem uns eine Schilderung über unsere Stadt vor 1000 Jahren überliefert wurde. Der Aufenthalt des Kaisers war nur kurz, die Reiseroute ging über die Pfalzen Werla, Grone und Fritzlar zu dem nach Worrns einberufenen Reichstag. Die in der Kanzlei des Kaisers zur Beurkundung in Fritzlar vorgenommene Schenkung wurde daher erst nach der Ankunft in Worms am 16. Juni vorgenommen.
Der Gesandte, Araber Ibrahim ibn Achmed at-Tartuschi, war im Auftrage des Kalifen Hakam II. im mohammedanischen Spanien nach Deutschland an den Hof Ottos I. und Ottos II. 973 gekommen. Welcher Art seine Mission war, wissen wir nicht genau. Es wird nur berichtet, daß er eine Menge kostbarer Geschenke für Kaiser Otto überbrachte und dieser ihm seinerseits Geschenke an seinen Herrn, den Kalifen, mitgab.
Tartuschi bereiste in Deutschland eine Reihe von Städten, von denen in den vorhandenen Textfragmenten noch folgende Namen erhalten sind: Schleschwiq (Schleswig), Itraht (Utrecht), Madifurg (Magdeburg), Schuschit (Soest), Magandscha (Mainz) und „Ifridislar", eine Arabisierung des Namens Fritzlar.
Hören wir nun, was er von seinem Besuch in Fritzlar zu berichten weiß:
„Ifridislar“, so beginnt Tartuschi, „ist eine feste Stadt in „Ifrandscha“ (Frankreich), deren Häuser aus Steinen erbaut sind. Sie wurde vor mehr als zwei Jahrhunder- ten von einem großen christlichen Märtyrer (Bonifatius 724) gegründet. In der Stadt befindet sich auch eine Kirche, die aus großen Steinblöcken errichtet ist und ein Kloster mit Mönchen. Ifridislar ist berühmt in den Frankenlande, weil hier die Infrandschin (Franken) und die Schäschin (Sachsen) vor einem halben Jahrhundert ihren ersten König gewählt haben“. (Heinrich I. 919)
Über die Bevölkerung und ihr Leben heißt es:
„Die Bewohner der Stadt sind alle Christen und verehren den Messias - Friede sei mit ihm! Sie gewinnen ihren Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft, Handel und Handwerk. Sie sind fleißig und ehrlich, fromm und gläubig und besuchen oft in großer Zahl die erwähnte Kirche, um dort ihren Gott zu verehren.“
Er fährt dann in seinem Bericht fort:
„Die Leute wohnen dort in Häusern, deren Form verschieden von der unseren ist. Die Dächer sind spitz und nicht flach wie im Orient. Die Fensteröffnungen befinden sich an der Außenseite, so daß jeder ins Innere blicken kann, im Gegensatz zu unseren Häusern, deren Fenster an der Innenseite liegen. Die Umgebung von Ifridislar ist sehr fruchtbares Land. Ich sah dort Bäume, die Äpfel, Birnen und Pfirsiche trugen.“
Auch beschreibt er noch in sehr eigenartiger Weise das Klima und die Sauberkeit der Einwohner von Fritzlar.
H.J.HEER
Sein Sohn, Kaiser Otto III., als Nachfolger war ein hochstrebender Jüngling von feiner und reicher Bildung, aber phantastisch, unpolitisch und unerfahren. Er nahm Rom zur Residenz und wollte von hier aus in Gemeinschaft mit dem Papst die Christenheit nach den Ideen des Gottesstaats regieren. Bis 994 unter der Vormundschaft seiner Mutter, der Kaiserin Theophano, und nach deren Tod dann seiner Großmutter, der Kaiserin Adelheid. Auf dem 1. Römerfeldzug machte er seinen Vetter Bruno zum Papst (Gregor V.), der ihn 996 im Alter von 16 Jahren zum Kaiser krönte.
Zu einem Aufenthalt Otto III., des vierten in der Reihe der Herrscher aus ottonischem Hause, kam es in Fritzlar nicht mehr. Doch wissen wir aus den Viten der beiden Hildesheimer Bischöfe Bernward und Godehard von dem Plan eines Hoftages, zu dem Otto III. die Fürsten für den Fall seiner Rückkehr aus Italien auf den 31. Mai 1002, den Sonntag nach Pfingsten, geladen hatte. Auf einen Fürstentag zu Frankfurt im August 1001 einigten sich Erzbischof Willigis von Mainz und Thangmar, der Vertreter Bischof Berwards von Hildesheim, den Gandersheimer Streit bis zu ihrem Erscheinen am 31. Mai 1002 vor dem Kaiser in Fritzlar ruhen zu lassen. Dieser Hoftag wurde am 27. Dez. 1001 auf der Synode zu Todi (in der italienischen Provinz Perugia) vor Kaiser und Papst gehaltene Rede für nach „Fridislare ad palatium“" (Kaiserplatz) festgelegt.
Jedoch der Tod Kaiser Ottos III. am 24. Jan. 1002 in der Burg Paterno in Sizilien macht den Hoftag in Fritzlar gegenstandslos. Es war das Ende eines jugendlichen Phantasten von 22 Jahren. Sein Grabmal befindet sich im Dom zu Aachen.
H.J.HEER
DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
Kaiser Heinrich II. der Heilige von 1002 – 1024
Mit Recht kann die Wissenschaft in der Geschichtsschreibung nur solche Forschungen anerkennen, die urkundlich belegbar sind. Leider sind über Besuche Kaiser Heinrich II. in Fritzlar noch keine urkundlichen Belege gefunden worden, trotzdem sprechen überzeugende Überlieferungen und besonders das kostbare Fritzlarer Kaiserkreuz im Domschatz für den Besuch dieses Kaisers. Für die Fritzlarer Geschichtsforschung über diese frühe Zeit, haben sich die großen Urkundenverluste bei den Zerstörungen 1079 und 1232 als besonders bedauerlich erwiesen. Andererseits muß man bei den urkundlichen Erwähnungen bedenken, daß sie über die Häufigkeit von Kaiserbesuchen in der Fritzlarer Pfalz nur eine sehr beschränkte Aussage machen können, denn selbstverständlich haben die Herrscher nicht jedesmal an jedem Ort, wo sie sich aufhielten, geurkundet.
Die Erwähnung einer Fritzlarer Generalsynode in der „Vita Haimeradi“ wird wissenschaftlich durchaus für möglich gehalten. Nach der Überlieferung soll sie 1020 in Fritzlar unter dem Vorsitz des Erzbischofs Erkenbald stattgefunden haben, auf dessen Konzil Kaiser Heinrich II. der Kirche zu Fritzlar das kostbare Vortragekreuz schenkte.nnen, denn selbstverständlich haben die Herrscher nicht jedesmal an jedem Ort, wo sie sich aufhielten, geurkundet.
Das romanische Vortragekreuz von etwa 48 Zentimeter Höhe und 29 Zentimeter Breite ist von der Kunstwissenschaft in das erste Drittel des II. Jahrhunderts datiert. Die Vorderseite ist mit 346 Edelsteinen in Goldfilet gefaßt, die alle das Mittelstück, einen großen, ovalen, durchsichtigen Bergkristall mit einem Kreuzpartikel vom „Kreuze Christi“ umrahmen. Sie setzen sich wie folgt zusammen:
7 Achate, 22 Almadin Granate, 46 Amethyste, 31 26 Chalcedone, 3 gebrannte Chalcedone, 16 Chrysopase, 3 Granate, 1 Labrador, 2 Nicolei, 1 Obsidian, 1 Onyx, 1 Plasma, 6 Saphire, 4 Wasser-Saphire, 1 Lux-Saphir, 1 Topas und 142 Perlen. 17 der Steine sind als griechische, römische und gallische Gemmen hervorzuheben. Wahrlich ein kaiserliches Geschenk.
Dieses kostbare Kreuz schmückte bei festlichen Gelegenheiten den Altar der Krypta, der dem hl. Kreuz geweiht war. Landgraf Ludwig III. (1172 - 1182) berichtet uns in einer Urkunde, daß dieses Kreuz in der Fritzlarer Krypta ihn und seine Gemahlin zu Tränen gerührt und ihn bestimmt habe, für diesen Altar eine Stiftung zu machen. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß Landgraf Ludwig III. eine solche Stiftung vorgenommen hätte, wenn ihm nicht bekannt gewesen wäre, daß dieses Kreuz eine Schenkung des 1146 heiliggesprochenen Kaiser Heinrich II. war.
Als weiterer Beweis, das Kaiser Heinrich II. in Fritzlar gewesen sein kann, muß die Tatsache gewertet werden, daß er fünf Mal das Kloster Kaufungen besuchte, eine Stiftung seiner Gattin Kunigunde, das letzte Mal am 22. Mai 1020, da es ja nicht weit von Fritzlar liegt.
Kaiser Heinrich II., der letzte der Sächsischen Herrscher, starb am 13. Juli 1024 ohne Leibeserben, sein Grabmal befindet sich im Dom zu Bamberg.
H.J.HEER
Kaiser Konrad II., der erste Salier auf dem deutschen Thron, war ein kraftvoller Herrscher. Er brachte Bayern, Schwaben und Kärnten an sein Stammhaus, sowie 1031 beide Lausitzen und 1034 Burgund an das Reich.
1027 wurde er zum Kaisergekrönt und war mit der Tochter Gisela des Herzogs Hermann II. von Schwaben vermählt.
Zum ersten Mal weilte Kaiser Konrad II. am 15. Juni 1028 in der Pfalz zu Fritzlar. Damals trat der kaiserliche Kapellan Hageno einige Güterstücke an Erzbischof Aribo von Mainz ab.
Es ist wahrscheinlich, daß der Kaiser bei seinem Reisezug von Aachen über Dortmund und Paderborn nach Magdeburg im Juni 1028 den Weg über Fritzlar einschlug.
Am 18. Januar 1032 weilte Kaiser Konrad II. auf seiner Fahrt von Paderborn nach Straßburg ebenfalls in der Pfalz zu Fritzlar. Im Gefolge des Kaisers befanden sich seine Gemahlin Kaiserin Gisela, sein Sohn, König Heinrich III. sowie die Bischöfe Meinwerk von Paderborn und Egilbert von Freising. Bei dieser Gelegenheit wurde in Fritzlar ein Diplom für das Bistum Paderborn ausgestellt.
Kaiser Konrad IIL verstarb am 4. Juni 1039 in Utrecht, er wurde in dem von ihm gestifteten Dom zu Speyer beigesetzt.
H.J.HEER
DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
Kaiser Heinrich III. von 1039 bis 1056
Kaiser Heinrich III., Sohn Konrads II., war einer der bedeutendsten und von höchsten Idealen getragener Herrscher. Unter seiner Herrschaftsführung hatte das Deutsche Reich seine größte Ausdehnung erhalten. Er brachte Ungarn in seine Abhängigkeit und schob die Grenzen des Reiches bis zur Leitha vor.
Er beseitigte 1046 das Schisma (die Kirchenspaltung; durch die Synoden von Sutri und Rom und brachte 4 deutsche Bischöfe auf den päpstlichen Thron (Klemens II., Damasus II., Leo IX. und Viktor II.). 1027 war er Herzog von Bayern, 1028 wurde er zum König und 1046 zum Kaiser gekrönt. Seine erste Gemahlin war Gunhild, Tochter Knuts des Großen, dänischer König, zugleich König von England und Norwegen, seine zweite Gemahlin Agnes von Poitou.
Heinrich III. war erstmalig als junger König mit seinen kaiserlichen Eltern am 18. Januar 1032 in der Pfalz in Fritzlar. Im Laufe seiner mehr als 17jähri-gen Regierungszeit ist Kaiser Heinrich III. noch dreimal in Fritzlar nachzuweisen: im Juli 1040, als sich der Hof auf dem Wege von der Pfalz Trebur nach Goslar befand.
Bei diesem Besuch in Fritzlar wurde in Anwesenheit des Königs, der Bischöfe von Speyer, Paderborn und Como sowie vier genannter Grafen ein Streit geschlichtet wegen der strittigen Zehnten zwischen Erzbischof Bardo von Mainz und der Äbtissin Hildegard über das von der hl. Kaiserin Kunigunde gegründete Frauenkloster Kaufungen bei Kassel.
Vertreten wurde das Kloster durch den Bischof Theoderich von Metz, dem Bruder der hl. Kaiserin Kunigunde. Der sogenannte Hessenzehnte des Klosters Kaufungen wird als zu Recht bestehend anerkannt, und zur Ablösung desselben werden einige Kaufunger Güter an Mainz abgetreten, und zwar Holzheim, Udenborn, Dorla, Nassenerfurth und das Gut Gensungen. Am 7. Dezember 1046 schenkt Kaiser Heinrich III. in Fritzlar auf Fürsprache seiner Gemahlin dem Erzbischof Balduin in Salzburg ein Gut Liutoldesdorf. Am 2. August 1047 macht Kaiser Heinrich III. in Fritzlar dem hessischen Frauenkloster Hilmarshausen an der Weser unter der Abtissin Swanehild seinen Grundbesitz in der benachbarten Villa Scheden zum Geschenk.
Kaiser Heinrich III. starb am 5. Oktober 1056 in der Pfalz zu Bodfeld im Harz, sein Grabmal befindet sich im Kaiserdom zu Speyer.
H.J.HEER
Heinrichs III. Sohn war Kaiser Heinrich IV., der von allen deutschen Herrschern sich am häufigsten in Fritzlar aufgehalten hat. Deutscher König seit 1056, römischer Kaiser seit 1084.
Erstmals treffen wir den noch nicht sechzehnjährigen jungen König in Fritzlar Mitte Mai 1066. Da wurde er schwer krank. Die Ärzte gaben ihn auf, die Fürsten berieten bereits über die Reichsnachfolge. Am Krankenlager weilten der Landesherr von Fritzlar, Erzbischof Siegfried 1. von Mainz, sein Weihbischof, der Propst von Fritzlar, und Graf Ekbert. Die jugendlich kräftige Natur Heinrichs siegte über seine schwere Krankheit. Geheilt verließ er Fritzlar, um in Tribur Hochzeit mit Bertha von Turin (Savoyen). zu feiern.
Acht Jahre später, am 22. März 1074, erschien Heinrich IV. abermals in Fritzlar, wo er dem Markgrafen Ernst auf seine Bitte innerhalb seiner Mark Ostreich 40 Hufen im Walde Raabs schenkte.
Der große Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum war entbrannt, der sogenannte Investiturstreit. Schon die Vorgänger Heinrichs IV. hatten selbständig und ohne Zutun der Kirche kirchliche Stellen, besonders Bischofs- und Abtssitze, besetzt. Solange sie dazu tüchtige Männer wählten, hatte Rom geschwiegen, umsomehr, da es ein gewisses Mitwirkungsrecht der Krone bei der Besetzung dieser Stellen deshalb anerkennen mußte, weil Bischöfe und Äbte damals vielfach zugleich Landesherren waren. Als aber Heinrich der IV. soweit ging, daß er eine Geld- und Günstlingswirtschaft einführte, konnte die Kirche nicht länger schweigen. Kaiser Heinrich IV., damals 24 Jahre alt, kümmerte sich nicht darum, besetzte nach wie vor die erledigten Bischofssitze und ließ sogar am 24. Januar 1076 auf der Synode von Worms den Papst für abgesetzt erklären. Der. Papst erwiderte mit dem Bann des Kaisers, der deshalb verhängnisvoll für diesen war, weil er damit nach damals geltendem Rechte seinen Thron verloren hatte. Durch diesen Bann wurde Kaiser Heinrich IV. in der Geschichte als Canossa-Kaiser bekannt.
Papst Gregor VII. suchte durch Friedensverhandlungen die heillose Spaltung zu beseitigen, und diese Friedensverhandlungen zwischen Papst und Kaiser einerseits und zwischen dem 1077 zum Gegenkönig gewählten Rudolf von Schwaben andererseits sollten zum Teil in Fritzlar stattfinden. Jetzt wurde noch mehr als bisher in Fritzlar die Weltgeschichte zur Ortsgeschichte. Papst Gregor VII. hatte einen Legaten nach Deutschland zwecks Friedensherstellung gesandt. Diese Versammlung wurde nach Fritzlar berufen und trat hier 1078 zusammen. Außer dem päpstlichen Legaten waren die sächsischen Großen und vertraute Ratgeber des Kaisers erschienen, an ihrer Spitze Erzbischof Udo von Trier, des Kaisers Wortführer und Unterhändler. Die sächsischen Großen, Feinde Kaiser Heinrich IV., waren sehr ungehalten darüber, daß kein Reichsfürst sich eingefunden hatte, so wurde nur eine vorläufige Einigung, ein Burgfriede, erzielt.
Heinrich IV. hegte noch immer die Hoffnung, sich selber ohne Vermittlung mit seinen Gegnern auf friedlichem Wege auseinandersetzen zu können. Und wirklich kam es in der Fastenzeit 1079 zu einer erneuten Friedensversammlung in Fritzlar. Abgesandte von beiden Parteien waren erschienen. Die Gesandten des Königs baten die Sachsen, sie möchten sich fügen und unterwerfen, der König würde dann alles vergessen und ihnen gewogen sein. Die Sachsen bestanden darauf, der König solle zuerst den Willen zum Frieden zeigen und dem Papst Gehorsam leisten. Als die Vertreter des Königs darauf erklärten, ihr Herr und auch sie kümmerten sich wenig um Frieden und Papst, löste sich die Versammlung wieder auf. (Danach entbrannte über Fritzlar ein schreckliches Geschehen, der Gegenkönig greift in die Geschichte ein.)
Der deutsche Gegenkönig Rudolf von Schwaben war 1080 gefallen und Papst Gregor VII. war 1085 gestorben. In demselben Jahre erschien Heinrich IV. wieder in Fritzlar, wo ihn sein Freund, Bischof Udo von Hildesheim, aufs neue seiner Treue und Unterwürfigkeit versicherte.
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts finden wir Heinrich IV. zum letzten Mal in unserer Stadt. Mit einer Heeresmacht war er anfangs Dezember 1104 vom Rhein gekommen, um sich am Grafen Dietrich von Sachsen zu rächen. In seiner Begleitung befand sich sein Sohn, der bereits 1098 zum König gewählte spätere Heinrich V. Hier in Fritzlar, wo Heinrich IV. vor 38 Jahren als Schwerkranker mit dem Tode gerungen, hier sollte das an Bitternissen so reiche Leben dieses unglücklichen Kaisers den Höhepunkt der Tragik ereichen. Hier in der Kaiserpfalz zu Fritzlar erfolgten die Flucht, der Abfall und die Empörung Heinrichs V. gegen seinen Vater.
Am 7. August 1106 starb Kaiser Heinrich I V. in Lüttich, sein Grabmal befindet sich im Kaiserdom zu Speyer.
H.J.HEER
Rudolf von Schwaben wurde zum deutschen Gegenkönig in Forchheim am 15. März 1077 gewählt, er hat nur drei Jahre regiert und starb nach seiner siegreichen Schlacht über Kaiser Heinrich IV. bei Hohenmölsen 1080, sein Grabmal mit kunstvoller Bronzeplatte befindet sich im Dom zu Merseburg.
Die gescheiterten Friedensverhandlungen und der Bann über Kaiser Heinrich IV. brachten den Gegenkönig Rudolf von Schwaben an die Regierungsmacht. Der Gegenkönig Rudolf von Schwaben hatte gegen Ende Januar 1079 eine ansehnliche Truppenmacht in Sachsen gegen den Kaiser zusammengezogen. Als die Fastensynode zu Fritzlar ergebnislos verlaufen war, brach der Sturm los. Rudolfs Heer suchte zunächst Westfalen, das mehr zu Heinrich neigte, schwer heim, dann zog es südwärts durch das Hessenland und erschien vor Fritzlar. Denn Heinrich war nach der Fastensynode selber nach Fritzlar gekommen. Der Chronist Gerstenberg erzählt: „Der Keyßer floch und enthilt sich zu Fritzlar. Da das der Herzog Rudolf vernahm, da tzoch er vor Fritzlar unde verbrannte die stad mit sente Bonifacius monster allerdinge, unde geschach auch große schade dem lande zu Heßen an fruchten. Da floch der Keyßer vorters an den Ryn.“
Das Frühjahr 1079 brachte also wahre Schreckenstage über Fritzlar. Kirche, Stift und Stadt wurden von Rudolf und dem sächsischen Heere den Flammen preisgegeben. Sie müssen damals fürchterlich hier gehaust haben, denn der Mainzer Erzbischof Wezilo, der sechs Jahre später das Trümmerfeld von Fritzlar besuchte, schrieb im Jahre 1085: „Als ich an den Ort kam, der Fritzlar heißt, fand ich das Münster von den Sachsen verbrannt, das Kloster völlig zerstört vor. Überall Trümmer und Leichen.“
Die Verwüstung in Fritzlar hielt den Gang der Verhandlungen nicht auf. Schon im Sommer des Jahres 1079 beriefen die päpstlichen Legaten zur dritten Friedensverhandlung in Fritzlar ein. Der Kaiser und der Gegenkönig waren geladen, dazu Welf sowie die sächsischen und schwäbischen Fürsten. Der Gegenkönig Rudolf und die sächsischen Fürsten erschienen, die anderen Geladenen, so hieß es, seien von Heinrich von der Tagung abgehalten worden.
Wohl aber war sein Vertreter zur Stelle, der Patriarch Heinrich von Aquileja. Dieser, sowohl wie auch die päpstlichen Legaten, Kardinalerzbischof Petrus und Bischof Udalrich, wurden von dem gleichfalls anwesenden geistlichen Landesfürsten Siegfried I. von Mainz festlich empfangen.
Der Gegenkönig Rudolf von Schwaben, der mit den sächsischen Fürsten zu Papst Gregor VII. hielt, sah den Zweck der Tagung darin, die Ursache der Zwistigkeiten sachlich und gerecht zu untersuchen und bestand darauf, Heinrich müsse nunmehr sichere Garantien geben, daß er sich den Festsetzungen des Fritzlarer Tages fügen werde. Man endigte die Tagung, als die Vertreter Heinrichs die befriedigende Erklärung abgaben, daß sie, wenn nötig, Heinrich zwingen würden, die aufgestellten Forderungen zu erfüllen.
H.J.HEER
DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
Kaiser Heinrich V. von 1106 bis 1125
Der letzte Salier war kühn und energisch, aber verschlagen - Realpolitiker. Deutscher König 1106 - 1111, römischer Kaiser 1111 - 1125, vermählt mit Mathilde, der Tochter Heinrichs I. von England, gestorben am 23. Mai 1125 in Utrecht, Grabmal im Kaiserdom zu Speyer. Heinrich V. war kinderlos und hatte seinen Neffen, den Staufer Friedrich II. von Schwaben, zum Nachfolger ersehen.
Heinrich V., Heinrich IV. Sohn! Ein weltgeschichtliches Drama mit Schuld und Sühne. Fritzlar sollte die Bühne dieses Dramas sein. Es war in der Nacht des 12. Dezember 1104, da verließ Heinrich V. heimlich mit seinem Freunde Hermann von Wingenburg und anderen Vertrauten die Kaiserpfalz in Fritzlar und begab sich nach Bayern in das Lager der Feinde seines Vaters, um mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.
Die Flucht und der Verrat seines Sohnes, das war wohl der größte Schmerz und die bitterste Enttäuschung im Leben Heinrichs IV. Tief erschüttert gab er am nächsten Tag sofort sein Unternehmen gegen die Sachsen auf. Schon sein erster Sohn Konrad hatte sich gegen ihn erhoben, die erste Ehe mit Berta war unglücklich gewesen, seine zweite Gemahling Praxedis hatte ihn verlassen, und nun erhob sich auch sein zweiter Sohn Heinrich gegen ihn. Das brach ihm das Herz. Am 7. August 1106 stand es zu Lüttich still. Ein unglückliches Leben hatte geendet.
14 Jahre später. Nach seiner Thronbesteigung zeigte Heinrich V. sich als Sohn seines Vaters. Innerlich der Kirche fremd, kümmerte er sich nicht um das Investiturverbot und vergab wie sein Vater Bistümer und Abteien. Wie sein Vater erschien er auch in Rom, ließ Papst und Kardinäle gefangen nehmen und zwang den Papst, ihm für die Besetzung von Bistümern und Abteien Zugeständnisse zu machen. Allein das Blatt wandte sich bald. 1115 war er von den Sachsen geschlagen worden, die seine Feinde geblieben waren, wie sie es seinem Vater gewesen. Vor Allerheiligen 1115 waren sie dann unter dem Vorsitze des Kardinals Dietrich in Fritzlar zusammengekommen, um selbständig ohne das Reichsoberhaupt über Reichsangelegenheiten zu beraten.
Für den 28. Juli 1118 hatte der päpstliche Legat Kuno von Präneste abermals eine Synode nach Fritzlar ausgeschrieben. Sie war glänzend besucht. U. a. waren zugegen: Erzbischof Adalbert von Mainz und Erzbischof Friedrich von Köln, ferner die Bischöfe Godebald von Utrecht und Bruno von Speyer, außerdem aus Sachsen vier Bischöfe: Dietrich von Münster, Gottschalk von Osnabrück, Arnold von Merseburg und Dietrich von Naumburg.
Die erste Handlung dieser glänzenden Versammlung war der Baunn über Kaiser Heinrich V., über den von ihm aufgestellten Gegenpapst und alle ihre Anhänger. In Fritzlar hatte er sich gegen seinen Vater vor 14 Jahren empört, in Fritzlar traf ihn auch der Bann. Geschichte und Gericht!
H.J.HEER
DEUTSCHE KAISER UND KÖNIGE IN FRITZLAR
König Konrad III. von 1138 bis 1152
Der erste Hohenstaufe als König 1138 auf deutschem Thron, Neffe Kaiser Heinrich V., war ein fröhlicher umgänglicher Mann und ein tüchtiger Territorialpolitiker. Als König vermehrte er die fränkischen Besitzungen der Familie im Nürnberger Gebiet durch die Ehe mit Gertrud von Sulzbach, kam 1149 vom zweiten Kreuzzug krank zurück und starb am 15. Februar 1152, sein Grabmal befindet sich im Dom zu Bamberg.
Die Menge der Reichs- und Kirchenversammlungen in Fritzlar, die unter den sächsischen Kaisern Heinrich IV. und Heinrich V. ihren Höhepunkt erreicht hatten, ebbten allmählich ab.
Ende August des Jahres 1145 traf König Konrad III., anläßlich der Weihe des Augustiner-Chorherrenstiftes Weißenstein bei Kassel mit Erzbischof Heinrich von Mainz in Fritzlar zusammen. Das Kloster Weißenstein war eine Gründung des Fritzlarer Kanonikers Bubo von Fritzlar, 1143 Magister beim Chorherrenstift.
Dann schließt die Reihe der Fritzlarer Tagungen mit drei großen Kirchenversammlungen. Eine Provinzialsynode hielt hier Erzbischof Siegfried III. von Mainz am 30. Mai 1243, in der der Bann über Kaiser Friedrich II. verhängt und Statuten über Ausspendung der Sakramente und die Kirchenzucht erlassen wurden.
Zwei weitere Synoden fanden in den Jahren 1246 und 1259 in Fritzlar statt, die sich mit kirchlichen Aufgaben befaßten.
11 Könige und Kaiser haben vom 10. bis 12. Jahrhundert die Geschicke des großen römischen Reiches deutscher Nation zum Teil bei 23 urkundlich nachweisbaren Aufenthalten in der Pfalz in Fritzlar gelenkt. Sicherlich sind die Herrscher noch weit öfter in Fritzlar gewesen, denn die Urkundenverluste aus der frühen deutschen Geschichte sind groß und nicht jeder Besuch wurde beurkundet.
Darum möchte ich die Herrscherbesuche mit dem Abschlußsatz aus dem Festvortrag „Königsstadt Fritzlar“ von Oberstaatsarchivrat Dr. K. E. Demandt aus Marburg beschließen, der da lautet: „Wenden wir den Blick noch einmal Abschied nehmend unserer aus dem Morgenlicht der deutschen Geschichte herüber grüßenden Königsstadt Fritzlar zu und schließen mit den Worten der Dichtung: `Erinnerung und Hoffnung: Was vergangen, kehrt nicht wieder, aber ging es leuchtend nieder, leuchtet's lange noch zurück.´"
H.J.HEER
„DER ROTE HALS“ - NORDEINGANG AM DOM ZU FRITZLAR
Ein Beitrag zur Klärung des seltsamen Namens
An der Nordwand des Fritzlarer Domes, gegenüber des Treppenaufganges zum Rathaus, befindet sich in Gestalt eines Windfanges ein wieterer Zugang zum Dominneren mit dem eigenartigen Namen „Der rote Hals“. Mit der Deutung dieses seltsamen Namens haben sich in den letzten hundert Jahren viele Forscher befaßt.
Die erste baugeschichtliche Beschreibung des Domes, von Heinrich von Dehn-Rotfelser, Kassel 1864, in Sonderdruck „Die Stiftskirche St. Petri zu Fritzlar“. Bei seiner Beschreibung der Nordwand des Seitenschiffes schreibt Dehn-Rotfelser auf Seite 19 folgendes:
„An der Stelle des fünften Fensters befindet sich jetzt eine im Rundbogen überwölbte, rechtwinklig eingeschnittene Tür, vor welcher ein Vorbau in Renaissance-Form angebaut ist, über dessen Eingang sich unter dem erzbischöflichen Wappen die Jahreszahl 1735 eingehauen findet.
Dieser Vorbau führt den sonderbaren Namen ,Der rothe Hals´. Er ist mit einem rippenlosen Kreuzgewölbe überdeckt und enthält eine Treppe, welche von dem sehr erhöhten äußeren Boden in die Kirche ´hinabführt“. 22 Zeilen weiter unten schreibt er:
„Ob westlich vom rothen Hals Lisenen und Bogenfries an der Seitenschiffmauer vorhanden waren, erscheint zweifelhaft, da zwischen dem rothen Hals und dem sechsten Fenster keine Spur von einer etwa abgearbeiteten Lisene zu finden ist und noch weniger am Anschluß der alten Seitenschiffmauer an den Thurm eine Spur sich zeigt. Wahrscheinlich rührt dieser Theil der Seitenschiffmauer aus der frühesten Zeit des Baues her, in welcher eine Ausstattung des Seitenschiffes mit Lisenen und Bogenfries noch nicht beabsichtigt war“.
C. Alhard von Drach schreibt in seinen „Bau- und Kunstdenkmäler im Reg. Bezirk Kassel, Band II Kreis Fritzlar, 1909“ folgendes: S. 56 - 57:
„Vor dieser Nordwand befindet sich heute noch 'der rote Hals' als Windfang für den darin befindlichen Eingang in die Kirche; es ist ein 1735 in antikisierenden Barockformen errichteter quadratischer Vorbau mit je einem Fenster auf beiden Seitenwänden und einem oben mit dem Stiftswappen und der Jahreszahl versehenen Portal auf der Nordseite.
Das Innere ist mit einem rippenlosen Kreuzgewölbe überdeckt, letzteres war bis zu der vorher erwähnten Veränderung der Nordwand des Seitenschiffs auch an dieser weitergeführt.
(An vielen Quaderstücken des heutigen Baues findet sich ein altes Steinmetzzeichen in Gestalt eines römischen A.)
Es erübrigt noch, den seltsamen Namen, der von einem früher hier befindlichen Anhängsel der Stiftskirche sich auf den neueren Bauteil übertragen hat, zu erklären. In der „Fabrikrechnung des Jahres 1548“ kommen Anstreicherarbeiten „am rothen halse“ vor, es werden verrechnet 7 1/2 alb. und 3 hlr., „wofür am rothen halse die thuer geschwartzt und das maurnwerg weis und roith angestrichen“. Ein Beweis für das Vorhandensein eines so genannten Baues schon zu jener Zeit; klar wird die Sache jedoch erst dadurch, daß in der „Fabrica de annis 1659/60“ zu lesen ist: „Im rothen hals St. Johannis haupt ahnzumachen dem steinmetz geben 42 Schillinge“. Es war also in dem alten Durchgang eine Skulptur oder Gemälde von dem Haupt Johannis des Täufers mit der blutig rot gemalten Schnittfläche des Halses als Schlußsteinverzierung oder an der Wand zu befestigen.
Christian Rauch, schreibt in seinen Kunstgeschichtlichen Führer „Fritzlar“, 1926, S. 34 folgendes:
„Der Vorbau vor dem Nebenschiff, der als Windfang dient, im Volksmunde der rote Hals genannt, hat klassizistische Barockformen und ist durch eine Inschrift über der Tür auf 1735 datiert. Seinen Namen soll dieser Bauteil von einem nicht mehr vorhandenen Bilde des blutigen Hauptes Johannes des Täufers bekommen haben, aber vielleicht gibt der Sprachgebrauch des Volkes, das einen Vorbau als Hals bezeichnet „Kellerhals“ und die vorwiegende Verwendung roten Sandsteins eine näherliegende Erklärung.“
Volker Katzmann schreibt 1974 in „Fritzlar, die alte Dom- und Kaiserstadt und ihre Kunstschätze“ auf Seite 10 folgendes:
„Der kleinere Zugangsbau vor dem Nordeingang, der ,Rote Hals´, hat klassizistische beruhigte Barockformen, er ist über der Tür 1735 datiert. Der Name dieses Vorbaus wird auf eine Darstellung vom blutenden Haupt des Täufers Johannes zurückgeführt, die sich früher hier befunden haben soll, vielleicht erinnert er auch daran, daß die Hingerichteten dereinst an dieser Stelle des alten Friedhofs begraben worden sind.“
Diese verschiedenen Deutungen waren bis heute eine mögliche Erklärung zu den Namen „Der rote Hals“, jedoch hat der Forschungsbericht von den archäologischen Ausgrabungen über die Pfalz auf der Nordseite des Paderborner Domes in den Jahren von 1964 bis 1970, ein ganz neues Licht zu diesem Thema geliefert. Prof. W. Winkelmann schreibt in seinem Bericht „Die Frühgeschichte im Paderborner Land“ (Die Pfalz Paderborn) in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Band 20, Paderborner Hochfläche - Paderborn - Büren - Salzkotten. Unveränderter Nachdruck 1975, S. 99 bis 121.
Bei den Ausgrabungsarbeiten sind die Fundamente von den Pfalzbauten sowie der alte Rechtsplatz mit einem Thronunterbau zu Tage getreten. Winkelmann schreibt in seinem Forschungsbericht auf Seite 105 - 6:
„Das Ganze stellt den steinernen Unterbau für einen Thronsitz dar, der hier in der mittleren Achse der alten Anlage in zentraler Lage vor der Mitte der Ostwand des Pfalzhofes errichtet war. In die Mauerschlitze konnten, wenn dieser Platz in Funktion war, hölzerne Pfosten eingestellt werden, die einen Baldachin Überbau trugen, wie ihn mittelalterliche Miniaturen wiederholt darstellen.
Mit diesem steinernen Monument erhält die Pfalz in dieser historischen Stätte ein Herrschaftszeichen besonderer Bedeutunn: denn hiermit ist das solium wiedergefunden, das zweimal auch im Text des Epos zu 799 erwähnt wird: „Rex pius interea sulium conscendit“ - und „Ipse sedet solio Karolus rex iustus in alto danns leges patriis, et regni foedera firmat“.
Der Thronunterbau ist heute durch eine schmale Treppe an der Ostseite des großen Treppenpodestes vor dem Nordportal (Rote Pforte) des Domes zugänglich.
Auf eine ungebrochene Tradition dieses alten Rechtsplatzes weist das 2,5 m höher direkt über dem karlischen solium im frühen 13. Jahrhundert errichtete Nordportal des Domes, die Rote Pforte, es ist noch im 14. und 15. Jahrhundert als Rechtsplatz bezeugt. Unter dem Namen Rote Pforte oder Rote Tür sind auch unter anderem an den Domen zu Frankfurt, Magdeburg und Erfurt alte Rechtsplätze überliefert.
(wird fortgesetzt)
Dieses Forschungsergebnis stellt auch für Fritzlar die berechtigte Frage, ob es sich bei dem „roten Hals“ am Nordausgang des Domes nicht ebenfalls um eine Gerichtspforte handelt. Prüft man in dieser Hinsicht die geschichtlichen Überlieferungen, so ergibt sich für das Gelände an der Nord- und Westseite am Fritzlarer Dom fast die gleiche rechtsgeschichtliche Situation wie in Paderborn.
C.B.N. Falckenheiner beschreibt uns 1841 in seinem Werk „Geschichte Fritzlar's“, Seite 426 - 28 im Zweitdruck 1925 folgendes:
„Die höchste Instanz bildete der Erzbischof, von welchem auch ,Gebot und Verbot´ ausging. Anfangs, als der Erzbischof regelmäßig seine Umreisen hielt, nahm er in eigener Person den, sonst dem Vicedom überlassenen Vorsitz in den Gerichtsversammlungen ein. Diese wurden überall an einem fest bestimmten Platz (mallum) gehalten, und hatten, als aus lauter Freien bestehend, auch nur über Freie zu richten; über Unfreie richtete der Vogt, als dessen Gerichtsplatz in Fritzlar schon 1109 das Vogteihaus (praetorium) genannt wird.
Das älteste mallum in Fritzlar lag da, wo wir es in den bei weitem meisten alten Orten finden, nämlich neben der Kirche. Es war hier der Friedhof (bei der Stiftskirche) dazu bestimmt worden und zu diesem Behufe, um den Richtern und der versammelten Menge Schutz gegen Regen, Schnee und Sonnenbrand zu gewähren, mit einem Bretterdach (testudo) überdeckt, nach den Seiten aber wahrscheinlich, wie alle ähnlichen Plätze, von bedeckten Gängen umgeben. Er hieß daher die Halle (atrium); auf ihm sprudelte ein Quell. Hier in der Halle sehen wir daher 1287 den Erzbischof Heinrich den Vorsitz einnehmen und den Vertrag mit Fritzlar wegen der Erbauung der Burg genehmigen.
Hier auf dem Kirchhofe tritt 1244 ein gemischtes Gericht aus Geistlichen und Rittern zusammen und entscheidet über eine Hufe Landes in Wabern; hier auf demselben ,Kirchhofe´, („acta sunt hec fritslar in Cimiterio Ecclesie Fritslariensis“) wird am 24. April 1315 der Verkauf Meiseburg'scher Güter in Lützelmaden an den Cantor Hermann von Grune durch die beiden Bürgermeister Stadt, deren Schöffen und den Notar (also die Gerichtsperson) beglaubigt. Hier, auf demselben Platze, sehen wir 1389 den Erzbischof Adolph von Mainz als Lehnsherren im Lehnsgericht dem Landgrafen Hermann die Lehen reichen. Selbst der den Hallen nie fehlende Quell oder Brunnen auf dem Fritzlar'schen Kirchhofe, welcher erst im vorigen Jahrhundert zugeworfen wurde, läßt sich urkundlich nachweisen. - Daß meine Ansicht von der Lage des alten Gerichtsplatzes und die hier gegebene Beschreibung desselben auf festem geschichtlichen Boden steht, und mehr als schwankende Muthmaßung ist, geht auch aus den unzweideutigen Worten einer ungr. Urk. d.d. 31. März 1463 hervor. Dort heißt es nämlich von dem kurz zuvor verstorbenen Fritzlarer Decan Johannes Kirchain:
„incendebat Remedium salutare quandam Capellam renouare et in eadem altare novum consttruere - ante foras ecclesie supradicte (S.Petri). ubi itur ad atrum Dictum Frithoff sub testudine Dicta sancte Elizabeth werg a parte dextra“ etc. - Von hier wurde der Gerichtsplatz erst nach 1400 (Denn noch 1440 Dienst. nach U.L.F. Tag assumpt. tritt auf dem Kirchhofe an der S. Peterskirche ein Compromißgericht zusammen, um über eingezogene Lehen in dem Dorfe Geismar zu entscheiden) auf den Marktplatz verlegt, (siehe meinen Aufsatz „Der Rolandsbrunnen, ein Rechtswahrzeichen aus Fritzlarer Vergangenheit“ Wochenspiegel vom 11.6.1971, 5. Jahrgang Nr. 24), und als endlich das öffentliche deutsche Recht wie allenthalben so auch in Fritzlar, von dem römischen nun ganz und gar verdrängt wurde, auf die engen Rathhausstuben mit ihren Acten-Reposituren beschränkt.
Wir sehen also, daß in Fritzlar fast dieselben Anlagebedingungen wie in Paderborn vorliegen, und der Name „roter Hals" als Gerichtspforte vom Dom zum Rechtsplatz hinweist. Von Entscheidung für das Alter der Deutung des Namens „roter Hals" sind zwei Dinge, erstens die Tatsache, daß die Mauerteile an der Stelle der Nordseite des Domes wo sich der rote Hals befindet zu den Ältesten am Bauwerk gehören und die Tatsache von dem Vorhandensein des alten Rechtsplatzes, der wahrscheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit als Thingstätte diente. Der seltsame Name „Roter Hals“ oder „Rote Pforte“ bezeichnet nichts anderes als den Zugang zum „rode land“ der alten niedersächsischen Bezeichnung der Blutgerichtsstätte. Eine archäologische Gesamtgrabung würde wohl Klärung des geschichtsträchtigen Gelände am heutigen Jestädt- und Domplatz ergeben, denn kleinere Grabungen erbrachten schon verschiedene Hinweise. So unter anderen von W. Stock, „Gesammelte Bemerkungen über die Lage der Konradinischen Burg zu Fritzlar“, mit drei Skizzen, ein handschriftlicher Aufsatz vom Jahre 1909, K. Becker, „Ausgrabungen im Dom in Fritzlar“, Zeitschrift die Denkmalpflege, 21. Jhrg. 1919, mit einer Geländezeichnung, sowie von F. Osswald, „Die bauliche Entwicklung des Fritzlarer Domes nach den Untersuchungen von 1969“, mit der Beilagekarte Nr. 3, in der Festschrift zur 1250-Jahrfeier „Fritzlar im Mittelalter“. Die letzte Grabung ergab ebenfalls Hinweise vom ältesten Steinbau am roten Hals, wo auch die bis jetzt älteste Fritzlarer Münze aus der Zeit König Otto 1. 936-62 am 4.6.1970 gefunden wurde.
Es wäre somit denkbar, bei der großen geschichtlichen Vergangenheit Fritzlars, daß auf diesem alten Rechtsplatz, 919 die Wahl König Heinrich 1. durch die versammelten Franken und Sachsen stattgefunden hat, aber auch die Reichsversammlungen wo hier 1118 über Kaiser Heinrich V. und 1243 über Kaiser Friedrich II. der Bann verhängt wurde, wo 11 deutsche Könige und Kaiser tagten und zahlreiche Kirchensynoden ihre Tagungen hatten. An der Grenze zwischen dem fränkischen und sächsischen Reich, war Fritzlar mit seiner Pfalz und seiner alten Rechtsstätte, wo sich 23 König- und Kaiserbesuche 300 Jahre lang nachweisen lassen, ein Ort großer deutscher Vergangenheit.
Fritzlar, den 28. Jan. 1976 Hans Josef Heer
Der „Graue Turm“ zu Fritzlar war nicht nur der größte unter den 19 Wehrtürmen der mittelalterlichen Stadt-Befestigungsanlage, sondern gehört er auch zu den mächtigsten Wehrtürmen Deutschlands, welcher noch unsere Zeit überdauert hat. Seinen Namen „Grauer Turm“ (grae turn) oder auch „Großer Turm“ (turis magna) hat er wohl durch den noch an vielen Stellen vorhandenen graugelben Bewurf und seiner Größe erhalten.
Er wird zuerst 1274 erwähnt, der hufeisenförmige Unterbau, dessen gerade Seite 10,5 m mißt, ist jedoch älter, in diesem befindet sich ein 7,2 m hohes Verließ in Kuppelform mit Angstloch, welches als Stadtgefängnis diente. Laut Inschrift wurde im Jahre 1541 durch die Stadtmauer eine Seitentür in dies Verließ gebrochen, der eisenbeschlagene Flügel mit Schiebeschloß und Eisenring ist noch heute vorhanden.
Zu dem ersten Stockwerk gelangt man von dem in ganzer Breite hinter dem Turm auf der Stadtmauer herlaufenden Wehrgang durch eine oben mit Traufgesims abgedeckte Eichentür.
Der Turm erhebt sich zu 35 m Höhe im Steinbau, zunächst waren dem mit der Stadtmauer gleichhohen Unterbau nur drei Stockwerke, jedes von etwa 4 m Höhe, aufgesetzt worden. Der obere Abschluß dieses Baues läßt sich sehr leicht auf der geraden Stadtseite des Turmes an einem schrägen Mauerabsatz, sowie an dem Beginn eines anderen Steinformats erkennen. In diesen drei Geschossen sind überall die gleich einfachen Schießschlitze mit Falzen an der Schartenenge fit Prellhölzer der Nackenbüchsen, im untersten Stockwerk ist auf der südlichen Seite auch auf Konsolen ein vorgekragter steinerner Abtritt, was darauf schließen läßt, daß der Turm einer ständigen Besatzung zum Aufenthalt diente, also gewissermaßen ein Wohnturm war.
Er bildete nämlich die Signalstation für die sieben auf der Grenze des Fritzlarer Stadtgebietes stehenden Warten und wurde wohl hauptsächlich wegen dieses Gebrauches im 16. Jahrhundert nochmals bedeutend aufgestockt. Von den beiden damals aufgesetzten Geschossen hat der untere nach außen zu sechs große Rechteckfenster in großer Stichbogenblenden und drei ebensolche auf der Stadtseite. Oberhalb der letzteren ist eine Türöffnung und darunter stehen noch vier Kragsteine aus der Mauer hervor, die wahrscheinlich bestimmt waren, einen hölzernen Aufbau mit Aufzug zu tragen
Die Veranlassung zum Baue dieses mächtigen Turmes hat folgende geschichtliche Ursache: Das Schicksal der ältesten nachweisbaren Fritzlarer Stadtbefestigung wurde im September 1232 besiegelt, als Landgraf Konrad von Thüringen im Verlaufe seiner Auseinandersetzung mit Erzbischof Siegfried III. von Mainz die hartnäckig verteidigte Stadt erstürmte.
Er ließ Mauern und Türme niederbrechen, wie nicht nur chronikalisch überliefert, sondern auch aus dem baulichen Befund der nördlichen Stadtmauer ersichtlich ist.
Vor allem aber besitzen wir auch verschiedene urkundliche Nachrichten über die Neuerrichtung der Befestigung, die sofort wieder in Angriff genommen worden ist, denn bereits 1233/34 einigten sich Stadt und Petersstift über den Betrag von 30 Pfund Geldes zum Baue der Mauern. Nach fünf Jahren angestrengter Bautätigkeit war der Neubau der Stadtbefestigung im wesentlichen abgeschlossen, wie aus zwei Urkunden des Jahres 1237 hervorgeht.
Mit der Neuerrichtung der Stadtmauer wurden die Mauertürme der Nord- und Ostseite als die gefährdetste Stelle des Verteidigungsringes als erste ausgebaut. Der Jordansturm, der Greben- und Rosenturm, von welchen die beiden letzteren schon dem 12. Jahrhundert angehören. Vollendet aber war der Schutz der gefährdeten Nordseite der Stadt erst nach der Errichtung des „Grauen Turmes“ an der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer.
Staatsarchivrat Dr. Demandt schreibt darüber 1974 in einem Aufsatz „Die mittelalterliche Befestigung Fritzlars“ im Jubiläumsband der Festschrift zur 1250-Jahrfeier folgendes: „Dieser offensichtlich in einem Zuge erbaute, etwa halbkreisförmige Turm, dessen gerade Seite 10,5 m mißt, erhebt sich zu einer Höhe von 35 m im Steinbau und stellt einen der mächtigsten deutschen Stadtbefestigungstürme überhaupt dar. Auch er ist noch im 13. Jahrhundert aufgeführt worden.
Eine urkundliche Nachricht vom Jahre 1274, nach der das Stift 20 Pfund Geld zum Bau eines Turmes beigetragen hatte, ist wohl nur auf den großen Turm beziehbar. Die Summe ist im Vergleich zu dem 40 Jahre vorher zum gesamten Mauerbau beigesteuerten Betrag von 30 Pfund für einen einzelnen Turm so unverhältnismäßig hoch, daß es sich hier um ein außerordentliches Werk gehandelt haben muß.
Als solches kommt für diese Zeit aber allein der Graue Turm in Betracht.“
Fortsetzung folgt. Hans Josef Heer
1. Fortsetzung
Nachdem im 15. Jahrhundert das Wartensystem um Fritzlar vervollständigt wurde, hatte man noch im Anfang des 16. Jahrhunderts den „Grauen Turm“ um zwei Stockwerke erhöht, damit wurde er zur Signalstation für die Warten und der gesamten Festungsanlage hergerichtet, und unter dauernde Besetzung mit Wachmannschaften gehalten. In den vielen Fehden zwischen Hessen und Mainz, aber auch noch im 30jährigen Krieg hatte Fritzlar, dank seiner vorzüglichen Wehranlage lange nicht so viel zu leiden gehabt wie fast alle anderen Städte in Hessen. Fritzlar trug in damaliger Zeit mit Recht den zusätzlichen Namen „urbs turritica“, die turmreiche Stadt, denn sie hatte außer ihren 10 Kirchtürmen, 23 Stadttürme und sieben Warttürmen, zusammen also ein Stadtbild mit 40 Türmen.
Grunddessen zählte Fritzlar auch zu den schwer einnehmbaren Städten wie etwa: Nürnberg, Bamberg, Augsburg oder Rothenburg ob der Tauber. Jedoch wurde seine Wehranlage nach dem 30jährigen Kriege vernachlässigt und konnte den immer stärker werdenden Feuerwaffen im 7jährigen Kriege nicht mehr standhalten. So liest man bei Falckenheiners „Geschichte Fritzlars“ 1841 wie folgt: „Bis in den Juni 1762 blieben die Franzosen im Besitz Fritzlars und räumten dann die Stadt freiwillig, nachdem sie in ihr noch ein trauriges, bis auf unsere Zeiten sichtbares Denkmal sich - durch Zerstörungen gegründet hatten. Der Graf von Rochembeau erhielt mit seiner Brigade den Befehl, die Festungswerke Fritzlars zu schleifen. Der Befehl wurde nur zu gut vollführt. Die Brustwehren der starken Mauern, die noch vor einem Jahre den deutschen Kugeln getrotzt und die Franzosen geschützt hatten, wurden niedergebrochen, die alten bemoosten Türme, an denen so manches Jahrhundert vorübergegangen war, deren Zahl unserem Fritzlar ein so stattliches Ansehen gab, und deren Höhe und Stärke von seiner ehemaligen Kraft und seinem Reichtum Zeugnis gab, sie sanken größtenteils unter der zerstörenden Hand der Fremdlinge. Sogar der unschuldige trockene Graben über dem Haddamartor wurde verschüttet.
Es war, als ob die durch den Krieg ausgesogene, bettelarm gemachte Stadt nicht einmal mehr einer sichtbaren Erinnerung an bessere Zeiten sich sollte erfreuen dürfen.“
Fritzlar hat im siebenjährigen Kriege, der am 15. Febr. 1763 durch den Frieden von Hubertusburg beendet wurde, schrecklich gelitten. Die Zahl der Bürger war von 550 auf 190 zurückgegangen.
Doch seine Lebenslinie stieg wieder aufwärts. 1829 zählte die Stadt schon wieder 436 Bürger mit 2.632 Einwohnern.
Aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind uns noch zwei schöne Bilder des Grauen Turmes erhalten geblieben, dessen Künstler zum Kreis der „Romantischen Maler“ von Hessen zählen. Fin Ölgemälde des Malers J. Ickler vom Jahre 1839 und eine Pinselzeichnung vom Maler August von Wille, beides Bilder im Besitz der Staatlichen Kunstsammlung Kassel. Abbildung und Besprechung erfolgt in der letzten Fortsetzung.
Im Sommer 1874 besuchten Ihre königlichen Hoheiten, der Kronprinz Wilhelm mit seinem Bruder Prinz Heinrich unsere Stadt. Kronprinz Wilhelm äußerte dem sie begleitenden und führenden Bürgermeister Kraiger den lebhaften Wunsch, daß der Graue Turm wieder in seiner früheren Gestalt hergestellt werden sollte. Jedoch sollten noch 15 Jahre vergehen, ehe dieses Vorhaben in die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Die Ereignisse werden uns in einem köstlichen Amtsdeutsch wie folgt überliefert: „1888 am 9. März schied aus Seinem glorreichen Leben Kaiser Wilhelm 1. ihm folgte sein ritterlicher Sohn Friedrich auf den Thron. Infolge eines schweren Leidens (Kehlkopfkrebs) schied die königliche Eiche am 15. Juni 1888 aus diesem Leben. Nach dem Tode Kaiser Friedrichs III. trat sein Sohn als Kaiser Wilhelm II, die Regierung an. 1889, auf Veranlassung des Herrn Ministers der geistlichen Angelegenheiten wurde der „Graue Turm“ wieder hergestellt und mit einem neuen Dache versehen. Das alte Dach war im Jahre 1859, weil reparaturbedürftig, einfach abgenommen worden. Die Kosten der Wiederherstellung betrugen 4.630 Goldmark.“
Damals erhielt der Graue Turm in vier Etagen gedielte Balkenböden, die dann mit Leitern zu besteigen waren.
1882 erfolgte der Abbruch der alten Stadtmauer von etwa 10 m Höhe und 30 m Breite am Grauen Turm, um vom Marktplatz am Hochzeitshaus vorbei durch den Burggraben direkt zum Zimmerplatz zu gelangen.
1925, anläßlich der 1200-Jahrfeier der Stadt Fritzlar, trat erstmalig die Planung auf, den Grauen Turm mit seinen vielen Etagen als altes Wahrzeichen aus Fritzlars Glanzzeit für eine Jugendherberge auszubauen. Der damalige Stadtbaumeister Reuter entwarf die Baupläne, jedoch an der schwierigen Wirtschaftslage unserer Stadt, nach dem verlorenen 1. Weltkrieg, konnte dieses Projekt nicht verwirklicht werden.
Schluß folgt. Hans Josef Heer
2. Fortsetzung
Seine größte Feuerprobe erlebte der schon fast 700 Jahre alte Recke im 20. Jahrhundert, vom 30. März bis 1. April 1945 bei der Einnahme unserer Stadt durch die Soldaten der Neuen Welt. Die amerikanischen Einheiten beschossen ihn mit schweren Panzer-Granaten, in dem Glauben, daß die bedachten Türme unserer Stadt den deutschen Soldaten als Beobachtungsposten dienten. Außer dem Grauen Turm wurde der Bleichenturm, der Steingossenturm, der Regilturm und der Frauenturm beschossen. Wenn auch die Letzteren in der Hauptsache ihre alten Dächer verloren, so hatte der Graue Turm doch mehrere schwere Mauereinschläge erhalten, so daß sein Bestand für die Zukunft gefährdet war. Auch erstürmten, nach der Einnahme Fritzlars, amerikanische Soldaten den Grauen Turm. Sie erbrachen den unteren Eingang und gelangten über die Leitern in die einzelnen Stockwerke. Sie hielten ihn längere Zeit besetzt und haben sich noch heute sichtbar durch Einschnitzen ihrer Namen und Wohnorte des amerikanischen Kontinents verewigt.
Nachdem nun 1954 durch die großzügige Stiftung zweier Fritzlarer Söhne, die Brüder Karl und Franz Seibel, Fabrikanten in Erwitte, gemeinsam mit der Stadt den Bestand des Grauen Turmes mit einem Kostenaufwand von ca. 14.000 DM durch Ausbesserungen der Einschlagstellen und des Daches sowie durch Zementspritzungen erhalten hatten, trat erstmalig der Plan auf, diesen großen und hohen Turm für friedliche Zwecke nutzbar zu machen.
Der Verkehrs- und Verschönerungs-Verein Fritzlar hatte diesbezüglich wiederholte Anträge an die verschiedenen Stellen wie Stadt, Kreis und Fremdenverkehrsverband Kurhessen und Waldeck gestellt, welche auch Erfolg hatten. Die Stadt Fritzlar stellte durch ihren Stadtbaumeister Eckert die benötigten Baupläne sowie Baumaterial und Basaltsteine kostenlos, der Kreis bewilligte die Pläne und überwies zusätzlich eine Summe von 500 DM, der Fremdenverkehrs-verband vermittelte über das Land liessen aus Lottomitteln die Summe von 2000,- DM.
1958 kam es dann zum ersten größeren Bauabschnitt. Die 10 Meter hohe Stadtmauer bis zum oberen Eingang des Grauen Turmes wurde von außen durch eine Basaltsteintreppe mit 42 Stufen erschlossen. Die schöne Außentreppe hatte damals die Baufirma K. Balke, trotz der vorhandenen geringen Barmittel für ihre Heimatstadt erstellt. Das schmiedeeiserne Treppengeländer ist eine Arbeit der Schlosserei O. Anders.
1962 gab das Stadtparlament seine Zustimmung zum Gesamtausbau des Grauen Turmes mit einem Kostenaufwand von über 30.000,- DM. In zweijähriger Bauzeit wurden alle Etagenböden in Eisenbeton gegossen und mit 90 Betonstufen ersteigbar gemacht, die ebenfalls mit schmiedeeisernen Geländern versehen wurden, damit es jedem noch halbwegs rüstigen Einwohner oder Besucher unserer Stadt möglich ist, den Turm über 131 Stufen zu ersteigen. Im obersten Aussichtsturm, von etwa 6 Meter Höhe, sind 18 große Fernsichtfenster vorhanden, wobei die neun oberen Fenster durch eine eingebaute Zwerggalerie erreichbar sind.
Zwischen den Fenstern an der Innenmauer wurden vom Verkehrs- und Verschönerungsverein eine Geschichtstafel des Turmes und Wappen des Landes Hessen, des Kreises Fritzlar-Ilomberg und seinen Städten -im Raume verteilt- angebracht.
Zur 1250-Jahrfeier unserer Stadt und zum 700jährigen Bestehen des „Grauen Turmes“ wurde 1974 das Gelände um den Turm in würdigem Zustand hergerichtet. Die große Gartensteinfläche vor der Stadtmauer, die noch einen zusätzlichen Ausgang durch die Stadtmauer erhielt, war damals der Zeltplatz für die vielen kulturellen Festveranstaltungen. Im Grauen Turm selbst war in den unteren Räumen erstmalig eine Kunstausstellung von Gemälden und Graphiken im Stil unserer Zeit.
Deutschlands größter Wehrturm hat nun seine volle Festigkeit wiedererlangt. Wenn nicht neue Kriegseinwirkungen oder gar Erdbeben seinen Bestand gefährden, kann er in Zukunft als Aussichtsturm und zum Zwecke kultureller Belange genutzt werden, um nochmals weitere 700 Jahre -etwa im Jahre 2700- kund zu tun von der großen Vergangenheit unserer Stadt Fritzlar.
Mögen darum die Einwohner und Besucher unserer Stadt wenigstens einmal im Jahr die Gelegenheit nutzen, diesen Aussichtsturm zu ersteigen, um sich mit ihren Kindern an der Schönheit unseres Hessenlandes zu erfreuen.
Hans Josef Heer
Im heutigen Zeitalter der atomaren Technik mit seiner hektischen Automation überkommt uns Menschen bei der Betrachtung und Lesung von Bildern und Schriften des vergangenen Jahrhunderts eine Sehnsucht nach der einfachen „Genügsamkeit", der Romantik und des Biedermeier. Eine der interessantesten Vertreterin um die Wende des 19. Jahrhunderts war zweifellos Bettina Brentano, die den Romantiker Achim von Arnim heiratete. Bettina von Arnim, die Verfasserin von „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“, wurde am 4. April 1785 als Drittjüngstes Kind aus der Ehe des Kaufmanns Peter Anton Brentano mit der von Goethe hochverehrten Maximiliane von Laroche in Frankfurt am Main im „Goldenen Kopf“ in der Sandgasse geboren. Nach dem Tode der beiden Eltern wurde sie mit ihren drei Schwestern gegen Ende des 18. Jahrhunderts vier Jahre lang als Zögling in dem Kloster der Ursulinen zu Fritzlar erzogen, worüber sie in ihrem bekannten obengenannten Buch an Goethe schreibt:
„In den hängenden Gärten der Semiramis bin ich erzogen, ich glattes, braunes, feingegliedertes Rehchen, zahm und freudig zu jedem Liebkosenden, aber unbändig in eigentümlichen Neigungen.
-Oben im ersten und höchsten Garten stand die Klosterkirche auf einem Rasenplatz, der am felsigen Boden